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Kultur: Wien: Wolkenkratzer in der Praterstadt?

In Wien, so meint Gustav Peichl, sei eine "neue Gründerzeit" angebrochen. Was da im Augenblick alles gebaut werde!

In Wien, so meint Gustav Peichl, sei eine "neue Gründerzeit" angebrochen. Was da im Augenblick alles gebaut werde! Peichl selbst, der international renommierte Architekt und Karikaturist zeichnet für eine Reihe auffälliger Projekte verantwortlich; weitere hat er in der Schublade liegen. Seinen Vergleich mit der Gründerzeit sollte man jedoch nicht überstrapazieren. Gewiss, wie damals fließt eine Unmenge an Geld nicht nur in neue, sondern auch in architektonisch neuartige Bauten - aber von der harmonischen Gestaltung größerer Ensembles oder gar von einem großen städteplanerischen Wurf ist derzeit wenig zu verspüren.

Umso mehr und umso höher ragen ehrgeizige Projekte in den Himmel. Wien hat sich nach Jahren des Zögerns und oft spießbürgerlichen Widerstrebens der neuen architektonischen Formensprache geöffnet; die so lange Zeit ausgegrenzte Kreativitätswerkstatt Coop Himmelb(l)au darf in ihrer Heimat bauen; da schießt auch die Fantasie anderer ins Kraut. Es entstehen, verstreut über die Stadt, zahlreiche Einzelobjekte, die zu ihrer Umgebung kaum in einen Dialog treten, und wer eine "Skyline" sucht, blickt häufig in eine scheinbar unorganisierte Ansammlung von Bauten.

"Wien darf nicht Chicago werden." Mit dieser Forderung zog die FPÖ gegen die "Verschandelung" der Stadt mit Wolkenkratzern zu Felde. Den Hochhausboom konnten die Freiheitlichen allerdings nicht verhindern. Vor einem Jahr ist der "Millenniums-Tower" fertig geworden, mit 202 Metern das dritthöchste Gebäude Europas. Gustav Peichl, Boris Podrecca und Rudolf Weber haben die schlanke Nadel entworfen. In der Bürostadt Donaucity kommunizieren der postmoderne, ovale Andromeda-Tower und die konkaven, altmodischen Betonfassaden der UN-Verwaltung wenigstens ansatzweise miteinander. Gegenüber ist der 110 Meter hohe "Mischek-Tower", der höchste Wohnturm Österreichs, vor wenigen Wochen fertig geworden; er wird auch noch eine Art Zwilling bekommen. Daneben wird an dem Doppelriegel des "Ares-Tower" gearbeitet; Peichl und Arata Isozaki wollen sich mit weiteren zwei Türmen ein Denkmal setzen. In rund sieben Jahren soll der Mix aus Büros, Wohnungen, Freizeit- und Bildungsstätten vollendet sein: 3500 Einwohner, 10 000 Arbeitsplätze.

Jetzt rücken die Hochhäuser sogar dem historischen Stadtzentrum zu Leibe. Dass der schäbige Bahnhof Wien-Mitte überbaut werden soll, versteht jeder - aber muss das neue "Stadttor" gleich aus drei Bürotürmen bestehen? "Wien soll nicht Manhattan werden", heißt es nun; wieder stecken Freiheitliche hinter der Bürgerinitiative. Aber auch Peichl rät allmählich zur Vorsicht.

Es hat Tradition in Wien, mitten in Gewerbebrachen hinein zu bauen und zu hoffen, ein neues Stadtviertel werde sich dann schon herausbilden. Doch während sich die Traviata-Siedlung mit ihren festungsartigen Mauern vollständig von der unwirtlichen Umwelt abschirmt, setzt man im südöstlichen Simmering darauf, dass die Bewohner über die Ödnis der Stätte hinwegsehen: In den Gasometern fangen die Wohnungen erst auf einer Höhe an, die normale städtische Mietshäuser erst gar nicht erreichen.

Gasometer mit Shopping-Mall

Der Umbau der vier Gasometer ist das zur Zeit wohl spektakulärste Projekt in Wien. Hundert Jahre alt sind die mächtigen Relikte großstädtischer Energieversorgung; in jeden der rotbraunen Ziegelzylinder, massiv gemauert und geziert wie die Industriedome der Gründerzeit, würde das Riesenrad vom Prater mühelos hineinpassen: 65 Meter Durchmesser, 72 Meter Höhe. Die Anlage war ein Vierfach-Akku für die Stadt, 360 000 Kubikmeter Gas hatten hier Platz. Seit 1986 werden sie nicht mehr gebraucht. Knapp 700 öffentlich geförderte Wohnungen und Studentenzimmer sollen nun innerhalb der Zylinder entstehen und eine "Shopping-Mall" die vier Gasometer verbinden; Riesenkinos und eine akustisch abgeschirmte Musikhalle werden die Besuchern anlocken. Die U-Bahn wird bis vor die Tür gelegt; die Autobahn erhält eine neue Abfahrt.

Mit dem Denkmalschutz geht man bei den Gasometern flexibel um. Nur so lässt sich das architektonische Hauptproblem lösen, nämlich ausreichend Licht ins Innere zu bekommen. Neben den riesigen alten Bogenfenstern, die künftig zehn bis zwölf Wohn-Etagen beleuchten sollen, sind von oben bis unten Einschnitte in das Mauerwerk vorgenommen worden. Einer der vier Architekten, Manfred Wehdorn, ist übrigens gleichzeitig Wiens Denkmalschützer: So ließen sich Konflikte vermeiden.

Wehdorn löst das Lichtproblem in "seinem" Gasometer dadurch, dass er die sechs Wohntürme im Inneren terrassenartig abstuft. Jean Nouvel wiederum lehnt neunzehn Wohntürme an die Zylinderwand und spart dazwischen Lichtschlitze aus. Das ergibt - wie passend für Wien - Wohnungen in der Form von Tortenstücken. Mit filigraner Glas- und Stahlbauweise im Inneren will Nouvel außerdem die drückende Schwere der äußeren Ziegelmauern konterkarieren. Coop Himmelb(l)au, also Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky, tun ihrerseits alles, um ihrem Ruf als "enfants terribles" gerecht zu werden: Sie setzen ihrem Gasometer außen einen Schild oder eine Art Segel aus Beton und Glas vor, das die Glaskuppel überragt und zusätzliche Wohnungen aufnehmen soll. Sie bieten auch verschiedene Grundrisse an, darunter Maisonette-Lösungen.

Der einzige, der auf ein Glasdach und damit auf die Gewächshaus-Atmosphäre verzichtet, ist Wilhelm Holzbauer (der auch das Festspielhaus in Baden-Baden gebaut hat). Getreu seinem Arbeitsmotto "Meine Gebäude sollen zeigen, was sie sind", setzt Holzbauer seinen dreiflügeligen Wohnturm mitten in den Gasometer hinein. Die gewaltige Außenmauer bleibt somit auch im Inneren weitgehend sichtbar; sie legt sich, bei Holzbauer besonders stark durchbrochen, wie ein Gatter um die Wohnblocks: Wer zum Fenster hinausschaut, sieht vorwiegend Zaun.

Wie sich die 300 Millionen Mark teure, hoch verdichtete Bebauung innerhalb der Ziegelmauern akustisch auswirken wird, lässt sich bisher nur vermuten. Spätestens im Herbst 2001 sollen die neuen Bewohner einziehen können. Bereits jetzt, so erklären die Bauträger, sei deutlich mehr als die Hälfte des Wohnraums vergeben.

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