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Wiedereröffnung mit Karin Sander: Haus am Waldsee: In diesen Mauern steckt was

Das Haus am Waldsee ist frisch saniert. Zum Auftakt bespielt die Berliner Minimalistin Karin Sander die Villa. Ein Rundgang.

Am Ende entpuppt es sich als Clou. Die große Minimalistin Karin Sander war eigentlich eingeladen, das Haus am Waldsee nach anderthalbjähriger Sanierung mit einer Retrospektive zu eröffnen. Eine Verbeugung vor der bekannten Berliner Künstlerin, die in der Schweiz lehrt und überall woanders ausstellt, nur selten in ihrer Heimatstadt, schon gar nicht in einer größeren Institution. Stattdessen hat die 62-Jährige ein neues Werk geschaffen, eine Geste hingelegt, mit der sie das Zehlendorfer Ausstellungshaus feiert und sich selbst in die Geschichte der 1922 erbauten Villa einschreibt.

Die Kunst ist draußen, nicht drinnen. Das Verwirrspiel beginnt bereits, wenn sich der Besucher durch den Vorgarten nähert, der noch mit parkenden Handwerkerautos vollgestellt ist. Das Haus am Waldsee wird bis ins Frühjahr Baustelle sein, zumindest im Außenraum, wo die Wege noch unbefestigt sind und Gerüstteile herumliegen. Noch mehr irritiert: An der Fassade des gesamten Hauses hängen verschieden große weiße Tafeln, vom Handtaschenformat bis zur meterhohen Fläche. Es sind gewöhnliche Leinwände, vom Künstlerbedarf Boesner hergestellt, rund siebzig, die in verschiedenen Höhen sogar vor den Fenstern befestigt sind.

Coolness und Geschichte

Der Besucher ahnt, dass es sich hierbei nicht um weitere Überbleibsel der Sanierung handelt, sondern um die Kunst selbst. Karin Sander hat eine Fortsetzung ihrer Gebrauchsbilder aufgelegt, einer Serie seit Anfang der 90er, für die sie weiß grundierte Leinwände mal unverpackt mit der Post verschickt, mal im Garten dem Wetter und anderen Zufällen aussetzt. Die nach und nach eingeschriebenen Spuren von Patschhänden oder Fuchspfoten bilden am Ende das Werk.

So weit, so bekannt die Sandersche Methode, die einerseits der Coolness der Minimal Art in den 60ern huldigt, sie andererseits durch spielerische Störmanöver konterkariert. Beim Haus am Waldsee bringt die Künstlerin eine neue Facette hinzu, indem sie die blanken Flächen durch die Verschmutzung nicht nur mit dem Ort kurzschließt, sondern zugleich mit seiner Geschichte auflädt. Die Titel der Bilder sind in entsprechender Höhe an den Innenwänden des Gebäudes angebracht mit der Bezeichnung des jeweiligen Raums: Billardzimmer, Damenzimmer, Badezimmer, Speisezimmer.

Die Fantasie wird angeregt

Der Besucher wandert also durch ein leeres Gebäude, an dessen Wänden als einziges nüchterne Angaben über Formatgröße, Jahr und Raumbezeichnung stehen. Doch was heißt hier leer? Das Haus beginnt sich in der Fantasie des Besuchers zu füllen mit Vorstellungen, wer hier einmal gewohnt, das Herrenzimmer, den Wintergarten benutzt hat. Die Komplettsanierung – sämtliche Wände, Böden, Türen, Fenster wurden überarbeitet, die Elektrik erneuert, der im Krieg zerstörte, nach ’45 abgetragene Ostflügel rekonstruiert – hat die ehemalige Fabrikantenvilla nicht auf Null gestellt, sondern holt die Erinnerung wieder hervor, die Karin Sander nun durch die Wände flüstern lässt: Hier hat die Familie des jüdischen Regenmantelfabrikanten Hermann Knobloch gelebt, hier hat sich in der NS-Zeit, als die Reichsfilmkammer einquartiert war, angeblich Göring verbotene US- Filme angeschaut, hier soll Franz Marcs verschollenes Gemälde „Turm der blauen Pferde“ zuletzt gesehen worden sein, hier gaben die Berliner Philharmoniker ihr erstes Konzert nach dem Krieg, hier haben seitdem über 500 Künstler ausgestellt, beginnend mit Käthe Kollwitz.

„Erst jetzt merken wir, dass ein über 70 Jahre währendes Provisorium zu Ende gegangen ist“, sagt Direktorin Katja Blomberg bei der Übergabe. Am liebsten hätte sie schon sechs Jahre zuvor mit der Sanierung begonnen, doch dann fehlte Geld, zum Glück sprang die Deutsche Klassenlotterie ein. Zuletzt wurden Bibliothek, Lichtsystem und Ausstattung aus dem Budget von knapp drei Millionen Euro herausgerechnet, um im Kostenrahmen zu bleiben. Der Förderverein kümmerte sich um die Beschaffung der Mittel.

Für das Haus beginnt eine neue Phase

Zwei Mal musste die Eröffnung abgesagt werden, zunächst im Sommer 2018 während der Artweek, dann im Herbst: Der anhaltende Bauboom lockte die Handwerker woandershin, und genau am Übergang zwischen Ursprungsbau und wieder hinzugefügtem Flügel tauchte plötzlich Schwamm im Dach auf. Nun steht die alte Villa wieder prachtvoll da wie einst. Das für seinen respektvollen Umgang mit Altbausubstanz bekannte Architekturbüro von Walter Grundwald und Georg Wasmuht hat ganze Arbeit geleistet. Fast zu perfekt für ein Ausstellungshaus aktueller Kunst, wären da nicht als Hinweise auf die Zeitgenossenschaft: die wild in sich verschlungenen Leuchtröhren von Susanne Rottenbacher auf den Pfeilern des Eingangstors, der quietschgelbe Tresen im Eingang von Sabina Nordalm und der deckenhohe Vorhang im neuen Café von Tobias Rehberger, dem im Herbst eine eigene Ausstellung gewidmet werden soll.

Für das Haus am Waldsee beginnt nun eine neue Phase. Als Bühne für Berliner Künstler, die zwar anerkannt, in ihrer eigenen Stadt aber noch nicht gewürdigt worden sind, hat Katja Blomberg das Haus seit 2005 erfolgreich etabliert. Nun will sie es auch für solche Künstler öffnen, die nicht unbedingt in Berlin leben müssen, aber der Stadt verbunden sind wie der Frankfurter Rehberger. Es soll außerdem künftig Dialog-Ausstellungen geben wie demnächst mit Björn Dahlem und Berta Fischer, weiterhin Klassiker wie die zusammen mit dem Kolbe-Museum geplante Schau des britischen Bildhauers Lynn Chadwick, der hier schon einmal 1960 ausgestellt hat.

Sanders Werk passt perfekt zum Neubeginn

Und es soll mehr in Museumspädagogik geleistet werden. An Ausstellungsfläche ist durch den 400 Quadratmeter Anbau zwar nichts hinzugewonnen, dafür hat sich das bisherige Café um einen lichterfüllten Raum mit bodentiefen Fenstern erweitert, die den Blick nach vorne in den Vorgarten und hinten bis runter zum Waldsee schweifen lassen. Wo sich einst die Garage mit einer hauseigenen Tankstelle befand, kann nun tagsüber für den Restaurantbetrieb eingedeckt und abends für Veranstaltungen bestuhlt werden. Der Saal reicht für rund 80 Besucher.

In der Etage darüber, wo früher die Angestellten der Fabrikantenfamilie ihre Zimmer hatten, sind jetzt Büros eingerichtet für den Geschäftsführer und seine Assistentin, die beiden Mitarbeiter der Presseabteilung. Dazwischen im großen Flurbereich soll eine Bibliothek hinkommen, die nach Anmeldung auch von den Besuchern genutzt werden kann. Außerdem wurde der Dachstuhl ausgebaut, um hier Fläche für Workshops und eine kleine Gästewohnung für Künstler zu schaffen. Um Geld einzuspielen, soll das Dachgeschoss auch vermietet werden, denn für die Ausstellungen gibt es weiterhin kein festes Budget, das muss jedes Mal neu akquiriert werden.

Frau Direktor logiert im Altbau, im ehemaligen Kinderzimmer, wie eine kleine Inschrift verrät, die von Karin Sander stammt. An der Wand des zweiten Kinderzimmers hängt darüber hinaus eine Fotografie der Künstlerin als kleines Mädchen, das ihre Mutter 1962 von der Fünfjährigen aufnahm, die hochkonzentriert mit einem kleinen Gefäß Wasser aus einem Eimer in einen Kanister schöpft. „Wasser zählen“ nannte sich das Spiel. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, für Karin Sander jedoch ein Bild künstlerischer Freiheit und Hartnäckigkeit. Eine ehemalige Villa mit leeren Leinwänden zu bepappen, könnte man ebenso darunter rechnen. Für das Haus am Waldsee steht es perfekt für den Neubeginn.

Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, 26. 1. bis 3. 3.; Di bis So 11 – 18 Uhr.

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