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Zukunftsthemen. Wohnungsmangel und Klimawandel werden die Branche noch lange beschäftigen. Eine Baustelle in Hannover. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

© Julian Stratenschulte/dpa

Wohnungsnot und Klimawandel bekämpfen: Für eine bessere Zukunft braucht es ein richtiges Bauministerium

Das Bauwesen hat Einfluss auf jeden Bereich der Gesellschaft – aber kein eigenes Ministerium. Will man die Krisen unserer Zeit angehen, muss sich das ändern.

Mal beim Verkehr, mal bei der Reaktorsicherheit, mal bei der Heimat – das Ressort Architektur und Stadtplanung wird unter den Bundesministerien seit Jahrzehnten wie ein ungeliebtes Kind hin- und her geschubst oder schlicht als Verfügungsmasse betrachtet. Als der amtierende Bauminister Horst Seehofer mit seinem Innenressort allein noch nicht zufrieden war, bekam er eben noch das Bauressort samt dessen Budget und 1500 Mitarbeitern dazugepackt (und genehmigte sich fürs Portfolio die „Heimat“ obendrauf). „Aktuell ist das B von Bauen nicht mal mehr Bestandteil der Abkürzung des zuständigen Ministeriums des Innern, für Bau und Heimat, kurz BMI“, beklagte kürzlich der Chef der Stiftung Baukultur Reiner Nagel den Bedeutungsverlust.

Das Aufgabenfeld ist fast grenzenlos. Es geht um Wohnungsmangel und Infrastrukturentwicklung, es geht um Stadt- und Regionalplanung, es geht um Bauforschung und Baugesetzgebung mit all ihren Aspekten, um Förderung von Architektur und Baukultur, kurz um das Bauwesen überhaupt. Das Bauwesen bestimmt unser Leben zeitlich gesehen weit mehr als der Verkehr, wirtschaftlich gesehen mehr als die Landwirtschaft oder die Entwicklungshilfe, von den Lebensumständen her mehr als das Justizwesen. Für diese Bereiche sind aber jeweils eigene Ministerien zuständig.

Die politischen Kräfteverhältnisse um das Bauwesen sind in paradoxem Ausmaß verzerrt. Das Bauwesen hat gravierenden Einfluss auf die Wirtschaft, auf die Verkehrserschließung, auf die Umweltgestaltung, auf die soziologischen Lebensbedingungen und spielte im Wahlkampf bis auf wenige Statements zu den Wohnungsbauzahlen keine Rolle.

Warum ist das so? Gut möglich, dass man dem Bauwesen, weil es seiner komplexen, multifunktionalen Struktur geschuldet mit vielen Ressorts zu tun hat, keinen eigenen Stuhl im Kabinett zugestehen will, damit es den anderen Ministerien nicht hineinregiert. Die Fakten bedingen sich wechselseitig. Weil die Baubranche keine starke Lobby hat, weil die Planung und die Baugesetzgebung von Anderen nebenher gemacht werden, auch weil Bauen in vielen Teilaspekten Ländersache ist, gibt es keinen Bundesbauminister. Und weil es den nicht gibt, hat das Bauen in der Bundespolitik kein ihm angemessenes Gewicht.

Die Länder verspüren keine Neigung, Kompetenzen abzugeben. Jedes Bundesland pflegt eine eigene Landesbauordnung. Dabei gibt es in der Baugesetzgebung dringenden Harmonisierungsbedarf. Es ist absurd, dass ein Schadensfeuer in Baden-Württemberg offenbar nach anderen Vorschriften abläuft als in Schleswig-Holstein. Es ist geschäftsschädigend, wenn überregional und international agierende Firmen in verschiedenen Bundesländern nach unterschiedlichen Normen konstruieren und bauen müssen.

Seehofer hat seine Rolle als Bauminister vernachlässigt

Der Architekt Arno Lederer hat kürzlich bei einer Podiumsdiskussion im Berliner Aedes-Forum zum Thema eigenständiges Bauministerium die Absurditäten aufs Korn genommen, und er musste nicht einmal kabarettistisch übertreiben

Die Betroffenen, die Architekten- und Ingenieurverbände klagen unisono über mangelnde Unterstützung ihrer jeweiligen Interessen vonseiten der Regierung, zum Beispiel beim Streit um die Honorar- und Gebührenordnung HOAI mit Brüssel und fordern uneingeschränkt ein eigenständiges Bauministerium.

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Zwar vertritt der ehemalige Baustaatssekretär Gunther Adler (SPD), unter Horst Seehofer faktisch Bauminister, eine andere Meinung. Er argumentiert, Seehofer habe die Sache des Bauwesens mit dem ganzen Gewicht des Innenressorts kraftvoll und erfolgreich in den Kabinettssitzungen vertreten. Andererseits war es so wenig Seehofers Herzensangelegenheit, dass er sich während der gesamten Legislaturperiode nicht ein einziges Mal als Bauminister bei einem baubezogenen Termin hat sehen lassen, bei keinem Baukulturkongress, bei keiner Architekturbiennale, bei keiner Baueinweihung. Das ist ungewöhnlich, und man kann es als ignorant interpretieren. Und was, wenn sein Nachfolger auch das Bauressort mitzuvertreten hätte und noch weniger Interesse zeigte? Dieses Risiko würde die Baubranche gerne vermeiden.

Weniger Neubau, regionale Baustoffe, Recycling

Das Bauressort wird enorm an Bedeutung gewinnen. Da aktuelle Klimazahlen die Hoffnung, dass die Erderwärmung beherrschbar sein könnte, rigoros dämpfen, wird das Bauwesen im Kampf gegen den Klimawandel ein wesentliches Handlungsfeld sein müssen. Der Betrieb von Gebäuden nimmt vierzig Prozent unseres Primärenergieverbrauchs in Anspruch, diese oft genannte Zahl gehört seit zwei Jahrzehnten zum Allgemeinwissen.

Neuere Erkenntnisse, die sich auf die wichtigere Größe der Emission von Treibhausgasen beziehen, differenzieren: 29 Prozent der Gesamtemissionen entstehen beim Gebäudebetrieb, neun Prozent beim Betrieb von Infrastruktur wie Kanälen, Tunneln, Brücken, Ampeln, Beleuchtung, also 38 Prozent durch Baulichkeiten. Rechnet man jedoch noch die Emissionen durch Bau und Entsorgung hinzu, also Herstellung und Transport von Baumaterial, Abriss und Recycling, kommt man auf 55 Prozent.

Emissionsbezogen mehr als die Hälfte der Wirtschaftsleistung geschieht also ohne die Kontrolle und Steuerung durch ein fachbezogenes Bundesministerium. Dabei gilt es jetzt, in allen Bereichen des Bauwesens in großem Stil Emissionen zu vermeiden, durch weniger Neubau, intelligentere, leichtere Baumethoden, Verwendung regionaler Baustoffe, Materialrecycling, Transportvermeidung und sicherlich auch durch Nullenergiebauten.

Es braucht wirksames Handeln von höchster Ebene

Das notwendige Bündel an Maßnahmen, Forschungen, Förderungen und Gesetzen und Vorschriften ist von einzelnen Landesbauministerien nicht zu meistern. Eine nationale Anstrengung und ein internationales Handeln sind notwendig, nicht weniger als ein Paradigmenwechsel, nur zu leisten von einem Bau- Städtebau- und Infrastrukturminister mit wesentlich gewichtigerem Ressort.

Berufsverbände wie Architektenkammern, BDA, AIV, aber auch die Stiftung Baukultur und selbst die Immobilienbranche rufen nach einem starken Bauministerium. Aber angesichts der bitteren Erkenntnis, dass wir das Ziel der Begrenzung der Erderwärmung um zwei Grad nicht mehr erreichen können und selbst die drei Grad-Schwelle in weite Ferne rückt, ist es nicht verwunderlich, dass auch Klimaforscher wie Hans Joachim Schellnhuber ein Bundesbauministerium fordern, weil wirksames politisches Handeln nur auf höchster Ebene denkbar ist.

Zu wünschen wäre, dass das Ressort diesmal verantwortungsbewusst und kompetent besetzt und nicht im Posten- und Einflussgeschacher der Koalitionsverhandlungen an eine politisch verdiente, aber fachfremde Persönlichkeit vergeben wird.

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