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„Wrapped Reichstag“.

© Wolfgang Volz/laif

"Wrapped Reichstag" von Christo zurück in Berlin: Der Zipfel der Geschichte

Der „Wrapped Reichstag“ von Christo war in den neunziger Jahren eine unglaubliche Image-Kampagne für Berlin. Jetzt kommt die Sammlung zurück in die Hauptstadt. Ein Unternehmer hat sie gekauft und stellt sie dem Bundestag zur Verfügung. Ein Coup im Herzen der Republik.

Wenn Christo am 13. Juni seinen 80. Geburtstag feiert, dann hat er sein schönstes Geschenk schon bekommen. Das 350 Stücke umfassende Konvolut zum „Wrapped Reichstag“, das seit der Verhüllung vor genau zwanzig Jahren immer zusammen gehalten wurde, geht nach Berlin. Die Gefahr, dass die Kollektion überall verstreut wird, ist damit gebannt. Nachdem der Ältestenrat des Bundestages vor wenigen Tagen seine Zusage gegeben hat und nun auch die entsprechenden Verträge unterschrieben sind, werden die Exponate genau dort zu sehen sein, wo die Geschichte begann: im Reichstagsgebäude. Möglich wird dies durch einen Leihvertrag mit dem Unternehmer Lars Windhorst, der die Sammlung privat für mehrere Millionen Euro erwarb und dem Bundestag zunächst für zwanzig Jahre zur Verfügung stellt. Die Memorabilien sind damit für Berlin gerettet.

Lange Zeit sah es nicht danach aus. Die Zeichnungen bis hin zur ersten vorbereitenden Skizze von 1972, die 3-D-Modelle, Stoffproben und Fotografien befanden sich in den letzten Jahren in einem Basler Depot, nachdem die internationale Ausstellungsttournee im Anschluss an die Reichstagsverhüllung abgeschlossen war. Von dort hätten die Einzelstücke in alle Welt verkauft werden können. Die Versuchung dürfte für Christo groß gewesen sein, damit die nächsten Großprojekte zu finanzieren. Denn zu den Prinzipien seiner Kunst im öffentlichen Raum gehört es, keine staatlich Zuschüsse anzunehmen, um unabhängig zu bleiben. Für die eingelagerten Stücke hätte es zweifellos Interessenten gegeben, einen Markt gibt es immer noch. Der Berliner Bausenator Wolfgang Nagel bezahlte damals für die Erwerbung eines Bildes 470 000 DM – als Erinnerung an einen glücklichen Moment für die Stadt.

Als Dauerleihgabe zurück nach Berlin

Mit dem „Wrapped Reichstag“ bescherten Christo und seine 2009 verstorbene Ehefrau Jeanne-Claude 1995 dem wiedervereinten Deutschland einen Sommer der Heiterkeit, der Aufgeschlossenheit, der Kommunikation. Wer den verhüllten Koloss damals erlebt hat, war bezaubert von dem verwandelten Monument und der irisierenden Wirkung der metalldurchwirkten Ummantelung. Der zwei Wochen dauernde Ausnahmezustand wurde zum gigantischen Happening durch die vielen Begegnungen auf dem Gelände rundum. Der „Wrapped Reichstag“ avancierte zum Symbol eines veränderten Deutschland, einer sympathischen Hauptstadt. Der Berlin-Hype nahm damit seinen Anfang. Der „Wrapped Reichstag“ war die beste Image-Kampagne für die zu Beginn der neunziger Jahre noch international misstrauisch beäugte Republik. Was läge näher, als die Bruchstücke dieser kollektiven Erinnerung, das in Basel lagernde Konvolut, nach Berlin zu holen?

Lange hat sich der um Christo und Jeanne-Claude gescharte Freundeskreis, zu dem die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, der Hauptorganisator Roland Specker und Kunstanwalt Peter Raue gehören, darum bemüht, Sponsoren für einen Ankauf zu gewinnen. Vergeblich. Von der Museumsinsel und dem Humboldt-Forum weiß man, dass die Akquise von Spenden in Berlin ein mühsames Geschäft ist. Unter den angesprochenen Gönnern aber hat sich am Ende mit Lars Windhorst einer gefunden, der nicht Geld für eine Stiftung gab, sondern die Sammlung privat erwarb, um sie dem Bundestag als Dauerleihgabe zur Verfügung zu stellen. Ein Glücksfall für Christo und den Reichstag, wo das Konvolut nach der parlamentarischen Sommerpause im Präsidialflügel zu sehen sein wird – und eine Pointe der Geschichte. Denn Windhorst wurde Anfang der Neunziger als Wirtschaftswunderkind bekannt, er durfte Bundeskanzler Helmut Kohl nach Asien begleiten. Der CDU-Politiker gehörte damals zu den Gegnern des „Wrapped Reichstag“, da er die Verunglimpfung eines Nationaldenkmals befürchtete. Wie Wolfgang Schäuble, der ebenfalls strikt gegen das Projekt war, sollte er seine Meinung später ändern.

Ein Stück Zeitgeschichte

Dass ausgerechnet Kohls Ziehsohn die Souvenir-Sammlung des „Wrapped Reichstag“ zurück nach Berlin holt, passt zu den Ambivalenzen des Kunstprojektes, von dessen Ausstrahlung jeder auf seine Art bis heute profitiert. War es damals das Berliner Stadtmarketing, so ist es nun ein schillernder Unternehmer, der mehrfach in die Insolvenz ging, sich berappelte und heute seine Finanzgeschäfte von London aus verfolgt. Der inzwischen 39-Jährige gibt sich gern als ein Freund der Kunst. Er gehört zu den Trustees der Londoner Serpentine Gallery, unterstützt die Tate Modern und ist Hauptsponsor der Berliner Fotogalerie c/o, die seit dem vergangenen Jahr im Amerika-Haus residiert.

Mit dem „Wrapped Reichstag“ landet Windhorst einen Coup im Herzen der Berliner Republik. Christo selbst wird die Ausstellung einrichten, die auch der Öffentlichkeit zugänglich sein soll. Geplant sind eigene Führungen, zu denen sich die Besucher anmelden können. Um einen silbrig glänzenden Zipfel der Geschichte zu erhaschen.

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