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Kultur: Wilde Sorte

Von Prokofjew bis Kylie Minogue: Die klassisch-radikale Rambert Dance Company gastiert in der Lindenoper

Von Sandra Luzina

Der freundliche ältere Herr, der uns ins Zentrum der Arbeiterstadt Glasgow kutschiert, weiß nicht nur schottische Gedichte zu rezitieren und schottische Whiskysorten aufzuzählen. Als ich ihm gestehe: „Wir Journalisten aus Berlin sind nach Glasgow gereist, um eine Tanzcompany aus London zu sehen. Wie finden Sie das?“, meint er nur: „Besser als sich eine schottische Tanzgruppe in London ansehen!“ Recht hat er.

Denn in London spielt nicht nur die Musik, hier sind auch die besten Ballettensembles Großbritannens zu Hause. Die Rambert Dance Company ist nicht nur die älteste britische Company – sie ist auch die Nummer 1 im zeitgenössischen Tanz. Und auch international ein Aushängeschild des Vereinigten Königreichs. Das 22-köpfige Ensemble versteht sich auf den Spagat zwischen Tradition und Innovation – das zeigte das Programm im Theatre Royal Glasgow, wo Karole Armitages „Living Toys“ zur Musik von Thomas Adès uraufgeführt wurde. „Living Toys“ formuliert eine beunruhigene Zukunftsvision, der Tanz scheint halb aus dem Ballettsaal, halb aus dem Genlabor entsprungen. Die Choreografie ist sehr fordernd in ihren vertrackten Figuren und vielfach gebrochenen Linien. Ein Härtetest für die Company, und die präsentierte sich in Topform.

Jubel kam im Theatre Royal freilich erst auf, als das Stück aufgeführt wurde, das zum Markenzeichen der Truppe geworden ist: „Ghost Dances“ von Christopher Bruce. In dem 1981 uraufgeführten Werk mischt sich der Tod unter die Lebenden – und zwar in Gestalt von drei bleich geschminkten Zombies im Zottellook. Wen diese Knochenmänner berühren, der erstarrt mitten in der Umarmung. Die von den Totenritualen der Indios beeinflussten „Ghost Dances“ wirken heute fast schon karnevalesk: Sie sind Danse macabre und zugleich eine ausgelassene Feier des Lebens. Modern dance verbindet Bruce mit südamerikanischer Folklore zu gefälligen Duos und wirkungsvollen Ensembleszenen. So populär sind die „Ghost Dances“, dass die Briten sie längst auch mit liebevollem Spott bedenken.

Ein führender Tanzkritiker hat das Werk unlängst auf den Namen „Goat Dances“, also (Ziegen-)Bockstänze, getauft, erzählt Mark Baldwin. Der neue künstlerische Leiter hat ein entspanntes Verhältnis zur ruhmreichen Vergangenheit. Wie auch nicht, schließlich hat er selbst zehn Jahre lang in der Company getanzt. Traditionsbewusstsein hat er förmlich inhaliert, aber er sucht nach neuen Herausforderungen und hat noch viel vor mit seinem Ensemble. Das beweist die Liaison mit Punk-Ballerina Karole – und mit Kylie! Baldwin erzählt von einem brandneuen Auftragswerk: In „21“ von Rafael Bonachela wird nicht nur Musik der Minogue vewendet, Kylie hat sogar einen Gastauftritt per Video. Mit „21“, so Baldwin mit feinem Spott und unüberhörbarem Stolz, sei es Rambert gelungen, neue Zielgruppen zu erreichen: nämlich „schreiende Teenager und Männer über 40“.

Die „Ghost dances“ hat die Rambert Dance Company natürlich im Gepäck, wenn sie jetzt zu einem sechstägigen Gastspiel in die Berliner Staatsoper Unter den Linden kommt. Dort lösen sie die Flamencotänzer des Spanischen Nationalballetts ab. Doch die Briten bringen nicht nur sophistication auf die Bühne – mit den „Visions Fugitives“ des niederländischen Meisterchoreografen Hans van Manen zur Musik von Prokofjew. Ins Extreme wagt sich Wayne Mc Gregor, der sich einen Ruf als junger Wilder erworben hat. Sein Stück „PreSentient“ zu Kompositionen von Zoviet France und Steve Reich ist als deutsche Erstaufführung zu sehen. „Ich habe versucht, die Tänzer wie ein grafisches Alphabet zu benutzen“, so Mc Gregor über sein Stück, das mit dem Time Out Live Award für Choreografie 2002 ausgezeichnet wurde. In „PreSentient“ reibe sich „die Grammatik und Syntax heftig ungestümer Körperlichkeit“ mit „klaustrophobischen choreografischen Strukturen“, mit seinen untergründigen Spannungen schlägt das Stück emotional in den Bann.

Das Programm mit seiner Kombination aus Bewährtem und Neuem, aus alten Meistern und jungen Talenten zeigt die große stilistische Bandbreite der Rambert Dance Company. Und von einer zeitgenössischen Company mit 22 Tänzern, die technisch brillant und in allen Stilen zu Hause sind, kann Berlin im Moment nur träumen.

Während der Tanz hier eher stagniert, setzen die Londoner auf Tempo. „They look ready for anything“, schrieb der Guardian über die Rambert Dance Company. Ihnen ist alles zuzutrauen. Mit Mark Baldwin an der Spitze bricht die Truppe zu neuen Horizonten auf. Und ist doch mit einem Bein fest in der Tradition verwurzelt.

Radikal und klassisch – das ist very british!

Staatsoper Unter den Linden, 15. bis So, 20. Juli, jeweils 20 Uhr, am 19. Juli auch 15 Uhr .

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