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Der Berlinale-Jurypreisgewinner von 1979: "Alexandria...Why?" von Youssef Chahine.

© Arsenal Kino

Youssef Chahine im Arsenal Kino: Keine Angst vor kontroversen Themen

Ein Mann für alle Genres: Das Arsenal Kino ehrt den bedeutendsten ägyptischen Regisseur Youssef Chahine mit einer Retrospektive.

40 Jahre ist es her, da erfuhr Youssef Chahine seine erste große Ehrung auf einem Filmfestival – obwohl er damals schon fast 30 Jahre als Regisseur gearbeitet hatte. Auf der Berlinale gewann er 1979 den Großen Preis der Jury für „Alexandria … Why?“. Mit diesem Film hat am Wochenende auch die Retrospektive im Arsenal-Kino begonnen, die den gesamten März über Werke des bedeutendsten Regisseurs Ägyptens zeigt.

„Alexandria … Why?“ ist ein Erzählsturm, für hollywoodgeschulte Augen und Ohren beinahe eine Überforderung. So viele Figuren und Handlungsstränge, so viel zu sagen in so schnellem Tempo. Chahines Filme platzen fast vor Freude am Mitteilen, Zeigen und Montieren. „Alexandria … Why?“ spielt zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs, als die Nazis vor den Toren stehen und die ägyptische Armee gemeinsam mit den Briten dagegen hält. Und wie führt Chahine hinein in diese angespannte Lage? Mit fröhlich-bunten Strandbildern, die sich abwechseln mit schwarz-weißen Kriegsaufnahmen. Auf die Visage Hitlers folgt eine Wasserskifahrerin mit Krönchen.

Im Zentrum dieses Strudels aus Dokumentarbildern, Traumsequenzen und Erinnerungsfetzen steht der Schüler Yehia (Mohsen Mohiedine), der von einer Filmkarriere träumt, auf eigene Faust Revuen aufführt und letzten Endes zum Studium am Pasadena Playhouse in Kalifornien zugelassen wird. Durch diesen Yehia erzählt Youssef Chahine (1926–2008) seinen eigenen Weg zum Film. In drei weiteren autobiografischen Werken wird er im Laufe der Jahrzehnte immer wieder zu ihm zurückkehren: 1982 in „An Egyptian Story“, sieben Jahre später in „Alexandria Again and Forever“ und 2004 in „Alexandria … New York“.

1947 wütete die Cholera in Kairo

Auch diese Arbeiten sind Teil der Arsenal-Retrospektive, die 19 von Chahines 37 Langfilmen versammelt, sowie einen Kurzfilm. Sie tragen die Themen in sich, an denen sich der Regisseur zeit seiner 57-jährigen Karriere abgearbeitet hat: an Alexandria, seiner Heimatstadt, an der Geschichte Ägyptens sowie an seiner Liebe zu den Menschen und zum Kino. Besonders das Musical amerikanischer Prägung hat es ihm angetan. So widmet er 1986 seinen Film „The Sixth Day“ der Hollywood-Ikone Gene Kelly: „dafür, dass er unsere Jugend mit Freude erfüllt hat“.

Der Titel des Films spielt auf den sechsten Tag im Verlauf einer Cholera-Erkrankung an, der darüber entscheidet, ob man stirbt oder wieder gesund wird. 1947 wütete die Krankheit in Kairo. Dort versucht Saddika, gespielt von der Sängerin Dalida, ihr Enkelkind vor dem Seuchentod zu retten. Klingt nach Drama? Ist es auch. Aber gleichzeitig Komödie, Suspense-Thriller und eben Musical, wenn ihr der deutlich jüngere Gaukler Okka (Mohiedine aus „Alexandria … Why?“) seine Liebe mit Gesang und Tanz offenbart.

Ob auf der Berlinale oder in Cannes. Der Filmerzähler Youssef Chahine reüssierte auch international.
Ob auf der Berlinale oder in Cannes. Der Filmerzähler Youssef Chahine reüssierte auch international.

© Khaled Desouki/AFP

Der virtuose Wechsel der Genres ist charakteristisch für Youssef Chahines Filme. Schon in seinem neorealistisch geprägten Frühwerk „Cairo Station“ (1958) bringt er auf gut 70 Minuten Laufzeit nahezu alle Gattungen unter, die das Kino zu bieten hat. Sogar Horrorelemente, wenn der klumpfüßige Zeitungsjunge Kenawi (Chahine selbst) der Getränkeverkäuferin Hanuma (Hind Rostom) derart hoffnungslos verfällt, dass er beschließt, sie umzubringen. Auch wenn die betont laszive Darstellung der Frauenfiguren heute deutlich überholt wirkt, strotzt der Film vor kreativer Energie. Aus dem Gequirle am Bahnhof – mitsamt Gewerkschaftsgründung und dem Kurzauftritt einer Rock’n'Roll-Kombo – entsteht das Porträt einer Gesellschaft im Wandel.

Von muslimischer und christlicher Seite unter Beschuss

So kurzweilig Chahines Filme auch sind: Der Regisseur hat sie nie im luftleeren Raum des Unterhaltungskinos belassen. Immer wieder verhandelt er politische und religiöse Themen, gerne auch am Rande des Verbots. 1994 steht er von muslimischer und christlicher Seite unter Beschuss, als er sich in „The Emigrant“, einem seiner vielen Historienfilme, der biblischen Geschichte Josephs widmet. Ein Streit, den Chahine erst vor Gericht für sich entscheidet.

Vor einer Konfrontation hat sich der Ägypter mit den libanesisch-griechischen Wurzeln nie gescheut. „Bei allen meinen Projekten gehe ich ein hohes Risiko ein. Ich muss kämpfen wie verrückt“, sagte er 1997 in einem Interview mit der „International Herald Tribune“. „Ich verbringe 80 Prozent meiner Zeit mit Politik, 20 Prozent mit Filmemachen.“ Jeder Penny, den er verdiene, fließe zurück in seine Filme. „Ich kann es mir gar nicht leisten aufzuhören.“ Gelohnt hat es sich dennoch: 1997 bekam Youssef Chahine in Cannes einen Preis fürs Lebenswerk. Es wird Zeit, diesen irrlichternden Geist des ägyptischen Kinos wiederzuentdecken.

Noch bis zum 31.3. im Kino Arsenal

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