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Zugewandt. Ludovic Morlot dirigiert das NYO-China.

© Mutesouvenir/Kai Bienert

Young Euro Classic: Chinesische Premiere im Konzerthaus

Zwischen nationaler Identität und modernem Auftreten: Das 2016 gegründete National Youth Orchestra of China tritt zum ersten Mal bei Young Euro Classic auf.

Herzlich aufgenommen werden alle Orchester, die bei Young Euro Classic am Gendarmenmarkt zu Gast sind. Doch es gibt Abende, an denen eine besondere Neugier hinzukommt, wie kurz vor Ende des Festivals beim Auftritt des National Youth Orchestra of China. Es ist ein im wahrsten Wortsinn junges Ensemble, erst 2016 gegründet und mit größter Entschlossenheit darauf fokussiert, Talente zwischen 14 und 21 Jahren gezielt zu fördern. Schon 2017 wurde zusammen mit Yuja Wang am Klavier die Carnegie Hall erobert. Nun führt die erste große Europa-Tournee das NYO-China zum ersten Mal zu Young Euro Classic.

Natürlich liegen dabei auch Werke des Nationalkomponisten Xiaogang Ye auf den Pulten, gefolgt von Beethoven und Schostakowitsch, ein wuchtiger und herausfordernder Parcours. Die jungen Musikerinnen und Musiker versuchen schon optisch einen Spagat zwischen nationaler Identität und modernem Auftreten. Ihre schwarzen Westen tragen vorn traditionelle Stickarabesken, während die Rückenseite in purem Rot leuchtet wie die Fahne, die vor dem Konzerthaus flattert. Aus der „Tianjin-Suite“ von Xiaogang Ye gibt es die beiden Sätze „Sonnenlicht“ und „Dämmerung“.

Wer hier an Impressionismus europäischer Prägung denkt, an zarte Farbspiele und diskrete Nuancen, liegt verkehrt. Der Sound ist dem amerikanischer Filmmusik weitaus näher, angefüllt von kollektivem Pathos, das durch alle Register des Orchesters orgelt. Ludovic Morlot, der französische Maestro, versucht, den Auf- und Abschwüngen etwas Delikatesse mitzugeben, weiß aber, dass diese Musik von einem festen Unisono lebt.

Mit Schostakowitsch kehrt die Kraft zurück

Das NYO-China gehört zum Kreis jener mutigen Orchester, die sich dieses Jahr bei Young Euro Classic Beethoven nähern. Er bleibt ein erstaunlich harter Brocken für junge Orchester, denn sein Furor ist in einer Musiksprache eingeschlossen, die sich nur schwer vermitteln lässt. Dem sonst so strahlend-mitreißenden 5. Klavierkonzert fehlt komplett der rhetorische Kern, der Beethoven so aufregend macht. Es klingt, als habe das Orchester schlagartig an Kraft verloren und spiele nur noch mit halber Lautstärke, was gar nicht stimmt. Das Allegro wird lang und länger, ein Umstand, dem auch der ungemein lässig am Klavier präsidierende Garrick Ohlsson nichts entgegensetzt – wohl aus der Einsicht, dass sich hier nichts drehen ließe, selbst wenn der Solist sein Herz auf die Tasten legen würde. Also lässt es der Routinier sein, und das Stück rinnt immer mehr in die Breite, bis den tapferen Hörnern die Puste auszugehen droht.

Dass das NYO-China jedoch alles andere als erschöpft ist, zeigt sich nach der Pause. Mit Schostakowitsch kehrt die Kraft zurück, und mit ihr flammt erstmals auch eine Lust am Klang im Orchester auf, die das Westenrot angriffslustig züngeln lässt. Ausgerechnet die Fünfte, jene „Musik des Alleingelassenseins in einer Welt voller Gewalttaten“, wie sie Kurt Sanderling einmal charakterisierte, spricht unmittelbar zu den junger Musikerinnen und Musikern. Nicht dass sie alle Bitternis dieses Stücks bis zu Neige auskosten, doch die Soli gewinnen berührende Kontur, während die Märsche ihr Machtpotenzial ungebremst ausspielen.

Es gibt einen aufstampfenden Schostakowitsch als Zugabe, darauf folgt noch einmal chinesisches Unisono. Und plötzlich klingt es verändert, wie aufgebrochen oder zumindest angeknackst. Großer Jubel im Konzerthaus.

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