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Aus der Not geboren. Sarah Lamarr und ihre Tochter haben eine Galerie in einer Bushaltestelle in London eröffnet.

© Hannah McKay/Reuters

„Wir werden beschädigt aus dieser Phase kommen“: Was der anhaltende Lockdown für die britische Kultur bedeutet

In Großbritannien dauert der Lockdown beinahe unvermindert an. Die Kulturszene des Landes schwankt zwischen Optimismus und blanker Verzweiflung.

Bangen Blickes schaut die britische Theaterwelt nach Southampton. Das Nuffield Theatre war in der südenglischen Hafenstadt eine Institution, seit Star-Architekt Basil Spence zu Beginn der sechziger Jahre das charakteristische Gebäude aus Kupfer und Beton auf dem Campus der örtlichen Universität entwarf.

Vergangene Woche musste das ehrwürdige Haus Konkurs anmelden. „Man muss befürchten, dass viele Häuser und Theatergruppen den gleichen Weg gehen werden“, sagt John Biggins.

Der Londoner Schauspieler gehört zu den Hunderttausenden von freiberuflichen Künstlern, Musikern und Kulturbeschäftigten, deren Existenz durch die Corona-Pandemie gefährdet ist. Auf der Insel dauert der Lockdown bis auf Weiteres beinahe unvermindert an, während auf dem Kontinent vielerorts Museen und andere Institutionen ihre Wiedereröffnung vorbereiten.

Dabei teilen alle die gleiche Unsicherheit: Wie viel Kunst und Kultur kann es künftig geben, solange Sars-CoV-2 die Welt in Bann hält? Wie wirken sich die neuen Abstandsregeln vor allem auf Live-Veranstaltungen aus, die doch vom unmittelbaren Kontakt zwischen Künstlern und Publikum leben?

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Neidisch blicken bildende Künstler ebenso wie Filmschaffende auf die Situation in den Nachbarländern. Dort machen allerorten Galerien und Museen wieder auf, in Filmmetropolen wie München haben diese Woche erste Dreharbeiten begonnen.

Auch in London hat die Regierung der milliardenschweren Filmbranche grünes Licht erteilt, solange denn strenge Regeln für soziale Distanzierung eingehalten werden können.

Die entsprechenden Richtlinien der zuständigen British Film Commission (BFC) aber lassen auf sich warten, beklagen renommierte Produzenten. „Man hält den Finger in den Wind, niemand weiß Genaueres. Die nordischen Länder und einige US-Studios haben uns Richtlinien geschickt, die BFC hinkt hinterher“, vertraute Andrew Eaton, der die ersten beiden Staffeln der Serie „The Crown“ verantwortete, dem „Guardian“ an. Hinter vorgehaltener Hand spricht man in der Branche von September als frühestmöglichem Start neuer Produktionen.

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Beim Film wie im Theater, bei Popkonzerten wie für die Knaben- und Mädchenchöre der anglikanischen Kathedralen – bis weit in den Sommer hinein liegt fast alles auf Eis. Festivals wie das Pop-Schlammevent Glastonbury oder die Opernorgie Glyndebourne sind längst abgesagt.

Shakespeare’s Globe Theatre am Südufer der Themse spricht verschämt von „zeitweiliger Schließung“, dabei gehen normalerweise im Mai längst die ersten Produktionen über die Bühne.

Dass die 125. Saison der weltberühmten BBC-Promenadenkonzerte in Londons Albert Hall von Juli an stattfinden können, glauben nur noch die eifrigsten Konsumenten optimistisch stimmender Substanzen.

Die Mitteilungen an Publikum und Unterstützer oszillieren zwischen zwitscherndem Optimismus und blanker Verzweiflung. Altehrwürdige Institutionen wie das 261 Jahre alte British Museum oder die Tate Gallery können sich auf die Subventionierung durch die Regierung verlassen, schließlich haben ihre Häuser Weltgeltung.

Der National Trust, Besitzer von mehr als 500 historischen Gebäuden samt prächtiger Parks und Gärten, bittet seine 5,6 Millionen Mitglieder um Geduld, während gemäß der jüngsten Regierungsmitteilungen manche Gärten nach und nach wieder geöffnet werden können.

Viele Einnahmequellen gänzlich versiegt

Anderswo bringt der Lockdown nichts als Unsicherheit. Man sei „hart am Arbeiten“, schreibt Robert Hollingworth vom winzigen Stour Music Festival im Osten der Grafschaft Kent an den Kreis seiner Unterstützer, „ob wir wenigstens einen Anschein von Stour retten können“ – Gewissheit klingt anders.

„Kreative Ideen hören nicht einfach auf“, glaubt Keith Wallace, City-Anwalt in London und langjähriger Mäzen von einem halbem Dutzend Festivals oder Theatergruppen. Vermögende Unterstützer waren auf der Insel längst vor Covid-19 unerlässlich, in diesen Wochen nimmt ihre Bedeutung noch zu: Im Vergleich zum Kontinent hielt sich die staatliche Kulturförderung stets in engen Grenzen, die Sparprogramme der vergangenen Jahre haben viele Einnahmequellen gänzlich versiegen lassen.

In der Coronakrise betätigen sich viele Kulturschaffende noch mehr als sonst als Fundraiser, mit durchaus gutem Erfolg. Das preisgekrönte Park Theatre nahe dem normalerweise hektischen Nord-Londoner Bahnhof Finsbury Park erbettelte in den ersten Lockdown-Wochen umgerechnet 339 000 Euro von wohlhabenden Gönnern.

Finanziert werden damit der Unterhalt des knapp zehn Jahre alten Gebäudes sowie die Gehaltsanteile der Mitarbeiter, die nicht im Überbrückungsgeld der Regierung enthalten sind. Über den Sommer, sagt der künstlerische Leiter Jez Bond, benötige sein Haus weitere 113 000 Euro, denn: „Wir werden beschädigt aus dieser Phase kommen.“

Ein Funke Hoffnung in der unsicheren Zeit

Und wann? Wiedereröffnung im Herbst? Einstweilen experimentiert das stark im Stadtviertel verankerte Theater von diesem Samstag an mit virtuellen Schauspielkursen für Kinder und Jugendliche. Die einstündigen Sessions kosten bescheidene sieben Pfund (umgerechnet 7,91 Euro) pro Person.

Spendenbitten verschicken regelmäßig auch bekannte Londoner Institutionen wie das Kulturzentrum Barbican, das sich immerhin auf die großzügige Unterstützung durch den Finanzdistrikt City of London und seine vielen steinreichen Firmen verlassen kann. Angereichert werden die Bettelbriefe mit kürzeren oder längeren Filmen früherer Produktionen.

Wer mag, kann im Lockdown täglich Hochkultur genießen. Das Royal Opera House macht unter dem Hashtag „OurHouseToYourHouse“ Reklame für die Übertragungen berühmter Inszenierungen von Giuseppe Verdis „La Traviata“ und Mozarts „Così fan tutte“. Auf seiner leistungsstarken Website zeigt das National Theatre ebenfalls Highlights aus dem großen Fundus aufgezeichneter Produktionen.

Der Kammermusiksaal Wigmore Hall weist indes bereits in die Zukunft. In Zusammenarbeit mit dem BBC-Klassikkanal BBC3 gibt es vom 1. Juni an wieder Livekonzerte zur Mittagszeit. Der Saal selbst werde leer bleiben, beteuert Direktor John Gilhooly, auch beschränke man sich auf Solo- oder Duo-Auftritte von Künstlern aus dem Großraum London. „Wir halten uns an die Regeln. Aber wir wollen doch einen Funken Hoffnung geben in dieser unsicheren Zeit.“

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