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Hier boomt auch das Verbrechen. Skyline der 32-Millionen-Einwohnerstadt Chongqing, 1500 Kilometer westlich von Shanghai.

© imago images/Xinhua

Zhou Haohuis Roman "Der Hauptmann und der Mörder": Staatlich geprüfte Spannung

China möchte den internationalen Buchmarkt mit Thrillern erobern. Einer davon: Zhou Haohuis Trilogie "18/4". Der erste Teil erscheint nun auf Deutsch.

Zhou Haohuis Roman „18/4“ mit dem Untertitel „Der Hauptmann und der Mörder“ setzt auf die internationale anerkannte Formsprache des Thrillers.

Nach einem Prolog, in dem ein mutmaßlicher Serienkiller einen beunruhigend intimen Brief an seinen Gegenspieler bei der Polizei schreibt („Ich rieche Deine Ungeduld“), gibt eine äußerst präzise Zeitangabe zu Beginn des ersten Kapitels die Taktgeschwindigkeit vor: „19. Oktober 2002, 15:45 Uhr.“ Drei Seiten später ist es bereits „22:17 Uhr“, und dann fließt auch schon Blut.

Ein Kriminalkommissar, der die Ermittlungen an einem knapp zwanzig Jahre alten Serienmord wiederaufgenommen hat, ist in seiner Wohnung in Chengdu mit einem Hackmesser getötet worden. Die knapp gehaltene Kapitel aus der Sicht mehrerer Polizisten und einer Profilerin werden durch kurze Rückblenden, Blutspurenanalysen und Zeitungsartikel beschleunigt, und kaum hat man sich versehen, ist man beim vorläufigen Showdown angelangt – und fragt sich leicht nervös, warum man eigentlich drei Monate auf den nächsten Thriller von Haohui warten muss.

In China wurde "18/4" über eine Million mal verkauft

„18/4“ ist nämlich eine Trilogie, deren weitere Bände „Der Pfad des Rächers“ und „Die blinde Tochter“ heißen.

Das Erscheinen von Haohuis Thriller passt gut zu Chinas Vorhaben, den internationalen Buchmarkt zu erobern. Erklärtes Ziel ist es, das Defizit im Lizenzhandel zu senken, also weniger Titel auf dem internationalen Markt einzukaufen und statt dessen mehr chinesische Lizenzen ins Ausland zu verkaufen.

„18/4“ von Zhou Haohui hat hier ideale Startbedingungen. In China wurden seit 2009 mindestens 1,2 Millionen Exemplare der Trilogie verkauft, eine Verfilmung im Serienformat hatte noch einmal doppelt so viel Abrufe.

2018 folgten die erste englischsprachige Ausgaben, die jetzt – auch das folgt der Logik des globalisierten Buchmarkts – der Einfachheit halber als Grundlage für die deutschsprachige Übersetzung dient. (Aus dem Englischen von Julian Haefs. Wilhelm Heyne Verlag, München 2022. 398 S., 13 €.) Schauplatz des Thrillers ist dann auch passenderweise eine der aufstrebenden Metropolen Chinas: Chengdu, die boomende Hauptstadt der westchinesischen Provinz Sichuan.

In den letzten zwanzig Jahren hat sich die Bevölkerung der Stadt verdoppelt, eine entscheidende Rolle beim Wachstum scheint die Elektroindustrie zu spielen – unter anderem lässt Apple in Chengdu iPads produzieren.

In dieser Stadt also nimmt die Handlung von „Der Hauptmann und der Mörder “ ihren Anfang: 1984 bringt ein Serienkiller, der sich „Eumenides“ nennt, eine Reihe von Menschen um, die sich moralische Verfehlungen zu schulden haben kommen lassen. Das war die Zeit, als „China gerade seine Wirtschaft ausbaute“ – gemeint sind die Reformen von Deng Xiaoping, die Ende de siebziger Jahre den Weg für Chinas Wachstum freimachten.

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Thriller-tauglich ist daran vor allem, dass sich damals in Chengdu, wie Zhou Haohui einen Polizisten erklären lässt, „auch der altehrwürdige Drogenhandel wieder aus der Asche erhob“ und „eine der dynamischsten Handelsstädte“ von den südostasiatischen Drogenkartellen zum Umschlagplatz für Heroin gemacht wurde.

Nun ist der Drogenhandel der achtziger Jahre in China ein Tabu, und politisch leicht inkorrekt ist sicher auch die von Zang Haohui über die Zeitebenen direkt hergestellte Verbindung zwischen den einst staatlich durchgepeitschen Reformen und dem heute rücksichtslos ausgestellten Wohlstand der neuen, reichen Oberschicht im 21. Jahrhundert.

Eines der Mordopfer, die dem Widergänger des rachsüchtigen Serienmörders Eumenides auf der Gegenwartsebene des Romans zum Opfer fallen, ist zum Beispiel eine 29-jährige Modeunternehmerin, die mit einem aus Deutschland importierten BMW den Besitzer eines ärmlichen Gemüsestands nach einem Streit kurzerhand überfahren und getötet hat.

Viel politische Doppeldeutigkeit

Nun ist allerdings Haohuis gesante Trilogie ein staatlich geprüfter Text. Zhou Haohui hat in einem Interview mit der „New York Times“ freimütig eingeräumt, dass die chinesischen Zensurbehörden auf Änderungen im Manuskript bestanden haben. Offenbar haben sie anderes aber einfach durchgewinkt, und das ist kein Einzelfall.

Vor fünf Jahren sorgte Liu Cixins Science-Fiction-Bestseller „Die drei Sonnen“ aus gleichem Grund für Irritationen bei westlichen Kritikern und Kritikerinnen. Der Roman enthält zwar keinen direkten Kommentar zum China von heute, aber ernüchternde Rückblicke auf die Kulturrevolution – auch das ein Tabuthema in China.

Sind Romane wie „Die drei Sonnen“ oder jetzt Zhou Haohuis Serienmörder-Trilogie Teil der „Softpower“-Strategie, mit der China sich als kulturelle Weltmacht etablieren will? Oder sind sie möglicherweise Anzeichen für eine neue Lässigkeit im Umgang mit unverhohlener Kritik an Chinas autoritärem politischen System?

Die Sprache der Körper

Tatsächlich ist gar nicht so leicht, einen auf den ersten Blick extrem eingängigen chinesischen Thriller wie „18/4“ zu verstehen – und das hat nicht nur mit der politischen Doppeldeutigkeit zu tun.

enn man den ersten Band der Trilogie ein zweites Mal liest (weil man auf den Folgeband halt noch warten muss), fällt zum Beispiel auf, dass die emotionale Körpersprache der Figuren keineswegs dem Weniger-ist-mehr-Standard des westlich geprägten Thrillers entsprechen: Ein Ermittler wird durch „plötzliche Ehrlichkeit“ eines Kollegen bei einer Teambesprechung so „unvorbereitet getroffen“, dass er mit „schmerzverzerrtem Gesicht“ den Kopf schüttelt, Nasen werden gerümpft, „schneidende Blicke“ treffen auf „finstere Mienen“ und „wegwerfende Handbewegungen“, dann verzieht jemand ein Gesicht und „Blicke wenden sich ab“.

Was wird hier eigentlich erzählt? Geschäftsleute aus Europa und den USA, die in Chengdu, Shanghai oder Suzhou Geld verdienen wollen, leisten sich einen Coach für interkulturelle Kommunikation, um ihr Gegenüber besser „lesen“ zu können und bei sensiblen Vertragsverhandlungen keinen Fauxpas zu begehen.

Vermutlich werden wir uns in Zukunft häufiger mit der Körpersprache von chinesischen Romanfiguren beschäftigen – und das Lesen noch einmal neu lernen müssen.

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