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Taylor Swift beim WHO-Benefizkonzert.

© Global Citizen/Getty Images

Wohnzimmer statt Stadion: So war das Streamingkonzert mit Lady Gaga, Elton John und den Rolling Stones

Eine beeindruckende Popstar-Riege wirkte beim WHO-Benefizkonzert „One World: Together At Home“ mit. Die Livestreams aus ihren Wohnzimmern waren äußerst unterhaltsam.

Von Jörg Wunder

Da die Corona-Pandemie keine normale Katastrophe ist, konnte das von Lady Gaga kuratierte Pop-Großereignis „One World: Together At Home“ auch kein herkömmliches Benefizkonzert werden.

Das fängt schon damit an, dass während der achtstündigen Übertragung – sechs Stunden Vorlauf mit Beiträgen aus aller Welt, zwei Stunden Live-Sendung mit Kommentaren in Echtzeit, aber teils aufgezeichneten Heimvideo-Clips – überhaupt nicht an die Spendenbereitschaft der Zuschauenden appelliert wird.

Die NGO „Global Citizen“ hat bereits im Vorfeld über 120 Millionen Dollar zur Unterstützung der Weltgesundheitsorganisation gesammelt.

Mit dem weltweit übertragenen Streaming-Event soll vielmehr all jenen gedankt werden, die im Kampf gegen die Pandemie an vorderster Frontlinie stehen: dem medizinischen Personal, aber auch den Freiwilligen, die sich beispielsweise für die Grundversorgung von Obdachlosen in der Krise einsetzen.

Wohnzimmer statt Stadion 

Noch deutlicher unterscheidet sich „One World: Together At Home“ in der Präsentationsform von früheren Benefizkonzerten wie „Live Aid“: Unter den Bedingungen des globalen Lockdowns können natürlich nicht Zehntausende in einem Fußballstadion den Akteuren zujubeln.

Es gibt keine Bühne, keine Verstärkertürme, keine Lightshow. Alle Beteiligten befinden sich im häuslichen Umfeld und geben, meist ohne Begleitung, einen Song zum Besten.

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Das Prinzip des Social Distancing wird so konsequent befolgt, dass nicht mal die Rolling Stones an einem Ort zusammen spielen. Schließlich gehören Mick Jagger (76), Keith Richards (76), Ronnie Wood (72) und Charlie Watts (78) alle zur Risikogruppe.

Also sitzen die vier jeweils zu Hause und rocken via Videokonferenz engagiert durch „You Can't Always Get What You Want“, wobei besonders Jagger und Watts gut drauf sind, während Richards etwas abwesend auf seiner Gitarre rumfummelt. Hören kann man ihn jedenfalls nicht.

Stevie Wonder singt beim "Global Citizen Together At Home"-Konzert
Stevie Wonder singt beim "Global Citizen Together At Home"-Konzert

© Global Citizen/Getty Images

Die von den Late-Night-Stars Stephen Colbert, Jimmy Kimmel und Jimmy Fallon launig kommentierten Beiträge haben fast durchweg hohen Unterhaltungswert, auch weil man en passant Einblicke in die Wohnsituationen mancher Stars bekommt: Kamine sind offenbar Pflicht, Trophäen beiläufig im Hintergrund drapiert, der Gummibaum scheint die Topfpflanze der Saison zu sein.

Elton John singt „I'm Still Standing“

Die quasi „nackte“ Form der Performance deckt aber auch interpretatorische Schwächen gnadenlos auf. So ist Paul McCartney mit „Lady Madonna“ stimmlich überfordert (was er durch schelmische Präsenz ausgleicht), und auch Stevie Wonder wirkt bei „Lean On Me“, seiner Hommage an den kürzlich verstorbenen Bill Withers, nicht wirklich intonationssicher.

Elton John dagegen hämmert seinen Achtziger-Hit „I'm Still Standing“ so wuchtig ins Piano, dass man den tiefergelegten Gesang gern verzeiht.

 Jennifer Lopez covert Barbra Streisand

Mit Stimmproblemen haben die Jüngeren im exquisiten Line-Up nicht zu kämpfen. Dafür mangelt es einigen von ihnen an Charisma. Ohne die Unterstützung seiner Band Green Day erweist sich Billie Joe Armstrong als farbloser Sänger, Jennifer Lopez schmalzt sich mit viel Vibrato, aber wenig Sensibilität durch Barbra Streisands alten Musical-Heuler „People“.

Und ohne die Schubkraft ihrer Beats wirkt der neue Pop-Superstar Billie Eilish wie ein beliebiges Teenie-Girl im Schlabberlook, das zur Klavierbegleitung bemüht Bobby Hebbs Sixties-Klassiker „Sunny“ nachsingt.

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Wie man den Versuchsaufbau „Singe ein Lied ohne produktionstechnische Tricks“ zu einer Machtdemonstration nutzen kann, zeigt Lizzo mit ihrer fantastischen Interpretation von Sam Cookes „A Change Is Gonna Come“. Sie wirft sich in das tausendfach gecoverte Stück, einen Meilenstein der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, mit so viel Hingabe, dass man es zum ersten Mal zu hören glaubt.

John Legend und Sam Smith mit "Stand By Me"

Etwas ruhiger lassen es Taylor Swift und Kacey Musgraves bei ihren Stücken angehen, während John Legend und Sam Smith in ihre gemeinsame Version von „Stand By Me“ zwar viel Emphase legen, aber über Broadway-taugliches Virtuosentum nicht hinauskommen.

Interessanter ist da Country-Routinier Keith Urban, der sich für seine interessante Dekonstruktion von Steve Winwoods „Higher Love“ in drei Video-Avatare aufsplittet, die stimmlich perfekt miteinander harmonieren.

Zum Schluss des Marathons der guten Tat wird das ganz große Besteck herausgeholt: Lady Gaga persönlich singt sich mit Celine Dion, John Legend und Andrea Bocelli bei der Superschnulze „The Prayer“ in Rage, Lang Lang bearbeitet dazu mit exaltierter Gestik das Klavier.

Selbst auf fünf Minibildschirme verteilt – die Stars sind natürlich nicht an einem Ort versammelt – hat das so viel Wucht, dass man es sich auf den größten Konzertbühnen der Welt vorstellen könnte. Bejubelt von Zehntausenden. Hoffentlich ist auch das irgendwann wieder möglich.
Das Konzert zum Nachhören hier.

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