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Horrorfilm "Zombie Child": Bonello Fanny (Louise Labeque, li.) leidet unter Liebeskummer, die Tante von Mélissa (Wislanda Louimat) soll ihr mit Voodoo helfen.

© Grandfilm

„Zombi Child“ im Kino: Voodoo-Rituale für die höheren Töchter

Der französische Regisseur Bertrand Bonello verschmilzt in „Zombi Child“ karibische Magie mit dem Mythos des Horrorkinos.

Von Andreas Busche

1804 fand auf Haiti, unter dem Namen Saint-Domingue damals noch eine französische Kolonie, eine Revolution statt, die zur Ausrufung der ersten „schwarzen Republik“ führte. In Frankreich nahm man davon kaum Notiz, weil in Europe gerade eine viel größere Revolution stattgefunden hatte. Hierzulande denkt man, erklärt der Geschichtslehrer des traditionsreichen Mädcheninternats Maison d’Education de la Légion d’honneur, einer Schule für die höheren Töchter der französischen Militäreliten, bei dem Wort „Revolution“ automatisch an Napoleon.

Doch was sagt das über das Geschichtsverständnis Frankreichs? „Schreiben wir eine kontinuierliche Geschichte des Fortschritts“, fragt er die Klasse, „als sich stets entfaltende Gerechtigkeit? Wir haben gelernt, dass die Freiheit stets eingeschränkt bleibt. Ich schlage ihnen eine Geschichte vor, die diskontinuierlich ist.“

Den Lehrer in Bertrand Bonellos „Zombi Child“ spielt der populäre Historiker Patrick Boucheron, eine kleine Intervention der Wirklichkeit, wie sie in den Kino-Fiktionen des französischen Autorenfilmers ("Nocturama") häufiger vorkommen. Das Prinzip der „diskontinuierlichen Geschichte“ findet sich auch in Bonellos Film über das revolutionäre Moment hinaus wieder. „Zombi Child“ schlägt einen Bogen von 50 Jahren, von Port-au-Prince in den frühen Sechzigern (als die Grand Nation erneut von einer Unabhängigkeitsbewegung erfasst wurde) bis in die Gegenwart einer Mädchenclique an der Pariser Eliteschule.

Aber auch einen filmhistorischen: von Bela Lugosi als „White Zombie" (erstmals anglifiziert mit einem „e“) über Maya Derens Voodoo-Ethnografie „Divine Horsemen“ bis zu den torkelnden Untoten bei George Romero. In Bonellos Kino sind diese Kurzschlüsse nicht überraschend, sie markieren auch Sprünge zwischen sehr verschiedenen Genres.

Teeniedrama und Horrorfilm

Mélissa (Wislanda Louimat) ist die Enkelin von Clairvius (Mackenson Bijou), der nach einem Voodoo-Ritual in den Straßen von Port-au-Prince zusammenbricht. Sein Leichnam wird wieder ausgegraben, fortan muss Clairvius als Untoter Sklavenarbeit auf einer Zuckerrohrplantage verrichten.

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Mélissa hat ganz andere, ihrem Alter gemäße Sorgen: ihre neue Schule, Mathe-Noten, coole Dance-Moves, ob man als Mädchen die sexistischen Texte des Rappers Damso mitsingen darf – und natürlich die Liebe. Fanny (Louise Labeque), ein Mädchen aus ihrer neuen Clique – der „Literaturgang“ –, hat sich über die Sommerferien in Pablo verknallt, der ihr aber schon bald das Herz bricht.

Hier kommen in „Zombi Child“ das Teeniedrama und der Horrorfilm, die Bonello verschmilzt, zusammen. Mélissas Tante Francina ist eine moderne Mambo, eine Voodoopriesterin, die mit den Seelen Verstorbener Kontakt hält – und deren Seelen auch mit den Körpern Lebender verschmelzen kann. Ihren Lebensunterhalt verdient sie als Nachhilfelehrerin und mit dem Gassigehen von Hunden reicher Pariserinnen. Der Klassenunterschied ist offensichtlich.

Mélissa verdankt ihren Zutritt in die höheren gesellschaftlichen Kreise ihrer verstorbenen Mutter, die in der Heimat gegen die Diktatur ,Baby Doc’ Duvaliers gekämpft hat. Durch die hohen Säulengänge der altehrwürdigen Bildungsanstalt, die diese heile Mädchenwelt konstituiert, gleitet die Kamera von Yves Cape wie in Trance. Oder auch selbst wie in einem Zombie-Zustand zwischen Leben und Tod. Nach der Schule sitzen die Mädchen in den Gängen und gucken auf dem Handy den Horrorfilm „Voodoo Possession“.

Leben und Tod sind unzertrennlich

Bonello sucht immer wieder nach den Schnittstellen von Geschichte, folkloristischen Traditionen und den Effekten des Genrekinos. Fanny möchte Pablos Seele mit sich vereinen, an der Magie des Voodoo hat sie ein ganz praktisches Interesse – ähnlich wie der Horrorfilm an den Zombies (mit „e“). „Zombi Child“ geht aber noch weiter, vom Teenie-Herzschmerz bis nach Haiti, wo der untote Clairvius seine geliebte Frau aus der Ferne beobachtet.

Zombis haben kein Gedächtnis, aber Bonellos diskontinuierliche Geschichte dringt durch das Bewusstsein hindurch in ein Zwischenreich. „Voodoo ist wunderschön“, sagt Francina. „es zeigt, dass Leben und Tod unzertrennlich sind.“

Bonello versucht, den Ruf des Zombis zu rehabilitieren, indem er Voodoo-Tradition und Populärmythos gleichberechtigt behandelt. Dafür geht „Zombi Child“ zurück bis in die Zeit des transkontinentalen Sklavenhandels. Um in die Mädchenclique aufgenommen zu werden, teilt Mélissa ein Gedicht des haitianischen Schriftstellers René Depestre, eines Vordenkers der karibischen Negritude. „Hört, ihr Weißen, unserer Toten Aufruhr. Das schwarze Blut strömt. Der Sklavenschiffsraum ergießt sich ins Meer. Der Schaum unseres Elends.“ Bertrand Bonello ist weder Ethnograf noch Anthropologe. Aber sein Genre-Mash-up besteht den Geschichtstest.
Ab Donnerstag in den Kinos. Eine Bonello-Werkschau läuft noch bis zum 25.10. im Kino Arsenal

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