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"Black Birds" von Heba Khamis: Jochen (71) verliebte sich in Mohamed (21), der zu der Zeit im Tiergarten als Stricher arbeitete.

© Heba Khamis

World Press Ausstellung: Fotos, die zurückstarren

Intime Perspektiven: 4700 Teilnehmer waren in der Auswahl des World Press Photo Wettbewerbs. Das Willy-Brandt-Haus zeigt nun die Gewinneraufnahmen.

Jochen und Mohamed sitzen auf einem Baumstamm, ihre nackten Rücken deuten Intimität an. Der Ergraute umarmt den Jungen, legt seinen Kopf auf dessen schmächtiger Schulter ab. Dem Betrachter zeigen sie sich ausschließlich von hinten, nur das wuchernde Geäst kennt ihre Gesichter. „Lady, was machst du hier?“, fragten die afghanischen Jungen sie besorgt, als sie für ihre Recherche allein im Park an der Siegessäule umherwanderte, erzählt Heba Khamis während der Ausstellungseröffnung des World Press Photo Wettbewerbs in Berlin. Khamis gewann mit ihrem Projekt „Black Bird“ den zweiten Preis der Kategorie „Porträts“. Die ägyptische Fotografin begleitete eine Gruppe junger Geflüchteter, die wenige Kilometer vom Willy-Brandt-Haus entfernt anschaffen: Während sie auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge warten (was oft mehrere Jahre dauert), ist die Prostitution im Tiergarten ihre einzige Möglichkeit Geld zu verdienen. Auch wenn viele von ihnen nicht schwul sind, ist die Sexarbeit für sie das kleinere Übel.

Die Fotos wirken wie Detox

Heba Khamis ist eine der beiden Preisträgerinnen, die ihre künstlerische Arbeit unter dem „runzligen Willy“ vorstellen. Zum 16. Mal findet die Ausstellung des größten Fotojournalistenwettbewerbs in der SPD–Bundeszentrale statt. Die herausragenden Fotos sind die, die einen zurück angucken. Wütend, ängstlich, vorwurfsvoll oder auch verächtlich, befindet Benjamin Anker in seiner Eröffnungsrede. Für den niederländischen Diplomaten sind die Arbeiten wie unzuverlässige Erzähler, die einen zwingen, eine Haltung einzunehmen. „Die wirken wie Detox“, sagt er, sie entschlacken den Bilderrausch.
1955 wurde der Preis von der schwedischen World Press Photo Foundation erstmals vergeben. Damals hatten 42 Fotografinnen und Fotografen 301 Aufnahmen eingesendet, 2019 sind es das 250-fache. Aus 4700 Teilnehmern wählte die Jury 42 Preisträgerinnen und Preisträger aus. „Es gibt nicht nur eine Wahrheit“, bekräftigt Sophie Boshouwers, die Vertreterin des Wettbewerbs.

Vehementer Aufschrei nach der Fotoveröffentlichung

Einige der Arbeiten ziehen weitreichende Folgen nach sich. Etwa beim diesjährigen Gewinnerfoto des US-Amerikaners John Moore. Das Foto hat es zu weltweiter Berühmtheit gebracht, es zeigt die weinende Yanela Sanchez. Während ihre Mutter am 12. Juni 2018 von einem Grenzwächter abgetastet wird, steht das Kleinkind weinend zwischen dem Bus der Grenzpolizei und den Beinen ihrer Mutter. Der Ausschnitt des Bildes deutet die physische Trennung von Mutter und Kind an – auch wenn Sandra Sanchez und ihre Tochter (wie anfänglich behauptet) nicht getrennt wurden, folgte ein internationaler Proteststurm gegen die Einwanderungspolitik Donald Trumps. Die Gewinnerfotos geben politischen Missständen und vergessenen Akteuren ein Gesicht. Die prämierten Fotografien warten darauf zurückzugucken.

Bis zum 23. Juni im Willy-Brandt -Haus, Wilhelmstraße 140. Der Eintritt ist frei.

Alexandra Ketterer

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