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Nick Cave und Rowland S. Howard bei einem Auftritt in Hamburg Anfang der achtziger Jahre

© Imago

Wim Wenders, Nick Cave und die West-Berliner Achtziger: Der Zahn der Zeit

Wie man vom "Himmel über Berlin" auf dem Stuhl einer Zahnärztin landet: Eine Geschichte aus der Berliner Gegenwart, die tief in die Achtzigerjahre führt.

Es ist erstaunlich, in welche Gefühlsverwirrungen, Zeittiefen und sogar körperliche Malaisen einen das Wiederschauen eines älteren Films so bringen kann. Also: den „Himmel über Berlin“ von Wim Wenders im Fernsehen gesehen. Nicht geweint, aber an früher gedacht – und nachts mit den Zähnen geknirscht. Und dann zur Zahnärztin gegangen und erfahren, wie schön alles so zusammenhängen kann.

Tatsächlich war es ja geradezu ein hartes Stück Arbeit, den Film von Wenders bis zum Ende zu schauen. (auf der Berlinale bekommt er jetzt übrigens einen Ehrenbären). Wie langsam der doch erzählt ist! Was für prätentiösen Mist Peter Handke da mitunter ins Drehbuch geschrieben hat, was für Unsinnssätze! Von wegen Poesie. Aber wie gut und anrührend wieder die Szenen etwa in der Staatsbibliothek sind, die Szenen mit Curt Bois. Und natürlich sind Bruno Ganz und Otto Sander toll. Aber auch die Auftritte von Crime & City Solution und Nick Cave.

Die hatten damals was, als der Film herauskam. Wenders schien sich auszukennen, ein Szene-Mann! Allein wie dieses „Spex präsentiert Nick Cave“-Plakat plötzlich ins auf einmal farbige Bild kommt. Und so gibt es beim „Himmel über Berlin“-Schauen nicht nur Erinnerungsschauer rauf und runter, nein, da hält man auch ganz konkret Ausschau nach bekannten Leuten, die damals als Statisten engagiert worden waren und von der Wenders-Kamera immer wieder frontal erfasst werden. Ist das nicht der Kollege Schneider? Und dort, ganz sicher, das ist die Frau, die im Kreuzberger Niagara bediente und einem immer so barsch die Tequilas und Mescals vor die Nase knallte. Mitten in den späten achtziger Jahren war ich da auf einmal wieder, im Düster- und Mauer- und Risikoberlin, und ob das der Grund war, dass ich nachts so heftig knirschte, dass ich Teile eines Zahns regelrecht zerknirscht habe?

"Vielleicht sehen wir uns bei der Premiere des Oskar-Roehler-Films?"

Anderntags war ich gleich bei A., meiner Zahnärztin – und gleichfalls wieder tief in den achtziger Jahren, beginnend zunächst mit einem Gespräch über Jochen Distelmeyer, den sie ganz lustig und sympathisch fand bei seiner Lesung diese Woche im Babylon-Mitte. „Und, gehst du auch zur Berlinale?“, fragt sie. „Nee, nicht so.“– „Na, vielleicht sehen wir uns demnächst bei der Oskar-Roehler-Premiere.“– „Der hat gerade einen Roman über die achtziger Jahre in Berlin geschrieben, du meinst die Buchpremiere?“– „Nein, es gibt auch wieder einen Film von ihm“, so A., „der heißt ,Punk‘, und Nick Cave und Blixa Bargeld kommen auch drin vor, es geht um einen jungen Mann, der Anfang der Achtziger nach West-Berlin kommt und Punk wird.“

Ich erzähle A., dass auf der Berlinale ebenfalls ein West-Berlin-Achtziger-Jahre-Film läuft (weiß sie natürlich) und dass es langsam reicht mit der Aufarbeitung und Heroisierung dieser Zeit und bestimmten Szene (findet sie nicht, „hat doch immer was von Klassentreffen, oder?“). Beim Abschied, der Zahn ist wieder aufgebaut, fragt sie mich noch, ob ich gerade Stress hätte, wegen der Knirscherei, und ich antworte, dass vielleicht „Himmel über Berlin“ der Grund gewesen sei. „Ja, verstehe“, sagt sie, „Teile davon nerven heute etwas. Aber Crime & City Solution und Nick Cave sind doch toll. Ich war da im Publikum, Statistin. Bin aber nicht zu sehen.“

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