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Kultur: Wir denken zu viel

Bekenntnistänze: Gob Squad in der Berliner Volksbühne.

„Wir haben Angst, dass unsere Kinder uns bald peinlich finden“, steht auf einer Leinwand, vor der eine Handvoll Anfangsvierziger ekstatisch abhottet. Sagen wir mal so: Die Bedenken sind nicht unbegründet. Gesunde Selbstreflexion mit Ironiefaktor gehörte ja schon immer zu den Qualitäten der deutsch-britischen Performancegruppe Gob Squad, die jetzt unter dem Motto „Dancing About“ zu einem eigentümlichen Tanzabend in den Roten Salon der Volksbühne geladen hat.

Auf jeden Fall passt das, was sich hier über knappe neunzig Minuten abspielt, tadellos zum Setting: Zwischen roten Sofas und liebevoll im Viereck um die Tanzfläche gruppierten Plastikstühlen regredieren sich die Performer einerseits in eine Neunziger-Jahre-Clubkultur hinein, der nicht nur sie selbst und ihre Stammzuschauer, sondern auch jedweder Zeitgeist inzwischen deutlich entwachsen sind. Andererseits ermöglicht dieses Ambiente eine Art von Befindlichkeitsikebana, wie sie dem verpönten Bionade-Biedermeier eigen ist. Und genau in diesem Zwischenraum siedelt, wissentlich, Gob Squads Bekenntnischoreografie.

Deren Konstruktionsprinzip ist einfach und – verglichen etwa mit der zum letzten Berliner Theatertreffen eingeladenen Produktion „Before Your Very Eyes“ – auch etwas dünn: Zu wechselnder Musik entäußern sich die Akteure in einem Stilmix, der ankündigungsgemäß zwischen „Nachtclub, ritueller Zeremonie, Ausdruckstanz und Therapiesitzung“ changiert und durchaus seine individuellen Charmemomente hat. Zwischendurch treten sie einzeln ans Mikro und formulieren Sätze zur Lage der Generation: „Wir sind sehr gut darin, uns selbst zu belügen“, „Wir organisieren unsere Gedanken in To-do-Listen“ oder „Um zu entspannen, masturbieren wir“.

Sobald in diesem Kollektivspiel Performer mit einem allzu persönlichen Bekenntnis übers Konsensziel hinausschießen, räumen die anderen das Szenario für die Solobeichten, deren Spektakularitätsgrad sich zwischen „Wir haben einen Polizisten gefickt“ und „Wir haben unseren Vater in eine Anstalt eingewiesen, wo er dann gestorben ist“ einpendelt.

Der Bezugspunkt, von dem sich Gob Squads semi-ironische, zu jedem Song aufs Neue praktizierte Gemeinschaftsbildung dabei abstößt, sitzt unterdessen relativ desinteressiert in einem Glaskasten an der Tanzflächenfront: eine Heuschrecke, die die Performer zu Beginn, selbst insektengerecht verkleidet, zeremoniell auf die Bühne getragen hatten. Dieser Hang zur Natur, mithin zum viel strapazierten Anderen, den der zeitgeistige Konsumgesellschafter erfolgreich abdrängt, verdankt sich unter anderem dem britischen Autor John Berger und seinen Ausführungen „Why Look at Animals?“.

Allerdings bleiben derartige Bezugspunkte eher Nebenschauplätze. Ein wenig wirkt der Abend, als seien ihm auf dem Weg von der Konzeption zur Vollstreckung einige Ebenen abhandengekommen. Übrig blieb dann eben der Bekenntnistanz, der im zweiten Teil noch selbstbezüglicher und schweißtreibender (weil unmittelbar existenziell) wird: „Wir haben Angst davor, dass unsere Eltern alt werden.“

Wenn im Finale schließlich stakkatoartig Beliebigkeitsbekenntnisse à la „Wir sind Vegetarier“ über die Leinwand flimmern, wird alles Vorhergehende einerseits säuberlich ironisiert. Andererseits transportiert sich hier auch die eher unironische Schieflage zwischen Körperexpression und Ratio einer Generation, die sich selbst den Satz „Wir denken zu viel“ zuschreibt. Schade, dass Gob Squad hier nicht tiefer geschürft und die biografischen Brüche nicht wesentlich den One- Night-Stand mit uniformierten Vertretern der Staatsgewalt überschritten haben.

So aber taugte – eine Möglichkeit, die Gob Squad explizit zulässt – über weite Strecken vor allem die Heuschrecke als Identifikationsangebot, die den Bekenntnistanz aus aufreizend stoischer Distanz zur Kenntnis nahm.

Wieder am heutigen Samstag sowie am 23. und 24. 11., jeweils 21 Uhr.

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