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Im Drehrausch. Tänzerinnen der brasilianischen Grupo Corpo.

©  Jose Luiz Pederneiras

Wolfsburger „Movimentos“-Festival: Letztes Kapitel im Kraftwerk

Das Wolfsburger „Movimentos“-Tanzfestival geht furios zu Ende. Seine Zukunft aber ist unklar, da es mit dem VW-Kraftwerk seinen Aufführungsort verliert.

Von Sandra Luzina

Ekstase in der Autostadt! Zum Abschluss von „Movimentos“ heizte die brasilianische Grupo Corpo dem Publikum noch mal richtig ein. In „Gira“, das von den Riten des Umbanda angeregt ist, wirbeln die Männer und Frauen in weißen Röcken über die Bühne und steigern sich in einen wahren Drehrausch. In „Dança Sinfônica“, 2015 zum 40-jährigen Jubiläum der Gruppe uraufgeführt, kommt der sinnlich-geerdete, rhythmisch-präzise, locker schwingende Tanzstil gut zur Geltung. Auch wenn Choreograf Rodrigo Pederneiras die Geschlechterrollen doch recht traditionell auslegt: Die brasilianischen Tänzerinnen und Tänzer sind superb.

Mit Grupo Corpo schließt sich der Kreis. Die gefeierte brasilianische Company hat vor 16 Jahren die erste Ausgabe von „Movimentos“ eröffnet – und sie ist die letzte Gruppe, die im Kraftwerk auftritt. Das VW-Werk wird ab Juni von Kohle auf Gas umgestellt. Damit verliert die Autostadt ihren emblematischen Aufführungsort. Die Rede des künstlerischen Leiters Bernd Kaufmann nach der Premiere klang dann doch sehr nach Abschied. Eine „Kathedrale der Bewegung“ nannte Kauffmann das Kraftwerk, sogar vom „Vatikan des Tanzes“ sprach er mit ironischer Emphase, als residiere der Tanzpapst in Wolfsburg. Diese Hochstapelei ist gar nicht nötig. Denn „Movimentos“ wurde durchaus zur Erfolgsgeschichte – und zum Imagefaktor für VW.

Die Ambitionen der Autostadt, ein eigenes Tanzfestival auf die Beine zu stellen, wurden anfangs von der Presse noch kritisch beäugt oder gar belächelt. Volkswagen wollte nicht einfach nur Sponsor sein, sondern eine kulturelle Marke kreieren. Mit Bernd Kauffmann wurde ein bekannter Kulturmanager engagiert. Der brachte mit Jürgen Wilke einen Tanzexperten mit, der gute Verbindungen hat. „Movimentos“ verfügte über ein Budget, von dem andere Tanzfestivals nur träumen können. Die Autostadt konnte es sich leisten, internationale Spitzenensembles einzuladen. Mit seinen hochkarätigen Gastspielen hat „Movimentos“ sich schnell einen vorzüglichen Ruf erspielt. Sicher, es war überwiegend Mainstream, was hier gezeigt wurde, aber auch innovative Arbeiten wie die von Wayne McGregor waren zu sehen. Er habe vor allem Produktionen eingeladen, bei denen „die Post abgeht“, resümiert Wilke.

Wie setzt sich Volkswagen künftig für die Kultur ein?

Sieben Tanzensembles gastierten vom 4. April bis 6. Mai im Kraftwerk. Das abwechslungsreiche Programm verband Experiment und anspruchsvoller Unterhaltung. Vor allem bot es Weltklasse-Tänzer. Zu den Höhepunkten zählte „Autobiography“ von Wayne McGregor, Mastermind der britischen Tanzszene. Das Stück ist keine narzisstische Selbstbespiegelung, sondern eine Meditation über das Leben, seinen Bauplan und seine endlosen Variationsmöglichkeiten. Der Choreograf ließ für seine neue Arbeit sein Genom entschlüsseln und schuf 23 Szenen, die in jeder Vorstellung in anderer Reihenfolge aufgeführt werden. Wie die Tänzer in immer neuen Kombinationen verschlungene Bewegungsmuster entwerfen, ist atemberaubend.

Mit „Formosa“ zeigte das Festival auch das letzte Bühnenstück von Lin Hwai- min für das Cloud Gate Dance Theater. Das Bühnengemälde mit seiner Synthese aus Tanz und Kalligrafie ist nicht nur eine Hymne an seine Heimat Taiwan, sondern steigert sich mit seinen Kampf- und Gruppenszenen zum Welttheater.

Wie es nun weitergehen soll, ist noch unklar. Roland Clement, Vorsitzender der Geschäftsführung der Autostadt, sagte: „Die jetzt anstehende Modernisierung des Kraftwerks ist für Volkswagen ein zukunftsgewandter Schritt, der uns fordert, neu zu denken.“ Im Sommer will er darüber informieren, wie der Konzern sich künftig für die Kultur engagiert. Ob man auch hier auf alternative Energien setzt? Fest steht: Ein Kapitel ist zu Ende gegangen. Allen, die ein letztes Mal über den schwankenden Ponton zum Kraftwerk pilgerten, war dann auch ein wenig melancholisch zumute.

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