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Szene aus "Sag nicht, wer du bist!"

© Koolfilm

Xavier Dolans Thriller „Sag nicht, wer du bist!“: Das geht auf die Nerven

Der kanadische Filmemacher Xavier Dolan bleibt mit dem Psychothriller "Sag nicht, wer du bist!" seiner Linie treu: Die Mutter-Sohn-Geschichte inszeniert er als Etüde über die Irrationalität der Trauer und Faszination der Gewalt.

Da schreibt einer mit Wasserfarbe auf die Serviette, schreibt von seiner Trauer und dass ihm keine Synonyme fürs Traurigsein mehr einfallen. Und die Kamera fliegt übers Wasser, über endlose Felder eine schnurgerade Straße entlang, in einer gottverlassenen Gegend irgendwo in Kanada.

Toms Freund Guy ist gestorben, er war erst 25, Tom singt und schreit hinterm Steuer, während er zu Guys Familie auf die Farm fährt, zur Mutter und zum Bruder. Sie sagen Guillaume, nicht Guy, der Vater ist schon länger tot, morgen ist die Beerdigung. „Tom à la ferme“ heißt der Film im frankokanadischen Original (uraufgeführt 2013 beim Filmfest Venedig), das trifft es besser als der deutsche Titel „Sag nicht, wer du bist!“ Er basiert auf einem Theaterstück von Michel Marc Bouchard, und Regisseur Xavier Dolan, der die Hauptrolle spielt, hat eine seltsame Mischung aus dokumentarischer Nüchternheit und Thriller angerichtet, deren stilistische Stringenz den Zuschauer in Bann zieht, um einem im nächsten Moment, mit Verlaub, auf die Nerven zu gehen.

Gesichter im Halbschatten. Reglose Kamera. Panische Fluchtbewegungen. Gezielte Unschärfen, lauernde Gefahr. Die düstere Wohnung, die Schemen der Kühe im Stall, die aus der Dunkelheit herausgefräste Klaustrophobie. Spätromantik, Hollywood, der symphonische Soundtrack von Gabriel Yared eröffnet dem Kammerspiel einen großen imaginären Raum. Die Schauspieler wirken verloren darin. Xavier Dolan selber, allzu sehr in seinen strohblond gefärbten Wuschelkopf verliebt. Lise Roy als Mutter Agathe, die nicht weiß, nicht wissen will, dass ihr Sohn schwul war. Und Pierre-Yves Cardinal als Guys Bruder Francis, der die Lebenslüge der Familie brutal verteidigt.

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Das "Wunderkind" Dolan bleibt im Thema

Francis jagt Tom ins Maisfeld mit seinem messerscharfen Blattwerk, droht ihm, schlägt ihn, lässt die Räder von Toms Wagen verschwinden, zwingt ihn zu bleiben. Eine sadomasochistische Romanze: Der schwule Stadtjunge erliegt dem homophoben Bauernsohn, Francis' aggressiver Autorität kann Tom sich nicht entziehen. Einmal tanzen die beiden einen rüden Tangotanz in der Scheune. Als auch noch Guys vermeintliche Freundin Sara (Évelyne Brochu) auftaucht und ihn zurückholen will, muss Tom sich entscheiden.

Das Spiel der Darsteller wirkt mitunter angestrengt theatralisch, wird aber vom Realismus des Farmalltags und vom harten Québec-Dialekt konterkariert. Eine tote Kuh wird über den Hof geschleift, die Männer schrubben ihre blutigen Arme nach der Geburt eines Kalbs, das bald ebenfalls verendet. Dolan hat seinen Noir-Thriller mit Hitchcock-Zitaten (Maisfeld! Duschszene!), queeren Camouflagen, Ellipsen und kurzen Flashbacks angereichert, die Bilder spielen gleichsam selber Verstecken.

Als Etüde über die Irrationalität der Trauer, die Brutalität der Lüge und die Faszination der Gewalt passt der Film nahtlos ins bereits beachtliche Œuvre des erst 25-jährigen „Wunderkinds“ Dolan. Schon in „I Killed My Mother“, "Herzensbrecher", „Laurence Anyways“ und im Musikvideo „College Boy“ befasste er sich mit sexueller Identität und Diskriminierung, mit familiär Verstrickung und schier unmöglichen Liebespaaren. Auch „Mommy“, der im Mai in Cannes den Jury-Preis gewann und im November ins Kino kommt, bleibt im Thema: wieder eine Mutter-Sohn-Geschichte, wieder eine Dreierkonstellation.

In Berlin ab Donnerstag, 21. August, im Filmtheater am Friedrichshain, Xenon. OmU: Hackesche Höfe, Eiszeit, Moviemento, Rollberg

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