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Die 90-jährige Ungarin Éva Fahidi ist euphorisch, überlebt zu haben.

© Film Kino Text

Zarter Dokumentarfilm über eine Auschwitz-Überlebende: Ob man Trauma tanzen kann?

Eine ungarische Kinodokumentation über die 90-jährige Éva Fahidi beweist, dass es möglich ist: „Das Glück zu leben“.

Zarter als dieser Film es tut, kann man dem Horror nicht ins Gesicht blicken: 49 Verwandte der 90-jährigen Ungarin Éva Fahidi wurden im Holocaust ermordet. Sie ist die einzige Überlebende, die noch heute parat hat, dass Zyklon B bei 26 Grad Celsius am effektivsten tötet.

Da fragt die Regisseurin Réka Szábo an: Möchte sie aus ihrer Biografie eine Tanzperformance entwickeln? Zusammen mit der jungen Tänzerin Emese Cuhorka? Und ob sie will!

Éva soll erzählen und tanzen

Drei Monate Zeit haben sie. Éva soll erzählen und auch selbst mit tanzen. Und es entsteht nicht nur der Bericht einer Zeitzeugin mit monströsen Erfahrungen und gelenkigen Beinen, sondern etwas Neues, verstörend Schönes und Gegenwärtiges.

Die drei Frauen spinnen feinste Fäden von der Gegenwart in die Vergangenheit: „Stell Dir vor, Emese ist eine Person, die Du sehr gemocht hast. Und wenn sie tanzt, dann schaust Du sie an, als wäre sie diese Person.“ – Und es tanzt die junge Emese Cuhorka und die Kamera wandert in Évas Gesicht. – „Verrätst Du mir, wer das war?“ – „Meine kleine Schwester!“ Die sie zuletzt an der Rampe von Auschwitz gesehen hat. Da war die Schwester elf.

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Die drei malen nicht etwa den Horror des Verlustes aus, düster, kämpfend, wütend, leidend. Nein, sie verkörpern Évas lebenslanges Sehnen. Und so entsteht erstaunlicherweise: Schönheit.

Éva berichtet leise, drastisch und konkret. Man kann gar nicht lange genug in das ruhige, offene Gesicht der 90-jährigen schauen, das immer wieder von innen aufleuchtet. Und das liegt auch daran, dass sie keine Überlebensschuld empfindet, sondern im Gegenteil Euphorie über die schlichte Tatsache am Leben zu sein. „Wenn man einmal in Auschwitz-Birkenau war, dann steht einem das zu. Mir steht das zu. Mir steht alles zu.“

Allerdings.

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Und dann diese scheinbar harmlosen, intimen Szenen, die sich erst im Verlauf des Films, im Anblick ihrer Perversion, zu einem Schlag in die Magengrube verdichten: Da fragt die Regisseurin Éva, die sich zum Ausgehen fertig macht, nach ihren Augenbrauen, ihrem geraden Lidstrich.

[Der Film läuft im Berliner Kino Krokodil.]

Den, antwortet sie, habe sie sich tätowieren lassen. Weil sie ihn mit ihren 90 Jahren vielleicht nicht an jedem Tag so gerade malt. Bei anderen in ihrem Alter hat sie gesehen, wie das verschmieren kann. Erst viel später im Film verbindet sich diese Szene der Selbstachtung mit ihrer Verkehrung: der Tätowierung als fremdbestimmte, entmenschlichende Markierung. Warum, fragt die Regisseurin, habe man ihr keine Nummer auf den Unterarm tätowiert in Auschwitz? – Dafür, sagt Éva, sei überhaupt keine Zeit mehr gewesen. Es waren gerade alle mit Töten beschäftigt.

Und natürlich wird es auch mal anstrengend für die betagte Zeitzeugin, die selbst tanzen wird. Die zum ersten Mal auf einer Bühne steht. Einmal ist sie überzeugt, sich einen Zeh gebrochen zu haben, dann knackst ihre Rippe bei einer Hebefigur. Doch Éva Fahidi ist niemand, die sich durch solche Kleinigkeiten vom Tanzen abhalten ließe.

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