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"Flüchtlinge fressen - Not und Spiele", die neue Aktion der Aktivisten vom Zentrum für Politische Schönheit.

© Rainer Jensen/dpa

Zentrum für politische Schönheit: Gratwanderung zwischen Kunst und Aktivismus

Zynische Inszenierung: In der neuesten Aktion des "Zentrum für politische Schönheit" sollen sich Flüchtlinge "Europa zum Fraß vorwerfen", wenn die Bedingungen der Aktivisten nicht erfüllt werden. Die ersten beiden Freiwilligen haben sich angeblich schon gemeldet.

Zumindest in der Mittagssonne sehen die vier Tiger, die sich da in bester Innenstadtlage vorm Maxim Gorki Theater räkeln, erstaunlich tiefenentspannt aus. Obwohl vor ihrem Käfig – einer mehrfach vergitterten und verglasten Arena – nicht nur ein römischer Fake-Legionär auf und ab schreitet, sondern pausenlos (medialer) Hochbetrieb herrscht: Profis und Zufallspassanten, hochauflösende Kameras und Touri-Smartphones konkurrieren um den idealen Fotografierwinkel an der Tiger-Fensterfront.

Drinnen im Theater erklären die verantwortlichen Künstler, drei Mitglieder des „Zentrums für politische Schönheit“ (ZPS), in einer „Bundeserpressungskonferenz“ unterdessen die Hintergründe der Aktion. Der Saal ist voll. Schließlich gilt das ZPS als zuverlässiger Lieferant spektakulärer Aktionen zwischen Kunst und Aktivismus; (mediale) Erregungsdiskurse inklusive: Die Aktion zum 25. Jahrestag des Mauerfalls im November 2014, als das ZPS Gedenkkreuze für Mauertote aus Berlins Mitte abmontierte, um mit ihnen an den europäischen Außengrenzen gegen die EU-Flüchtlingspolitik zu protestieren, provozierte durchaus hinterfragungswürdige Bekenntnisse und Positionierungen bis in höchste Regierungskreise hinein.

Sollen sich Flüchtlinge für die "Rettung unserer Ideale" fressen lassen?

Am Anfang der aktuellen Aktion, die den Titel „Flüchtlinge fressen – Not und Spiele“ trägt, habe eine Kinderfrage gestanden, erklärt ZPSler André Leipold bei der „Bundeserpressungskonferenz“ auf der Gorki-Bühne nicht ohne entsprechendes Pathos: „Mama, warum kommen die Flüchtlinge nicht einfach mit dem Flugzeug?“ Der Grund sei die Richtlinie 2001/51/EG, die Fluggesellschaften mit horrenden (Geld-)Strafen belegt, wenn sie Passagiere ohne gültige Visa in Zielländer befördern – und die Flüchtende deshalb auf die lebensgefährlichen Schlepper-Routen zwinge. „Wir wollen der Bundesregierung und der EU gern helfen“, so der ZPS-Sprecher weiter, „wieder auf den von ihr propagierten Weg der Menschlichkeit zurückzufinden“.

Und zwar mittels einer bewussten moralischen Erpressung: Das ZPS verschafft den verantwortlichen Politikern quasi die alternativlose Möglichkeit zur Änderung der Einreisebestimmungen. Am 28. Juni, dem 15. Jahrestag der betreffenden Richtlinie, soll im türkischen Izmir die „Joachim 1“ nach Berlin abheben – ein aus Spendengeldern finanzierter Flug mit hundert syrischen Flüchtlingen an Bord, die in der Türkei darauf warten, zu ihren bereits in Deutschland befindlichen Angehörigen zu kommen. Scheitert deren Einreise weiterhin an den aktuellen Paragrafen, mithin in persona an Bundesregierung, Bundestag und Bundespräsident, werde die nach letzterem benannte „Joachim 1“ nicht nur leer nach Berlin fliegen, droht das „Zentrum“. Sondern für diesen Fall suche man „verzweifelte Flüchtlinge“, die bereit seien, sich öffentlich von genau jenen „libyschen Tigern“ verspeisen zu lassen, die da im Käfig vorm Gorki logieren. Zwei Flüchtlinge hätten sich bereits freiwillig dafür gemeldet, sich - im ZPS-Vokabular - „Europa zum Fraß vorzuwerfen“ und „für die Rettung unserer Ideale“ zu opfern. Sie würden kommenden Montag, 12 Uhr, auf einer Pressekonferenz im Gorki vorgestellt.

Die Inszenierung erinnert an Schlingensief

Dass viele Parameter der aktuellen ZPS-Kunstaktion wie eine unter dem entsprechenden Realitätsdruck verschärfte Fortsetzung von Christoph Schlingensiefs Projekt „Ausländer raus – Bitte liebt Österreich“ wirken, dürfte intendiert sein: ZPS-Kopf Philipp Ruch rekurriert seit jeher gern auf den 2010 verstorbenen Aktionskünstler. Schlingensief hatte vor sechzehn Jahren als Beitrag zu den „Wiener Festwochen“ vor der dortigen Staatsoper einen Container mit Asylbewerbern aufgebaut. Nach dem Vorbild der damals brandneuen Reality-TV-Show „Big Brother“ war die Zivilbevölkerung aufgefordert, das via Kameras nach außen übertragende Containerleben zu verfolgen und regelmäßig einen Asylbewerber zur Abschiebung auszuwählen. Der hatte dann nicht nur umgehend seine zynische Temporärbehausung zu verlassen, sondern das Land.

Wie Schlingensief bedient sich auch das ZPS einer zynischen, wenn auch weniger zwingenden Spiel- beziehungsweise Inszenierungsmetapher: Bundeskanzlerin Merkel, Bundespräsident Gauck und Innenminister Thomas de Maizière erscheinen, im steten Wechsel mit aktuellen Europa-Bildern von Flüchtenden oder – im Kontrast - Live-Übertragungen der Fußball-EM, gern mal im Gewand römischer Imperatoren auf einem Riesenbildschirm neben dem vom römischen Legionärsdarsteller bewachten Tigerkäfig. Der übrigens schreitet jeden Abend, Punkt 18.45 Uhr, zur Tigerfütterung in die Arena, auf deren Dach Gorki-Schauspieler in Gaukler-Kostümen unterdessen aktuelle Facebook-Posts zur Aktion verlesen, Flüchtlingen mit satirischer Dringlichkeit davon abraten, in ein Land einreisen zu wollen, „dessen Fußballnationaltrainer sich vor den Augen von Millionen Zuschauern ungeniert in die Hose greift“ oder auch Selbstironie walten lassen: „Diese Möchtegern-Schlingensief-Aktion hier nützt niemandem“, nimmt eine Gorki-Akteurin im Clownskostüm schon mal die erwartbare Kritik vorweg.   

Die künstlerische Aktion ist vorrangig

Aber das Gauklerspiel steht genauso wenig im Mittelpunkt der Aktion wie die Römer-Konstruktion. Auch bei der Mauerkreuz-Aktion vor zwei Jahren ging es um etwas anderes als um historisch korrekte Parallelen. Schon vor Jan Böhmermann und seiner Erdoğan-Affäre haben Künstler wie das ZPS oder auch Milo Rau mit seinen Prozess-Theater-Formaten schließlich - anknüpfend an Schlingensief - die Medien-Inszenierung erfunden. Die künstlerische Aktion an sich ist vorrangig – und um die bewährten Reiz-Reaktions-Schemata zu aktivieren eben gern auch kalkuliert schiefes Mittel zum Zweck öffentlicher Diskurs-Erregung. Die dann eben, wie in der Böhmermann-Causa, zur Veröffentlichung (unser aller) moralischer beziehungsweise politischer Paradoxien und im Idealfall zu entsprechenden Handlungszwängen führt.

Man kann das natürlich platt finden. Aber fakt ist, dass die Plattheit der Reaktionen diejenige der künstlerischen Konzepte bis dato leider noch immer um ein paar sehr erhellende Grade überstiegen hat. Auch angesichts des Tigerkäfigs dauerte es keinen Tag, bis besorgte Bürger, Institutionen und Medien sich – quasi hundertprozentig nach impliziter ZPS-Storyline – eher nach dem Tierschutz erkundigten als nach dem Schutz derer, die sich von den Tieren fressen lassen sollen.

Nach den ersten Hundert warten weitere Tausende

Die „Joachim 1“ soll übrigens – das ZPS will nicht nur die Politik, sondern auch den sie tragenden Rest der Komfortgesellschaft in den Aktivitätsmodus zwingen – aus Spendengeldern finanziert werden. Was natürlich Selektionsmechanismen impliziert: Reicht es nicht für alle hundert Flüchtlinge, wird ausgewählt. Nicht, wie bei Schlingensief damals, wer aus Container und Land raus muss, sondern wer rein darf und wer nicht. Und selbst wenn es für alle hundert Flüchtlinge reichen sollte, wonach es zurzeit aussieht, weil nach Tag eins der insgesamt zwölf Tage laufenden Aktion laut ZPS bereits „20 Prozent des Fluges finanziert“ sind: Nach den Hundert warten bekanntermaßen weitere Tausende.  

Das werden die ZPSler übrigens, mit durchaus moralischem Impetus, nicht müde zu erklären. Und hier liegt auch – bei allen Ähnlichkeiten in der Inszenierungsanlage – ein deutlicher Unterscheid zu Schlingensief: Während der die Ambivalenzen, mit denen er spielte, bewusst forcierte, neigt das „Zentrum“ zur Selbsterklärung: Man habe keine Lust, zynisch zu sein, klärte ZPS-Mitglied Theresia Braus bei der „Bundeserpressungskonferenz“ ausdrücklich die Inszenierungsintention. Aber man habe keine andere Wahl, wenn man den Zynismus der Politik mit seinen eigenen Waffen schlagen und so gewissermaßen gegen sich selbst wenden wolle. Bis zum 28. Juni kann die Zivilgesellschaft verfolgen, wie das gelingt. Nicht nur bei den allabendlichen, frei zugänglichen Gaukler-Performances auf dem Arena-Dach. Sondern auch bei den anschließenden Diskussionen im Gorki-Garten, wo Künstler, Politiker und Journalisten über die Aktion diskutieren. 

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