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Folge dem Licht. Der niederländische Installationskünstler Henk Stallinga zeigt in der Koje der Galerie Gerhard Hofland geschwungene Leuchtröhren.

© Galerie Gerhard Hofland, Amsterdam

Wiens Kunstszene Viennacontemporary: Schnäppchen aus Ostmitteleuropa

Die Wiener Messe viennacontemporary und „Curated by“, ein Festival der Galerien, locken nach Österreich. So manches erinnert dabei an Berlin vor 15 Jahren.

Boutique-Messe nennt man heute Veranstaltungen wie die Viennacontemporary. Gemeint sind mittelgroße Messen mit rund 100 oder weniger Teilnehmern, die ein bestimmtes Publikum bedienen oder sich beim Angebot auf eine Sparte konzentrieren. Die Wiener Kunstmesse gibt es jedoch schon deutlich länger als den neumodischen Begriff. Mit ihrer Spezialisierung auf den Heimatmarkt einerseits sowie die sogenannten CEE-Staaten Zentral- und Osteuropas hat sie ein Alleinstellungsmerkmal. Jeweils rund ein Drittel der 110 Aussteller in diesem Jahr stammt aus Österreich und Osteuropa.

Diese strategische Ausrichtung hat eindeutig einen Vorteil. Auch in den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang gibt es keine Plattform für Diskurs und Handel auf auch nur annähernd vergleichbarer Ebene. Für Sammler und Institutionen, die sich für östliche Kunst interessieren, ist Wien der Bezugspunkt, sei es für zeitgenössische oder historische Positionen. Aber es gibt auch einen Nachteil. Da diese Länder wenig entwickelte Märkte und Institutionen haben, sind die Preise in der Regel niedrig.

Das ist gut für mutige Sammler, die echte Schnäppchen machen können, mit Preisschildern meist im vierstelligen Bereich, auch für Werke der 60er und 70er Jahre. Zu den ersten Teilnehmern gehören im Westen kaum bekannte Galerien wie AnnArt (Bukarest), Eugster (Belgrad), Galerija Fotografija (Ljubljana), SPZ (Prag) oder Wschód Gallery (Warschau). Mit wachsendem Erfolg und internationaler Anerkennung wandern die Galerien auf die großen Messen ab. Etablierte Kollegen wie Hunt Kastner (Prag), Plan B (Berlin, Cluj-Napoca) kommen in der Regel nur mit Sonderprojekten nach Wien zurück.

Der ewige Verlust erfolgreicher Galerien bedeutet, dass die Messe ständig nach neuen Talenten und aufstrebenden Galerien suchen muss, die in der Regel finanziell weniger stark sind als ihre etablierten Kollegen. In einem Markt, der sich für kleine Unternehmen immer schwieriger gestaltet, wird diese Aufgabe nicht einfacher. Der Mangel an privater Kaufkraft könnte auch die schwache Präsenz westlicher Galerien erklären. Die fortgeschritteneren österreichischen Sammler kaufen in Basel oder London, ein Schicksal, das Wien mit anderen Kunstmessestandorten teilt.

Alle wichtigen österreichischen Galerien sind beteiligt

Anders als etwa Berlin kann die privat geführte Messe allerdings auf öffentliche Unterstützung bauen. Die Zone1 mit Künstlern, die aus Wien stammen, dort leben oder sonst eine Verbindung nach Österreich aufweisen, wird vom Bundeskanzleramt gesponsert. Die Kulturabteilung der Stadt sowie die Wirtschaftsagentur tragen ebenfalls ihr Scherflein bei.

Aber auch lokale Sammler und Institutionen sind ihren lokalen Kunsthändlern treu geblieben. Deshalb sind alle wichtigen österreichischen Galerien beteiligt. Das war nicht immer der Fall. Als Reed Exhibitions (Fiac, Paris Photo) den Vorgänger Viennafair betrieb, schien die Messe am Ende ein hoffnungsloser Fall zu sein. Nach dem Verkauf an einen Russen brachte die neue Leiterin Christina Steinbrecher-Pfandt die Messe wieder auf Kurs.

Seit dieser Ausgabe leitet die in Polen gebürtige Berlinerin Johanna Chromik die Show. Sie hat seit ihrem Antritt im Januar noch eine Reihe Teilnehmer vor allem aus Polen akquirieren können. Mit einer personellen Umbesetzung des Beirats hat sie sich in der bekanntlich komplexen Wiener Szene allerdings nicht nur Freunde gemacht. Der Sammlerzuspruch – auch aus Deutschland – zur Vernissage war am Donnerstag war jedoch vielversprechend. Es scheint sich herumzusprechen, dass die Wiener Szene äußerst lebendig ist.

Bereits zwei Tage zuvor hat die nomadische Parallelmesse in einem ehemaligen Bürogebäude eröffnet. Hier geht es ausgesprochen rumpelig zu. Das Labyrinth aus Gängen mit hühnerstallartigen Büros bietet ein buntes Sammelsurium aus sich selbst präsentierenden Künstlern, Off-Spaces und etablierten (österreichischen) Galerien, zumeist zu sehr günstigen Preisen. Und die Galerien der Zone1 der Muttermesse haben sich zusätzlich einen ehemaligen Hamam in einem eher zwielichtigen Viertel zu einer Gruppenausstellung eingerichtet. So entsteht eine Atmosphäre, die der in Berlin vor zehn, 15 Jahren nicht unähnlich ist. Stefan Kobel

Parallel findet das Festival "Curated by" statt, mit 22 Galerien

Die Schauseite der Sakkos ist ihr Futter. Débora Delmar hat neue Stoffe in Jacken nähen lassen, doch statt eines Musters zeigen sie Fotos vom Innenleben anonymer Shoppingmalls. Die Orte glänzen unter künstlichem Licht, gleichzeitig führen sie mitten in das Thema der Ausstellung „Overproduced / Overcirculated“, an der neben Delmar auch Nicolás Lamas und Eli Cortinas teilnehmen.

Lamas zeigt Fundstücke aus Wiens Straßen. Er macht daraus eigenwillige Objekte, wenn er Schuhsohlen anflämmt, die nun wie schwarze Foodprints auf dem Boden liegen. Man kann das symbolisch verstehen. Es genügt aber auch, sich das Material des in Brüssel lebenden Künstlers anzuschauen, um seinen Ansatz zu verstehen. Lamas agiert als Archäologe des Alltags, er schöpft aus dem zivilisatorischen Überfluss.

Dass seine Arbeiten ein billiges Regal in der Galerie Zeller van Almsick füllen, ist nicht ganz ohne Ironie. Schließlich leben Galerien von der Produktion und dem Verkauf immer neuer Kunst, die Begehrlichkeiten weckt und sich so in den von Delmar thematisierten Warenkreislauf einspeist. Gleichzeitig unterbrechen jene 22 Galerien, die aktuell am Wiener Festival „Curated by“ teilnehmen, diesen Prozess bewusst, wenn sie ebenso viele internationale Kuratoren einladen, um ihnen die Räume für Ausstellungen zu überlassen, die vieles dürfen und wenig müssen.

Bei Zeller van Almsick stammt keiner der drei teilnehmenden Künstler aus dem eigenen Programm. Vier Wochen lang räumt die junge Galerie alles weg, um dabei zu sein. Es gibt Geld vom Bundeskanzleramt, 9000 Euro für jedes Projekt, ein Drittel davon geht als Honorar an die Kuratoren. Und man muss nicht groß rechnen, um zu wissen, dass das Übrige nicht reicht, um wie im Fall der weit größeren Galerie Mario Mauroner eine Schau mit 26 Namen wie Marina Abramovic, Lynda Benglis oder Valie Export zu realisieren. Nicht nur für Mauroner ist „Curated by“ zugleich Attraktion wie Investition

Doch es lohnt sich ganz offenbar: Das Festival findet in diesem Jahr zum elften Mal statt, die Teilnahme ist eine Auszeichnung und nicht wenige Galerien sind seit der Premiere dabei.

Die 22 Ausstellungen sind über diverse Wiener Bezirke verteilt

Auch die Besucher profitieren von der Initiative und dem Einfallsreichtum aller Beteiligten. 22 kuratierte Ausstellungen, verteilt über diverse Bezirke, zeigen den state of the art. Was nicht zuletzt an den Kuratoren liegt, die manchmal selbst Künstler sind: Florian Pumhösel etwa, der sich in die Schau bei der Galerie Meyer Kainer integriert, oder Kendell Geers, der Mauroner die Pionierinnen des Feminismus in Haus geholt hat und am Eingang das wahnwitzige Video „Shadow Boxing“ von Sophie Whettnall zeigt. Eine Performance, in der ein Boxer die Künstlerin traktiert, ohne dass diese mit der Wimper zuckt. Whettnall war zur Eröffnung auch vor Ort, um ihre Arbeit von 2004 zu wiederholen.

„Curated by“ spannt den Boden von Bildern der sechziger Jahre aus der Hand von Künstlerlegende Oswald Oberhuber in der Galerie Ernst Hilger bis zu filmischen Installationen der angesagten Yoga-Heiler-Forscherin Tabita Rezaire, die bei Sophie Tappeiner den westlich geprägten Kunstkosmos demontiert. Bei Crone Wien trifft Rosemarie Trockel auf Sterling Ruby, während Paul Clinton in der Galerie Emanuel Layr eine tricky Ausstellung zu der Frage komponiert hat, ob „die Zirkulation von queeren oder feministischen Abbildungen sexuelle Minderheiten an den Rand drängt“.

Antworten geben unter anderem Michael Curran und die Gruppe General Idea. Zu den schönsten Präsentationen zählt „assistants of the void“ in der Galerie nächst St. Stephan. Kuratiert wurde sie von Adam Budak als kluge Reflexion über die Spielarten der Leere. In einem Raum zeigt Katinka Bock ihr Video „..O…O…O (red and green)“, in dem sich eine Frau diverse Male maskiert und Handschuhe anzieht. Erst spät erkennt man, dass diese zweiten Häute gebackene Pfannkuchen sind. Löchrige Fetzen aus Teig, mit denen die Künstlerin die Fantasie zum Tanzen bringt. Christiane Meixner

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