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Erdogan bei einem Auftritt vor Mitgliedern seiner Regierungspartei AKP .

© dpa

Zensur in der Türkei: Diktatur? Gibt es hier nicht

Türkische Behörden setzen ein Theaterstück in Istanbul ab, in dem man Präsident Erdogan erkennen kann. Die Zensur im Land hat jetzt auch die Bühnen erreicht.

Wer jetzt in das Emek-Theater in Istanbul wollte, wurde enttäuscht. Statt des Billettkontrolleurs stand die Polizei vor dem Saal und verwehrte dem Publikum den Zutritt. Die Beamten setzten ein behördliches Aufführungsverbot durch, das kurzfristig gegen das angekündigte Theaterstück erlassen worden war. „Nur der Diktator“ heißt das Schauspiel. Dieses Stück sei geeignet, die öffentliche Ordnung zu stören, teilte das Polizeipräsidium mit; deshalb werde die Aufführung verboten. Vergeblich protestierten die Veranstalter, vergeblich demonstrierte das Publikum vor dem Saal. Die Zensur in der Türkei hat nun auch das Theater erreicht.

Personenkult wie bei Stalin

Noch vor wenig mehr als einem Jahr konnte der Regisseur Emrah Eren in Istanbul den „Iwan Iwanowitsch“ von Nazim Hikmet auf die Bühne bringen, der den totalitären Personenkult um Stalin thematisiert und in der Sowjetunion seinerzeit nach dem ersten Spieltag abgesetzt wurde. Obwohl sich die Parallelen zur aktuellen Entwicklung in der Türkei aufdrängten, wurde das Stück monatelang vor vollen Häusern gespielt. Regisseure und Schauspieler sahen das Theater als einen der letzten freien Rückzugsräume der Türkei. Damit ist es nun vorbei.

Schon eine Woche zuvor war eine Aufführung von „Nur der Diktator“ im nordosttürkischen Artvin verboten worden. Auch dort marschierte die Bereitschaftspolizei auf, um den Saal abzuriegeln. Inzwischen wurde das Theaterstück auch in Ankara und Izmir verboten.

Erfolge in London, Hamburg, München

Dabei geht es hier nicht einmal um ein neues Bühnenwerk. „Nur der Dikator“ wird seit drei Jahren gespielt und ist bisher rund 160 Mal aufgeführt und von rund 40 000 Zuschauern besucht worden; auch im Ausland hat es schon gastiert, in München, Hamburg und London. In dem Ein-Mann-Stück von Onur Orhan, das unter der Regie von Caner Erdem von dem Schauspieler Baris Atay gespielt wird, rechnet ein Diktator im Monolog mit sich und seinen Untertanen ab und analysiert seinen Aufstieg an die Macht und vor allem den Beitrag, den das Volk selbst dazu geleistet hat.

Wie ein Faustschlag in den Magen wirke das Stück, berichten Zuschauer; andere sprechen von Ohrfeigen. Als er mit den Proben zu dem Stück begonnen habe, hätte man das Stück noch als etwas zugespitzt bezeichnen können. „Aber die heutige Situation im Land bestätigt unser Stück vollkommen, denn das ist heute Realität“, sagte Erdem der Zeitung „Evrensel“. Und er glaubt: „Die Ohrfeigen sind nötig, damit wir aufwachen und zu uns kommen.“

Typologie der Schreckensherrschaft

In dem Theaterstück geht es nicht unmittelbar um die Türkei, sondern um die Diktatur im Allgemeinen. Mit roten Windrädern in weißem Kreis erinnern die Symbole im ansonsten schwarzen Bühnenbild an Hakenkreuze; die von Atay gespielte Figur stellt keine historische Person dar, sondern soll den Diktator an sich typifizieren. Im Stück wolle er beleuchten, „wie ein einziger Mann alle Macht des Staates in die Hand bekommt“, aber auch, „welche unserer individuellen und kollektiven Fehler, Versäumnisse und Widersprüche er dafür ausnutzt“, sagt Onur Orhan.

So allgemein das Stück gehalten ist, drängt sich die Relevanz für die Türkei selbst den Behörden derart stark auf, dass diese „Nur der Diktatur“ in vorauseilendem Gehorsam und ohne Gerichtsbeschluss verbieten. Hinter den Verbotsverfügungen verschiedener Städte und Provinzen stecke Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, meint Hauptdarsteller Baris Atay. „Heute ist es ein Theaterstück, das verboten wird“, sagte ein enttäuschter Zuschauer vor dem Emek-Theater. „Als nächstes kommen Filme dran und dann Lieder.“

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