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Bewunderung für Paul Celan. Der Dichter Werner Söllner, 2010 in Frankfurt am Main.

© Dontworry/Wikipedia

Zeitschriftenkolumne: Quecksilber im Grundwasser

Die Frankfurter Zeitschrift "Die Wiederholung" würdigt das Werk des rumäniendeutschen Dichters Werner Söllner.

Von Gregor Dotzauer

Drei Jahre, nachdem die Rumänen ihre Diktatur zum Teufel gejagt hatten, verabschiedete er die zurückliegende Eiszeit für immer. „Während es langsam, aber sicher wärmer wird / in der Welt“, schrieb der Dichter Werner Söllner 1992, „während wir uns irrsinnig freuen / über das Verschwinden der Grenzen, während / wir hinter der letzten sichtbaren Galaxie / verzweifelt nach Leere suchen, während das / Quecksilber der Utopie von der klassenlosen / Gesellschaft ins Grundwasser sickert“, da sei es nur eine Frage der Entschlossenheit, den Barbaren keine Chance mehr zu geben. Im Dezember 2009 holte ihn selbst die Ceausescu-Zeit ein.
Auf einer Münchner Tagung über „Deutsche Literatur in Rumänien im Spiegel und Zerrspiegel der Securitate-Akten“ bezichtigte er sich der unverzeihlichen Schwäche, als Student im siebenbürgischen Klausenburg Anfang der 70er Jahre den erpresserischen Anwerbeversuchen des Geheimdiensts nachgegeben zu haben. Was er aus den Kreisen der legendären Zeitschrift „Echinox“ im Einzelnen berichtete, ist bis heute unklar. Die IM-Affäre Oskar Pastior überlagerte im Jahr darauf den Fall Söllner, und jeder Versuch, ein ausgewogenes Gesamtbild der Lage zu zeichnen, sieht sich einem juristischen Wespennest gegenüber.
Immerhin sollte niemand daran zweifeln, dass Söllner die Situation als „grauenhaft“ empfand, wie er Bernd Leukert 2012 auf faustkultur.de gestand. Er sei „zu keinem Zeitpunkt freiwillig – von Enthusiasmus ganz zu schweigen – oder auch nur in stiller, resignierter Duldung" als IM rekrutiert worden. Gerhardt Csjeka verteidigte ihn im Tagesspiegel damals nach dem Motto: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.

Schuld und Scham

1975 floh der 24-Jährige vor den Zudringlichkeiten der Securitate nach Bukarest und wurde Lektor eines Kinderbuchverlags. 1982 reiste er in die Bundesrepublik aus und lebt seither in Frankfurt am Main. Ob er jemals hoffte, ungeschoren davon zu kommen, oder ob ihm die Scham derart tief in den Knochen saß, dass er nicht darüber sprechen konnte? Söllner, einer der herausragenden Autoren der rumäniendeutschen Literatur, hat seine moralische Schuld bitter bezahlt, weit über den Rücktritt als Leiter des Hessischen Literaturforums hinaus.
Wenn sich die Frankfurter Zeitschrift „Die Wiederholung“ mit einer monothematischen Ausgabe (4/2017, www.diewiederholung.de, 174 S., 13 €) nun ausschließlich „Zum Werk von Werner Söllner“ äußert, geht es nicht darum, die Person zu rehabilitieren, in dem man die Literatur als das unverletzliche Andere abspaltet. Dazu zeugt sie, durch alle Jahrzehnte hindurch, viel zu sehr von den Versehrungen, die Söllner im Privaten widerfuhren, wie von der totalitären Verfinsterung, die ihn jenseits einfacher Rollenzuweisungen prägte. Die Herausgeber Alexandru Bulucz, Paul-Henri Campbell und Leonard Keidel, selbsterklärte „Kinder der Unschuld“ um die 30, ermahnen sich in Bezug auf nachgetragene Urteile ohnehin zur Zurückhaltung.

Selbstbefragung eines Zerbrechlichen

Dafür leben die Essays dieser seit 2016 zweimal jährlich erscheinenden „Zeitschrift für Literaturkritik“ von einem umso größeren analytischen, mitunter fast akademischem Ehrgeiz, den Motiven von Söllners Dichtung auf die Spur zu kommen. So gibt Ingo Ebener Aufschluss über den bis zum jüngsten Band „Knochenmusik“ (2015) reichenden Dialog mit Paul Celan, der mit der Diplomarbeit des Studenten begann. Campbell schlägt Schneisen durch den Band „Der Schlaf des Trommlers“ (1992), der den Dichter in seiner Fragilität zeigt: „Ich kenne mich / kaum und was mit mir ist. / Bodenlos und ohne Bedeutung / die Zweige, die Stamm /und Rinde erreichen. / Als hätte ich zu viel gesehn und angeschaut / nicht genug. Wie wenn der Krug / von Anbeginn nicht ganz / gewesen wäre.“ Eröffnet wird das Heft von einem intensiven Gespräch („Ich bin einverstanden mit dem Tod“) und ergänzt von unveröffentlichten Texten. „Kann Sprache noch Heimat sein?“, fragt Söllner in einem Aufsatz. Eine von sieben Gegenfragen lautet: „Kann ,wenigstens’ Sprache noch Heimat sein?“ Das schillernde „Gewiss doch“, das er sich abringt, ist der Grund seiner in ihrem ewigen Schwanken immer neu zu erschreibenden „Gegen-Heimat“.

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