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Messe für Bruckner. Thieleman und die Wiener Philharmoniker.

© Paul Zinken/dpa

Wiener Philharmoniker: Heiliges Hallen

Auftakt einer Kathedralen-Tour: Christian Thielemann und die Wiener Philharmoniker spielen Bruckner im Berliner Dom.

Hans-Albert Courtial hatte eine ziemlich verrückte Idee. In Vorbereitung auf den 200. Geburtstag von Anton Bruckner im Jahr 2024 alle Sinfonien des Meisters aufzuführen, und zwar als Wanderfestival, als klingender Parcours durch die bedeutendsten Kathedralen Europas. Weil der 62-jährige Hesse bestens vernetzt ist in der katholischen Welt, als Veranstalter von Pilgerreisen in die Ewige Stadt wie ins Heilige Land, aber auch als Gründer einer Stiftung zur Förderung der Kirchenmusik, konnte er tatsächlich eine Finanzierung auf die Beine stellen. Und die Wiener Philharmoniker als Mitwirkende gewinnen, die das Mammutprojekt am Donnerstag unter der Leitung von Christian Thielemann starteten: im evangelischen Berliner Dom, als Zeichen des guten ökumenischen Willens wie auch als Reverenz an die Heimatstadt des Dirigenten.

Bis zum feierlichen Festivalfinale in fünf Jahren, das selbstverständlich im Petersdom in Rom stattfinden wird, sind Konzerte in der Sagrada Familia von Barcelona und im Duomo di Milano geplant, in der Münchner Michaeliskirche sowie dem Wiener Stephansdom. Und auch mit Notre Dame de Paris war bereits einen Termin für 2021 fixiert, als das verheerende Brandunglück den Bau verwüstete. Aus christlichem Mitgefühl wurde der Berliner Auftritt spontan zum Benefizkonzert für deren Wiederaufbau umgewidmet.

Die Nachhallzeit im Dom ist fünfmal so lang wie in Konzertsälen

Voll besetzt sind die harten Kirchenbänke zum Auftakt in der deutschen Hauptstadt, obwohl der Berliner Dom denkbar ungeeignet ist für die Aufführung von romantischer Orchestermusik. Aufgrund der fast 100 Meter hohen Kuppel ist die Nachhallzeit hier fast fünfmal so lang wie in akustisch idealen Konzertsälen. Generalpausen lassen sich dadurch maximal effektvoll setzten, weil das Publikum hörend mitverfolgen kann, wie die Schallwellen des Schlussakkords fast sechs Sekunden lang in den Luftraum über dem Altar entschweben. Sobald aber mehrere Instrumente mit einer gewissen Geschwindigkeit gleichzeitig spielen, überlappen sich die Klangschichten derart, dass daraus ein dickflüssiger Tonbrei entsteht.

Christian Thielemann ist diese Problematik natürlich bekannt, und er hat darum klug Bruckners Zweite für den Auftakt gewählt, die feingliedrigste seiner Sinfonien, die fast völlig auf blockhafte Blechbläserattacken verzichtet und auch auf die sonst für den Komponisten so typischen Lautstärkenkontraste nach Organistenmanier. Dass die Partitur 1873 von den Wiener Philharmonikern uraufgeführt wurde, ist unter den gegebenen Aufführungsbedingungen nur ein historischer Funfact am Rande.

Soundtrack für die Ausgießung des Heiligen Geistes

Als Präludium ist dem Bruckner’schen Glaubensbekenntnis in c-Moll eine zeitgenössische Komposition vorgeschaltet. „Eternity in an hour“ des Briten Christian Mason würde sich durchaus als Soundtrack für die Ausgießung des Heiligen Geistes eignen. Gamelanklänge treffen da auf Weltraumsounds, es gibt wuchtige, filmmusikhafte Motive in vielfacher Wiederholung, Pastoral-Tonales wechselt mit bedrohlichem Grummeln und sphärischem Glitzern. Eine nach Harmonie strebende Musik ist das, mit interessanten, nicht sofort zu entschlüsselnden Klangkombinationen, der die wattige Akustik des Doms durchaus entgegenkommt.

Zweimal hat Thielemann die 2. Sinfonie nun mit den Wienern interpretiert, im vertrauten Ambiente des Goldenen Musikvereinssaals. In Berlin geht der Dirigent das Stück nun mit maximaler Zurückhaltung an, dosiert die Dynamik sparsam, wählt die Tempi bewusst langsam. Alles, was zart orchestriert ist, wird so in wunderbar warmes Licht getaucht, atmet himmlische Süße, wie auf präraffaelitischen Gemälden. Kitschig-schön wie rosa Wattewolken vor marienmantelblauem Abendhimmel wirken die kontemplativen Passagen mit wenig Bewegung: Wenn die Holzbläser innige Kantilenen über Liegetönen der Geigen schweben lassen, wenn das Horn samtig seine Stimme erhebt, begleitet von betörend fülligem Streicher-Pizzicato, dann möchte man fast zum Katholizismus konvertieren.

Der langsame Satz wird damit zum Herzstück des Abends, und Thielemann kostet ihn lustvoll aus, zelebriert ihn wie Wagners „Karfreitagszauber“ aus dem „Parsifal“. Wo immer Bruckner den Tonsatz aber verdichtet, wo die Musikerinnen und Musiker partiturgemäß in Fahrt kommen, das volle Orchester heilsgewiss auftrumpft, da verschwimmt sofort alles, da ballt sich der Klang unschön zum Bombast, der so überladen wirkt wie die wilhelminisch-protzige Neorenaissance des Berliner Doms.

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