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Wolfgang Herrndorf.

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Wolfgang Herrndorfs "Arbeit und Struktur": Die Kraft der zwei Deckel

Analog ist besser: Warum Wolfgang Herrndorfs kürzlich als Buch veröffentlichter Blog "Arbeit und Struktur" ein Bestseller ist.

Zunächst ist es keine so große Überraschung, dass auch Wolfgang Herrndorfs vor zwei Wochen veröffentlichtes Tagebuch "Arbeit und Struktur“ ein Bestseller ist, (auf Platz 7 in der „Focus“–Bestsellerliste, auf Platz 12 in der „Spiegel“-Liste). Herrndorf, der sich dieses Jahr im August wegen seiner unheilbaren Hirntumorerkrankung das Leben nahm, hat mit „Tschick“ eines der erfolgreichsten Bücher der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur geschrieben, einen Millionenseller, der seit zwei Jahren auf den vorderen Rängen der Taschenbuchcharts steht. Und auch sein letzter, 2011 veröffentlichter Roman „Sand“ war ein Bestseller und wurde unter anderem mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.

Der Buchmarkt ist in dieser Hinsicht zuverlässig und leicht durchschaubar: ein Erfolgsbuch, ein eingeführter Name, da verkaufen sich die Nachfolger gleichsam von allein, da interessiert oft erst in zweiter Linie, ob diese wirklich gut sind. Und nicht zuletzt bot auch den Feuilletons die Veröffentlichung von „Arbeit und Struktur“ noch einmal die Gelegenheit, den Autor und sein Werk groß zu würdigen, zumal dieses Buch seinen Romanen und Erzählungen literarisch in nichts nachsteht.

Die Überraschung besteht darin, dass „Arbeit und Struktur“ nicht wirklich ein neues Buch ist, sondern das Internet-Tagebuch, das Wolfgang Herrndorf begann, nachdem er die Hirntumor-Diagnose bekommen hatte. Seit 2010 konnte man Monat für Monat im Internet nachlesen, wie es dem kranken Schriftsteller so ging, was er machte, dachte oder las. Das haben viele Freunde und Fans von Herrndorf getan. Trotzdem dürften viele, die sich den Blog jetzt nochmal als Buch und also am Stück zu Gemüte geführt haben, verblüfft sein ob der literarischen Qualität, die darin steckt, mitsamt einer ganzen Poetologie. Erstaunlich ist, dass sich das womöglich zwischen zwei Buchdeckeln viel besser erkennen lässt als auf einem Bildschirm, auf dem man nach oben und unten, nach rechts oder links scrollt.

Und die Frage ist ja sowieso: Haben viele der „Tschick“-Leser erst jetzt von dem Blog erfahren? Den man zudem ja weiterhin im Netz unter dem Titel „Arbeit und Struktur“ lesen kann. Oder ist so ein analoges Stück Literatur nicht doch immer besser als sein digitales Pendant? Das Beständige, das Herrndorfs ja nicht besonders großes Werk ganz sicher haben wird, findet hier seinen formalen Ausdruck – und nicht in der Flüchtigkeit des Netzes. Manchmal versteckt sich sogar in einer profanen Bestsellerplatzierung eine kleine Lehre.

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