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Kultur: Wunden zweier Welten

Fatou Diomes Bestseller „Der Bauch des Ozeans“

Es sind berührende Geschichten, die Fatou Diome von den Menschen aus dem Fischerdorf Niodior im Senegal, wo sie 1968 geboren wurde, erzählt. Von dem alten, schwermütigen Lehrer Ndetare etwa, den sie „den Fremden“ nennen. Einsam stemmt er sich gegen die Macht der Traditionen. Fremd in ihrer alten Heimat fühlt sich auch die Ich-Erzählerin des Buches, die junge Salie, die nach der gescheiterten Ehe mit einem Franzosen seit zehn Jahren in Straßburg lebt. Als sie wieder zu Besuch in ihr Dorf kommt, muss sie den Spott ihres Bruders Madické ertragen. Er wirft ihr vor, ihn nur davon abhalten zu wollen, wie sie nach Frankreich zu gehen: „Wenn du es besser findest, sich zu Hause durchzuschlagen, warum kommst du dann nicht selber zurück? Beweis uns doch, dass deine Ideen funktionieren! Ich soll hierbleiben, und du?“

„Der Bauch des Ozeans“ ist ein Roman über den ewigen Traum von der Flucht aus der Armut, dem immer mehr Menschen erliegen, als willige Opfer von Schlepperbanden. Und er ist eine Parabel über den „Walzer zwischen zwei Welten“, über Heimatlosigkeit und die Gespenster der Tradition: „Die Dritte Welt ist mit ihren Wunden so geschlagen, dass sie die Wunden Europas nicht sieht; ihr Schrei übertönt den der anderen“, sagt Salie. Salie, die sich nach ihrer Heimat sehnt und doch nicht mehr dort leben kann, fürchtet, dass es ihrem Bruder ähnlich ergehen könnte wie Moussa, der einst Niodior verließ, um in einer französischen Fußballmannschaft Karriere zu machen. Am Ende kehrte er verbittert zurück und ertränkte sich im Ozean.

In Fatou Diomes erstem Roman spiegelt sich ein Gutteil ihrer eigenen Erfahrungen – auch wenn sie persönlich eine neue Heimat gefunden hat. In Frankreich, wo sie seit 1994 lebt und an der Universität Straßburg lehrt, schaffte sie es nach dem Erzählungsband „La Prérérence Nationale“ mit „Le ventre de l’Atlantique“ sofort auf die Bestsellerlisten. Un das mit Recht: „Der Bauch des Ozeans“ ist ein einfach, bildkräftig und lebendig geschriebener Roman, den man durchaus als Mittelding zwischen der Literatur von Ernest Hemingway und der ihrer Landsfrau Mariama Bâ sehen kann - zwei Autoren, die sie bewundert.

Die ehegeschädigte Salie im Buch hat weniger Glück, sie wird von den ihrigen als Fremde angesehen: „Die traditionelle Gemeinschaft gibt Sicherheit, aber sie erdrückt dich auch und walzt dich platt. Die Bande, die dich mit der Gruppe verknüpfen, nehmen dir die Luft zum Atmen, und du denkst nur noch daran, sie zu zerreißen.“ So erzählt Fatou Diome, die, ausgehend von den beiden Hauptfiguren des Buches, ein Kaleidoskop afrikanischen Lebens entwirft, auch die Geschichte der Dorfschönen Sankèle, einer unabhängigen Frau, die sich weigert, den Mann zu heiraten, den ihr Vater und die Strategen der Dorfgemeinschaft für sie bestimmt haben. Denn Sankèle liebt Ndetare, den Dorfschullehrer; und sie hat ihre Mittel, diese Liebe Realität werden zu lassen: „Wenn Diplomatie zwischen den Beinen der Frau beginnt, können auch Kriegserklärungen von dort ausgehen. So hatte sie ihre Jungfräulichkeit dem Mann geschenkt, den sie liebte, weil diese Ehre nur ihm gebührte.“

Sankèle wird schwanger von Ndetare, aber ihr Kind verliert sie auf die schlimmstmögliche Weise: Der eigene Vater nimmt es ihr, weil er es für einen „Bastard“ hält. Das Gesetz der Sippe wird zum Wegbereiter der Katastrophe. Sankèles Vater erstickt das Neugeborene und wirft das Bündel in den Ozean, wo es sich, der Legende nach, in einen Delphin verwandeln soll. Sankèle, der nach der Scharia ebenfalls der Tod droht, flieht in Männerkleidern aus Niodior.

Am Ende gelingt es ihr, ihren Bruder von seinem Europatraum abzubringen. Zu viele Glücksritter hat der „Bauch des Ozeans“ schon verschlungen. So schickt Salie Madické Geld für eine Zukunft auf der Insel, wo der Bruder schließlich ein kleines Ladengeschäft eröffnet. Sie aber geht zurück nach Frankreich und empfindet ihre Rückkehr fast wie einen Verrat: „Diese Sehnsucht nach Frankreich, ich trug sie in mir wie ein ungewolltes Kind, stumm und zerknirscht. Ich habe überall Wurzeln und bin ständig im Exil.“

Fatou Diome: Der Bauch des Ozeans. Roman. Aus dem Französischen von Brigitte Große. Diogenes Verlag, Zürich 2004. 224 Seiten, 17,90 €.

Volker Sielaff

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