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Großes Ego. Maskulinist Norman Mailer (Scott Shepard) geht mit Wörtern nicht gerade zimperlich um.

© Gianmarco Bresadola/Schaubühne/The Wooster Group

Wooster Group in Berlin: Schluss mit den Machos!

Siebziger reloaded: Die Avantgarde-Pioniere der Wooster Group gastieren mit „The Town Hall Affair“ in der Berliner Schaubühne.

Männer haben’s auch nicht leicht. Findet zumindest Norman Mailer, und der muss es wissen. Als einziger Vertreter seines Geschlechts sitzt er auf diesem feindlichen Podium in New York, umgeben von Feministinnen, die seine intellektuelle Reiseflughöhe nicht erreichen oder sich gleich knutschend auf dem Boden wälzen. Andererseits scheint sich der amerikanische Macho-Literat so unwohl in seiner Rolle auch nicht zu fühlen. Als Richter über die Redezeit und statusgewisser Rüpel attestiert er den Frauen mokant lächelnd „Rumgeschwalle“, ruft sie mit dem aristokratischen Stoßseufzer „be a lady!“ zur Ordnung, nennt eine Zwischenruferin „cunty“ (sorry, unübersetzbar) und schnaubt über den grassierenden Windel-Marxismus. Hätte es 1971 schon Twitter gegeben, wäre Mailers Karriere womöglich anders verlaufen.

Die Szenen stammen aus dem Dokumentarfilm „Town Bloody Hall“ von D. A. Pennebaker und Chris Hegedus, der mit Verzögerung 1979 veröffentlicht wurde. Mailer selbst hatte Pennebaker beauftragt, ihn als Moderator einer Debatte zu filmen, zu der das Theatre of Ideas eingeladen hatte, nicht ohne Hoffnung auf Spektakel. Die Spielstätte in New York: ein Performancetheater namens Town Hall. Titel der Veranstaltung: „A Dialogue on Women’s Liberation“ – ein Dialog über die Frauenbewegung.

Der Autor von „Die Nackten und die Toten“ war damals ein vielversprechender Polarisierer. Die Feministin Kate Millet hatte ihm in ihrem Buch „Sexual Politics“ attestiert, ein „Gefangener des Männlichkeits-Kultes“ zu sein. Worauf Mailer in „Harper’s Magazine“ Publicity-wirksam mit dem richtungslosen Essay „The Prisoner of Sex“ antwortete. Ein Text, der im Wesentlichen sein Grauen vor einer Welt beschwor, in der die Frauen dank technologischer Fortschritte nicht mal mehr Kinder kriegen müssen.

Reenactment in der Schaubühne

Im großen Saal der Schaubühne am Lehniner Platz läuft „Town Bloody Hall“ jetzt über einen kleinen Bildschirm, während sich am Tisch davor die Darstellerinnen und Darsteller der legendären New Yorker Wooster Group zum Reenactment der Veranstaltung versammeln. Gerahmt von Passagen aus dem Buch „Lesbian Nation“ der Autorin und Aktivistin Jill Johnston (hier von Kate Valk), in denen sie ihr Unbehagen an der Diskussion und geplante Störversuche in faustreckender Vulva-Power-Pose beschreibt, zu denen es aber nicht kam.

Die Rolle des Norman Mailer teilen sich Ari Fiakos und Scott Shepard, vermutlich, weil dessen Ego zu groß für einen allein war. Maura Tierney (bekannt geworden mit „Emergency Room“) gibt die aufstrebende Intellektuelle Germaine Greer (Autorin von „Der weibliche Eunuch“), die sehr klarsichtig die Rollen seziert, die Frauen in der Kunst zugestanden werden („Schlampen oder Dienstbotinnen“). Greg Mehrten schließlich spielt Diana Trilling, die als renommierte Literaturkritikerin mit Mailer befreundet war und schon deshalb zwischen den Stühlen zu sitzen scheint.

Die Debattenkultur hat sich zersetzt

„The Town Hall Affair“ hat Mitgründerin Elizabeth LeCompte inszeniert. Es ist erfreulich, dass die Schaubühne es geschafft hat, die Avantgarde-Pioniere im Rahmen ihres „Festivals Internationale Neue Dramatik“ (FIND) wieder nach Berlin zu holen. Anfang des Jahrtausends war die Wooster Group um Willem Dafoe (diesmal nicht dabei) häufiger zu Gast, etwa mit dem Hightech-Stück „To You, The Birdie (Phèdre)“.

Viel technischen Aufwand benötigt „The Town Hall Affair“ nicht. Ein bisschen Videoprojektion genügt, nicht nur für Pennebakers Doku, sondern auch für Ausschnitte aus dem Independentfilm „Maidstone“ von Norman Mailer. Als Regisseur und Hauptdarsteller spielt er darin einen berühmten Regisseur, der für die Präsidentschaft kandidiert und seinen Wahlkampf von einem Kamerateam begleiten lässt. Wow, so viele Spiegel!

Als die Wooster Group sich mit dem historischen Feminismus-Dokument „Town Bloody Hall“ auseinanderzusetzen begann, 2015, war Donald Trump noch hauptberuflich im Reality-TV. Seitdem hat sich die Debattenkultur bekanntlich derart zersetzt, dass dieses Reenactment der frühen Siebziger einen ungeahnten Resonanzraum aufmacht. Nicht nur, weil die feministischen Positionen (besonders von Germaine Greer) kein bisschen retro wirken. Sondern weil mit neuer Dringlichkeit auch der Appell an Solidarität zwischen den Diskriminierten durchklingt. In einer der bemerkenswertesten Szenen des Films wird das Podium – das eben auch ein weißes, privilegiertes ist – von einer Zwischenruferin herausgefordert, die sich Einlass verschafft und ruft: „Ich lebe von Sozialhilfe, ich kann mir das Ticket hier nicht leisten!“ Dazu schweigt nicht nur Norman Mailer.

wieder am 14. April, 15 Uhr

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