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Auf die Fresse. Kirmes-Kollegen Erich (Georg Friedrich) und Georg (Josef Hader) raufen.

© Berlinale

"Wilde Maus" im Berlinale-Wettbewerb: Hader macht sich nackig

Das Leben, ein ewiges Auf und Ab: Mit dem finster-lakonischen Film "Wilde Maus" gibt Josef Hader sein Regie-Debüt im Berlinale-Wettbewerb. Ein Treffen im Kaffeehaus.

Jetzt ist schon wieder was passiert. Dieser Satz ertönt sonst immer, wenn Josef Hader den Privatdetektiv Brenner in den Wolf-Haas-Verfilmungen von Wolfgang Murnberger spielt. Doch diesmal gilt er nicht dem Brenner, sondern ihm. Ob du es glaubst oder nicht: Der Hader hat’s in den Wettbewerb der Berlinale geschafft. Mit „Wilde Maus“, seinem ersten selbst geschriebenen, inszenierten und gespielten Film. Kurz vor dem 55. Geburtstag als Debütant auf einem A-Festival. Da sage noch einer, dass Fünfzigplus keine Zukunft hat.

Sogar bei einem, der wie kein anderer als Kabarettist, Schauspieler und nun auch Jungregisseur die tragikomische Würstelhaftigkeit des Menschen zum Thema hat. Schon klar, dass das auf Hochdeutsch Würstchen heißen muss, aber Würstchen sind Haders mal jämmerliche, mal standhafte, immer verlorenen österreichischen Lakoniker nun mal nicht. Seine armen Würstel wissen um ihr Ungenügen, um die Vergeblichkeit des Versuchs, gegen das Schicksal anzutreten. Schließlich wird die Welt immer härter sein als ein weiches Würstel.

Die Kirmes-Kulisse für die Gestrandeten der Leistungsgesellschaft

In seinem Regiedebüt packt Hader, wie sich das für einen Kabarettisten gehört, nun schonungslos die großen Themen dieser Zeit an. Als da wären: arbeitslose Musikkritiker, infertile Männer, Rachefeldzüge und die Unwägbarkeiten beim Betreiben eines Fahrgeschäfts im Wiener Prater. Dass es sich dabei um die Achterbahn „Wilde Maus“ handelt, ließe sich dem Regisseur gleich als unzulässig durchsichtige Metapher für das Auf und Ab des Lebens ankreiden.

Weil aber Hader den Prater ebenso lakonisch inszeniert, wie er sonst den Brenner spielt, darf die Achterbahn einfach eine Achterbahn, also eine pittoreske Kulisse bleiben. Und der Prater ein Setting, das als von Rummelmelancholie angehauchte Rettungsinsel für die Gestrandeten der Leistungsgesellschaft fungiert. Oder, wie Josef Hader, beim Gespräch im soignierten Berliner Literaturhaus anmerkt, als Ort, wo man in Wien die scheußlichste Musik hören kann. Aus den plärrenden Lautsprechern der Karussells nämlich. „Gerade dahin wollte ich den Klassikkritiker schicken.“ Eine komisch-rührende Szene, wie die, in der der von Hader verkörperte geschasste Großkritiker Georg mutterseelenallein in der eigentlich Kindern vorbehaltenen Parkeisenbahn mitfährt, hat er da gleich dankbar mitgenommen.

Knall auf Fall wird der Musikkritiker vom Chefredakteur (Jörg Hartmann) entlassen und geniert sich, seiner Frau, Psychotherapeutin Johanna (Pia Hierzegger), die Schmach zu gestehen. Auf die Erklärung des Chefs, dass er sparen müsse und der Kritiker mit seinem noch aus fetten Zeitungsjahren stammenden Vertrag zu teuer sei, antwortet Georg: „Ich bin ja schließlich nicht irgendwer: Ich bin eine Instanz!“ Bald zerkratzt die Instanz in ihrer Rachsucht den roten Porsche Cabrio des ehemaligen Chefs.

Vielleicht wird er dafür geliebt: als jemand, der es sich schwer macht

Der Traum jedoch, dass wenigstens der jüngst erst für seine feinsinnig verzweifelte Darstellung von Stefan Zweig viel gelobte Hader antritt, den überfälligen satirischen Filmbeitrag zum Niedergang des Zeitungsgewerbes zu leisten, platzt im Gespräch wie eine Seifenblase. Hader entschuldigt sich artig: „Ich habe nur einen König gesucht, den ich stürzen kann. Jemand, der mit seiner Arbeit viel mehr verliert als nur seine Arbeit.“ Ach. Wo er doch kürzlich daheim in Österreich wenigstens die Analyse äußerte, dass Printjournalisten die Bergarbeiter des Mittelstands seien, denen die Gruben geschlossen würden.

Auch der Wunsch nach Rache für die als Kabarettist womöglich erlittene Presseschelte habe ihn nicht angetrieben. Da musste der Bauernbub aus dem Mühlviertel, der seit 1982 auf der Bühne steht und ab 1992 auch in Filmen spielt, als Kabarettist wenig ausstehen. „Am Anfang ist man jung, da sind sie total nett. Dann muss man ein paar Jahre überstehen, wo es heißt, dem fällt nichts mehr ein. Dann ist man schon Ikone.“ Da gelten im Wiener Theater oder im Klassikbetrieb rauere Sitten, so Hader. Dort gebe es noch Großkritiker, die einen Sturm im Wasserglas entfachen könnten. Namen nennt er lieber nicht. „Bei Nachwuchskünstlern herrscht selbstzufriedene Arroganz. Sobald jemand berühmt wird, wechselt das sofort zu traniger Devotheit.“

Damit muss Hader in Deutschland nun nicht gerade rechnen, aber dass sein schwarzer, nicht auf Pointen getrimmter und auch in „Wilde Maus“ immer mehr ins dramatische Fach abwandernde Humor hier viele Anhänger hat, kann man an seinen ausverkauften Tourneen und seiner Kinopopularität ablesen. Vielleicht wird er – auch auf der Berlinale, wo er schon zweimal als Brenner-Darsteller war – deswegen geliebt: Als Beispiel dafür, dass ein Künstler, den die Selbstzweifel so hemmen wie der Perfektionismus, der mehr ablehnt als er annimmt, der ewig für ein Drehbuch und noch ewiger für ein Kabarettprogramm braucht, doch eine Art Star werden kann.

Vor dem Hintergrundrauschen von Terror und Flüchtlingsströmen

Dass es ihn gänzlich unverhofft in den Wettbewerb verschlagen hat, führt der Skeptiker jedoch auf was anderes zurück. Sein Film bilde, wie stets auf der Berlinale gewünscht, durchaus eine Zeitstimmung ab. Die erzählt, vor dem Hintergrundrauschen von Terror und Flüchtlingsströmen, von der Verunsicherung des Mittelstands. „Ein Mann, der seine Arbeit verliert, mit kleinen Sachbeschädigungen Rache nimmt, sich schließlich eine Waffe kauft – das wäre vor 20 Jahren eine schrullige Idee gewesen. Heute nicht mehr.“ Wobei der pubertäre, in der zweiten Filmhälfte dramaturgisch reichlich ausgewalzte Kampf, den Georg sich mit dem Chefredakteur liefert, gerade deswegen noch abstruser wirkt.

Glaubt man Haders nicht durchgehend einleuchtender komödiantischer Überzeichnung, ist die durch Bildung und gesellschaftliche Stellung bestimmte Zivilisation des europäischen Mannes bestürzend brüchig. Auch wenn er mit Herzblut in der Hochkultur zu schwelgen weiß: Georg ist ein Würstel. Und auch Pia Herzegger in der Rolle der notorisch unverstandenen, von einem unerfüllten Kinderwunsch gemarterten Johanna hält da gut mit.

Nicht nur beim ehelichen Sex wird es offensichtlich: Hader macht sich nackig. Sein Georg zeigt Hühnerbrust und Bauch. Am Ende der filmischen Selbstzerlegung hockt er rosig im Schnee, Pillen und Whiskey sollen es richten. Die hängenden Schultern, der runde Rücken machen es offenbar: Hader, Ritter von der traurigen Gestalt, spielt der eigenen Vergänglichkeit in die Hände. Das war jüngst als Stefan Zweig in „Vor der Morgenröte“ so. Und jetzt als Georg wieder. Die schon in jungen Jahren ausgeprägte Altmänner-Körpersilhouette beglaubigt das Wesen der Figur. Eine natürliche Gabe, die Hader klug und gelassen annimmt. „Dass mich die Natur auch damit gesegnet hat, dass ich mir die passenden Rollen schreiben kann, das ist dann wieder fair von der Natur.“

Überhaupt wirkt der darstellerische Meister des Nichtredens, der sich auch privat als Schweiger beschreibt, rundum glücklich mit seiner ersten Filmregie. „Mir war klar: Wenn ich in meinem Alter den ersten Film mache, habe ich nur eine Chance, ich muss mir helfen lassen.“ Also hat er viele Gespräche geführt, Kameraleute und Schauspieler einbezogen und für gute Stimmung am Set gesorgt. „Das ist im Grunde ja ein ganz eiskaltes kapitalistisches Konzept – über Wohlfühlen noch mehr aus den Leuten herauszuholen.“ Hader lächelt fein. Es könnte aber auch sein, dass das Wissen um die Würstelhaftigkeit der Menschen gerade einen Kabarettisten zum guten Regisseur macht.

Hader jedenfalls will es wieder tun. Gut so, denn mit „Wilde Maus“ hat er sowohl thematisch als auch erzählerisch nur den Anfang gemacht.

12.2., 15 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 18.30 Uhr (Toni), 19 Uhr (HdBF), 13.2., 9.30 Uhr (HdBF)

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