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Kultur: Wohnkugeln für die Menschheit

Eine Retrospektive in Herford würdigt den visionären Baumeister Buckminster Fuller

Diese Zukunft war vorgestern. Hochhäuser, die ein Zeppelin aufrichtet und Jurten-Eigenheime aus Aluminium, die der Hausherr selbst montieren kann: So stellte sich Richard Buckminster Fuller in den 40/50er Jahren künftiges Wohnen vor. Auch der Wassertropfen-Wagen mit Armaturenbrett aus Nussbaum wirkt wie Windkanal-Design à la Nick Knatterton. All das erfand Fuller, genannt „Bucky“.

Fuller (1895–1983) war ein Unikum: Der Selfmademan erwarb sich mit missionarischem Eifer den Ruf eines visionären Vordenkers. Wenn die Wirklichkeit mit seinen Ideen nicht Schritt hielt – schlimm für die Wirklichkeit. Seine Baumkuchen-Häuser und Aluminium-Jurten wurden nie gebaut. Von den drei Prototypen des „Dymaxion“-Autos verunglückte einer sofort.

Erst ab 1952 hatte Fuller Erfolg mit seinen „geodätischen Kuppeln“: frei tragenden Strukturen mit beliebiger Spannweite. Aufsehen erregte sein US-Pavillon für die Weltausstellung 1967 in Montreal. Für Messebauten oder Radarstationen hat sich diese Membran-Architektur etabliert, aber nicht – wie von Bucky gefordert – als Behausung der Menschheit. Er wollte Manhattan überkuppeln und Kugeln für tausende Bewohner in der Luft schweben lassen.

Damit wurde Fuller um 1970 für Land-Kommunarden zum Propheten, der ihnen den Ausweg aus der Industriegesellschaft wies. Vielerorts entstanden selbst gebaute Kuppel-Kolonien: Ihre organisch anmutenden Formen passten so gut zur Rückkehr zur Natur. Dass der Einstein der Hippies seine Projekte mit Geldern und Großaufträgen des US-Militärs entwickelte, störte sie nicht.

Prestige genoss Fuller aber auch beim Establishment. Er hielt Vorträge für 2000 Dollar am Tag, er muss ein glänzender Redner gewesen sein, denn seine Bücher waren schwer verdaulich. Mit Sätzen wie: „Alle Wege des Systems müssen topologisch und kreisförmig aufeinander bezogen sein, damit begrifflich definitives, lokal transformierbares, polyedrisches Verständnis in unseren spontanen, geodätisch strukturierten Gedanken erzielt werden kann.“ Ein Zitat aus seinem Bestseller „Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde“ von 1969. Der Titel fasst zusammen, was den Autor so attraktiv machte: Sein Anspruch, als Autodidakt revolutionär ganzheitlich zu denken und mit geometrischen Axiomen Technik und Kosmos zu versöhnen. Fuller-Fans feiern ihn bis heute als Ahnherrn des Ökologie-Bewusstseins. Auch der junge Architekt Norman Foster nahm 1971 gern Fullers Vorschlag an, für ein College in Oxford gemeinsam ein unterirdisches Theater zu entwerfen. Natürlich wurde es nie gebaut.

40 Jahre später richtet Foster seinem Ex-Partner eine Retrospektive aus, die nach Madrid nun im MARTa Herford gezeigt wird. Sie ist so gediegen und opulent geraten, wie man das von einem zum Lord geadelten Star-Architekten erwarten darf. Und so konzise, wie es seinem Großbüro mit wenig Zeit geziemt: kurze Einführungen in Buckys Schaffensphasen, dazu reichlich Anschauungsmaterial. Foster ließ Fullers Entwürfe als Modelle konstruieren und fährt den letzten erhaltenen „Dymaxion-Car“ auf. Sogar dessen nie gebauter Nachfolger ist als aufwendige Computer-Simulation präsent.

Nur eines fehlt: das Kratzen am Denkmal. Anstatt jeweils den Mathematiker, Baumeister, Designer und Theoretiker Fuller gesondert zu betrachten und zu fragen, welche seiner Initiativen heute noch Bestand haben, wird eine angestaubte Legende aufgewärmt. Dieser Rudolf Steiner des technischen Zeitalters könnte die Menschheit retten, wären seine Schriften nicht seltsamerweise in Vergessenheit geraten. Was leicht zu erklären ist: Die Welt braucht derzeit keine selbsternannten Universalgenies, die mit Bauplänen Erlösung versprechen.

Fosters Werkschau wirkt wie eine Gedenkfeier für den verstorbenen Onkel: Man preist vollmundig seine Großtaten und freut sich augenzwinkernd, dass er niemandem mehr in den Ohren liegt. Dagegen geht der Herforder Eigenbeitrag differenzierter und produktiver mit Fullers Erbe um: „Wir sind alle Astronauten“ versammelt 22 zeitgenössische Künstler, in deren Arbeiten Buckys Ideen fortwirken.

Das Spektrum ist erstaunlich breit. Ai Weiwei hat eine Reihe von Fullers Vielecken als Holz- oder Stahlgebilde anfertigen lassen. Björn Dahlem montiert sie zu ätherisch im Raum schwebenden Neon-Skulpturen. Auch die Bio-Op-Art von Olafur Eliasson ist stark von Buckys Formenwelt beeinflusst, etwa der „Model Room“ voller Objekte, den er im Sommer 2010 im Gropius-Bau ausstellte, oder der „Blind Pavillon“, der zur gleichen Zeit auf der Pfaueninsel stand. Lucas Lenglet macht dagegen auf totalitäre Züge in Fullers Winkel-Denken aufmerksam. Sein Bucky-Bohrturm besteht aus Panzersperren.

Zwar gemeindet die Schau zu großzügig ein: Nicht jeder Künstler, der sich geometrischer Formen bedient, ist ein Fuller-Adept. Doch biomorphe Formen und Prinzipien, die Bucky beschwor, sind heute in Kunst und Technik weit verbreitet. Vielleicht war Fuller der erfolgreichste Konzeptkünstler des 20. Jahrhunderts, der sich als Designer und Architekt tarnte? Jedenfalls ist Foster sein bester Schüler. Er baut die wegweisend umweltverträglichen Gebäude, von denen Bucky nur geredet hat.

MARTa, Herford, bis 18.9.

Oliver Heilwagen

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