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Yael Ronen kam 1976 in Jerusalem zur Welt. In Deutschland wurde sie mit „Dritte Generation“ bekannt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Yael Ronen im Porträt: Das letzte Tabu

Yael Ronen ist Hausregisseurin des Berliner Maxim-Gorki-Theaters und Expertin für Konflikte. Zum Saisonauftakt zeigt sie „Erotic Crisis“.

Von Sandra Luzina

Diesen Spagat muss ihr erst mal einer nachmachen: Yael Ronens letztes Stück am Gorki-Theater, „Common Ground“, handelte von den Folgen des Balkan-Krieges. In ihrer neuen Inszenierung besichtigt die Hausregisseurin eine Kampfzone, bei der es eher unblutig zugeht: In „Erotic Crisis“ geht es um Liebe, Libido und Beziehungsfrust. Und um die Frage: „Haben eigentlich alle aufregenden Sex, nur ich nicht?“

Wenn man Yael Ronen fragt, ob sie sich denn wenigstens ein bisschen schuldig fühlt, nach den brisanten Stoffen – auch den Nahostkonflikt hat sie schon thematisiert – ein so leichtes Thema anzupacken, entgegnet sie lachend: „Überhaupt nicht!“ Doch sie fügt hinzu: „Es sollte eigentlich eine Beziehungskomödie werden, doch im Moment entwickelt sich das Stück mehr und mehr zu einem Drama.“

„Erotic Crisis“ spielt – wie könnte es anders sein – im Berlin von heute. Die Stadt ist für ihre Toleranz berühmt: Hier kann jeder nach eigener Façon leben und lieben. Man gibt sich sich gern tabulos. Aber natürlich ist Ronen auf ein neues Tabu gestoßen. „Es ist okay, in die bizarrsten Clubs zu gehen oder Darkrooms zu besuchen – darüber zu reden, bereitet den Leuten keine Schwierigkeiten. Aber wir entdeckten, dass es ein großes Tabu bei Paaren gibt: keinen Sex zu haben – oder schlechten Sex.“

Yael Ronen ist in einer Theaterfamilie in Israel aufgewachsen. Ihr Vater ist künstlerischer Leiter des Habimah-Theaters in Tel Aviv, ihre Mutter Schauspielerin. Ihr Bruder Michael Ronen lebt wie sie als Regisseur in Berlin. Es hätte sie auch gereizt, eine Geschichte wie die ihrer Eltern zu erzählen, sagt sie. Doch nun konzentriert sie sich auf die Liebesunordnung in ihrem Berliner Umfeld. „Viele haben mit dem Übergang vom Paar zur Familie zu kämpfen, mit der Krise nach dem ersten Kind, der Krise nach dem zweiten Kind“, stellt Ronen fest. Die fiktiven Geschichten in dem Stück handeln von langjährigen Beziehungen: „Es geht um Paare, bei denen das Mysterium schon verflogen ist und die alle drei Jahre vor demselben Dilemma stehen: Wie sie den Wunsch nach Geborgenheit mit der Lust auf Abenteuer und Freiheit unter einen Hut bringen können.“ Doch neben den beiden Paaren jagt in „Erotic Crisis“ auch eine Single-Frau den sexuellen Verheißungen hinterher.

Ronen hat das Stück gemeinsam mit fünf Schauspielern erarbeitet, die alle schon mit ihrer Arbeitsmethode vertraut sind. Sie haben sich Pornos im Internet angeschaut, das Balzverhalten im Berliner Nachtleben studiert und bei ihren Recherchen auch Tantra-Workshops besucht. Der Suche nach der ultimativen Befriedigung nähert Ronen sich mit tabulosem Humor. Der ist so etwas wie ihr Markenzeichen.

Ihre Inszenierungen haben oft etwas von einer Gruppentherapie. Berühmt wurde sie in Deutschland durch die Produktion „Dritte Generation“, die immer noch an der Schaubühne läuft. Israelische, palästinensische und deutsche Darsteller hauen sich gegenseitig ihre Vorurteile und Verletzungen um die Ohren. Auch diesmal legt Ronen den Finger in die Wunde. Bei den Gesprächen habe sie gemerkt, um was für ein sensibles Thema es sich handelt. Liebe tut weh – immer noch.

Während Ronen arbeitet, kümmert sich ihr Mann um Sohn und Haushalt

Yael Ronen kam 1976 in Jerusalem zur Welt. In Deutschland wurde sie mit „Dritte Generation“ bekannt.
Yael Ronen kam 1976 in Jerusalem zur Welt. In Deutschland wurde sie mit „Dritte Generation“ bekannt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Doch immer wieder blitzt ihre Ironie auf. Sie amüsiert sich auch darüber, wie obsessiv wir einer bestimmten Vorstellung von Sex und Erfolg hinterherrennen. Und mokiert sich über die maßlosen Ansprüche bei der Partnerwahl: „Heute denkt jeder, er habe Glück und Zufriedenheit verdient. Wir wollen, dass alle unsere Bedürfnisse erfüllt werden – und zwar von einer Person.“

Oft wird behauptet, der Feminismus sei schuld an der gegenwärtigen Misere. Oder der Kapitalismus mit seiner Konsumkultur. All das beschreibe eine veränderte Realität, tauge aber nicht allein als Erklärung, findet Ronen. Sie ist auch auf ganz klassische Konflikte gestoßen. „Als sich einer das monogame Familienmodell ausgedacht hat, war es noch nicht ausgereift“, scherzt sie. Berlin kommt ihr wie ein Labor der zwischenmenschlichen Beziehungen vor. „Es gibt viele Gruppen oder Communities, die nach Alternativen suchen zu dem Monogamie-Modell, sei es nun hetero- oder homosexuell. Das mag eine Weile funktionieren, doch ich glaube nicht, dass schon eine Lösung für langlebige Beziehungen gefunden wurde. Aber das Interessante ist, dass jeder in dieses Experiment involviert zu sein scheint.“

Dass sie so entspannt über das Thema reden kann, hat auch mit ihrem Mann zu tun, dem palästinensischen Schauspieler Yousef Sweid. „Er ist der Feminist“, sagt Ronen lachend. Während sie am Gorki-Theater probt, kümmert er sich um den gemeinsamen Sohn und um den Haushalt. „Wenn ich meine Beziehung mit der meiner Eltern vergleiche, dann sehe ich einen großen Generationsunterschied – was die Arbeitsteilung und die Verteilung der Macht angeht.“ Begreift sie selbst sich denn als Feministin, wie hält sie es mit dem Feminismus? Ronen überlegt kurz. „Ich praktiziere ihn, ohne ihn zu predigen“, stellt sie klar. „Normalerweise ist es genau andersrum.“

Deutsche Männer hält sie für kompliziert, lässt sie sich noch entlocken. „Männlichkeit ist zur Zeit ein großes Thema hier. Ich habe den Eindruck, dass es in Deutschland als große Notwendigkeit empfunden wurde, eine neue Spezies Männer zu kreieren, das gehörte zum Imagewandel.“ Sie fügt seufzend hinzu: „Im Nahen Osten gibt es leider keine Krise der Männlichkeit. Deswegen finden dort diese barbarischen Kriege, diese kindischen Machtspiele statt.“

Die politische Weltlage – sie ist bei Ronen immer präsent. Als der Gaza-Krieg ausbrach, war sie gerade in Israel. „Es war deprimierend. Ich hatte das Gefühl, in einer Zeitschlaufe zu stecken.“ Israelisch- palästinensische Paare seien eh schon eine Seltenheit in ihrer Heimat, doch nun zögen sie den Zorn der Ultranationalisten auf sich. „Ich habe mich wie eine Außenseiterin gefühlt, wie eine Fremde.“

Mit Blick auf ihren fünfjährigen Sohn, der eine Berliner Kita besucht, stellt sie fest: „Es ist traurig, das ich das sagen muss. Aber ich bin froh, dass ich mein Kind nicht in Israel aufziehen muss.“ So etwas laut auszusprechen wäre in Israel sicher ein Tabu.

Maxim-Gorki-Theater: Premiere 13.9., 19.30 Uhr; 15., 19./20.9. u. 28.9., 19.30 Uhr

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