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Wiedereröffnung des Kiasma-Museums in Helsinki: Weltenflucht in die gefilmte Sauna

Finnland teilt sich eine 1300 Kilometer lange Grenze mit Russland. Die aktuellen politischen Spannungen werden bis in die Kunst sichtbar.

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Großes Geschiebe im Kiasma, Helsinkis Museum für zeitgenössische Kunst. Fünfzehn Monate lang war der 1998 eröffnete, geschwungenen Bau des US-Architekten Steven Holl im Zentrum der finnischen Hauptstadt geschlossen. Licht, Leitungen, Sicherheitstechnik, das Dach mussten erneuert werden, eine andere Möblierung sollte her. Ansonsten ist alles beim Alten geblieben, auch wenn die Hüllen außen noch nicht ganz gefallen sind.

Im Inneren drängt sich anlässlich der Wiedereröffnung das Publikum auf der schräg durch den Gesamtbau verlaufenden Rampe. Statt sich von einem Geschoss ins andere nach oben zu bewegen, stehen jetzt alle umgekehrt mit dem Blick nach unten ins Foyer gerichtet, wo der italienische Performancekünstler Michele Rizzo mit seiner Truppe „Higher xtn.“ aufführt.

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Nach und nach sind die Mitglieder zum hypnotischen Sound elektronischer Musik im immer gleichen Schritt aus den verschiedenen Richtungen in die Lobby getänzelt, wo sie scheinbar zufällig zu Formationen zusammenfinden, dann wieder auseinanderdriften.

Das Kiasma holt die internationale Kunst in die Stadt

„Das haben wir bei uns mit sehr viel mehr Tänzern gezeigt“, flüstert der Berliner „Kunst Werke“-Direktor Krist Gruijthuijsen, der zur Kiasma-Eröffnung angereist ist und nun ebenfalls auf der Rampe steht. Kann schon sein, dass das Kiasma die Nase nicht ganz vorne hat. Für die finnische Hauptstadt mit ihren knapp 657 000 Einwohnern ist diese Aufführung, auf die später noch Performances von Alexandra Bachzetsis und Alexandra Pirici oder die Oper „Sun & Sea“ folgen sollen, mit der der litauische Pavillon auf der letzten Biennale den Goldenen Löwen gewann, trotzdem ein großes Ding. „In Helsinki haben die Performance dafür mehr Besucher als in Berlin gesehen“, gibt Pressereferentin Anne Maier später zurück.

Das Kiasma holt die internationale Kunst in die Stadt, die ansonsten mehr im eigenen Saft schmort. Das 2015 in einer ehemaligen Tennishalle eröffnete Helsinki Art Museum, in der gleichzeitg ein Kino untergebracht ist, zeigt vor allem regionale Künstler, auch wenn es mit Ai Weiwei begann.

Mit „ARS22“ wird das gesamte Haus bespielt

Das unterirdische Privatmuseum Amos Rex mit direktem Zugang zu einer Einkaufsmall, das vor drei Jahren hinzukam, präsentiert gerade eine Gruppenausstellung passenderweise zum Thema Untergrund. Tacita Dean oder Pipilotti Rist bilden neben lokalen Größen die Ausnahme. Anschluss an den globalen Kunstbetrieb sucht ambitioniert eigentlich nur das Kiasma.

Umso wichtiger ist seine Rückkehr auf den Spielplan der Stadt – mehr denn je nach den Corona-Einschränkungen und nun den Verunsicherungen durch den Ukraine-Krieg. Mit „ARS22“ wird das gesamte Haus bespielt. Die Ausstellungsreihe im Fünf-Jahres-Rhythmus gibt es schon seit 1961, als die zeitgenössische Kunst noch im Ateneum untergebracht war, der finnischen Nationalgalerie. Nachdem die letzten neun Ausgaben sich spezifischen Themen widmeten, lautet das Motto diesmal einfach nur „Living Encounters“, Lebendige Begegnungen.

Die Kuratoren hatten Scheu, sich thematisch festzulegen

Michele Rizzos Performance zur Eröffnung passt perfekt. Die somnambulen Tänzer teilen dennoch die gleiche Erfahrung. Insgesamt sind in der Gruppenausstellung 55 Künstler:innen aus 26 verschiedenen Ländern zu sehen. Als die Planungen dafür 2019 begannen, ahnte noch niemand, was kommen würde. Vielleicht hatten Museumsdirektor Leevi Haapala und sein Chefkurator João Laia deshalb Scheu, sich genauer festzulegen.

Wie weit die Ratlosigkeit mit den neuen Unwägbarkeiten geht, zeigt sich am Beitrag des russischen Künstlers Evgeny Antufiev, der jetzt eben nicht im großen Kopfsaal mit Blick auf den großen Stadtplatz zu sehen ist, an dem das Parlament, die Nationale Musikhalle und die neue Zentralbibliothek liegen.

Stattdessen prangt riesig an der Wand der Schriftzug „No War“. Wenn der Krieg vorüber ist, werde Antufiev hier seine Arbeit zeigen, verspricht Kurator Laia. Bei der Beschilderung beweist das Museum dagegen mehr Selbstverständlichkeit. Die Texttafeln neben den Werken sind weiterhin viersprachig verfasst: in Finnisch, Schwedisch, Englisch und Russisch.

70 Prozent der Finnen würden ihr Land mit der Waffe verteidigen

Russ:innen bilden die größte Minderheit im Land, das eine 1300 Kilometer lange Grenze mit dem Nachbarn teilt. Seit der russischen Invasion in der Ukraine hat sich das trotz aller Appeasementpolitik immer noch angespannte Verhältnis gewaltig geändert. Finnland hat den Angriff der Roten Armee, den Winterkrieg1939/40 nie vergessen, in dessen Folge große Teile des Landes abgegeben werden mussten.

Über 60 Prozent der Finnen befürworteten heute den Nato-Beitritt, 70 Prozent seien bereit ihr Land mit der Waffe zu verteidigen, betonte der finnische Präsident beim Besuch Frank-Walter Steinmeiers in der vergangenen Woche.

Kunst könnte in diesen angespannten Zeiten für Eskapisten die Rettung sein. Diese Lesart legt zumindest Laure Prouvosts Beitrag nahe. Ihr während zweier Sommer in Helsinki gedrehter Film gehört zu den 15 Auftragsarbeiten für die Eröffnungsausstellung.

Prouvosts Weltflucht führt zurück in den Mutterleib

Die Französin widmete ihn einem Lieblingsthema der Finnen, der Sauna. Besuchern ihrer Installation wird real eingeheizt, die Temperatur im Raum ist ordentlich hochgedreht, von der Leinwand fällt auf die Sitzenden warmes, rötliches Licht. Zwei Frauen, ein Baby und diverse Unterwassertiere spielen in „For Four Beauties“ die Hauptrolle. Prouvosts Weltflucht führt auf direktem Weg zurück in den Mutterleib.

Auch der Museumsbau selbst scheint sich nach außen abzuschotten – bis auf jenen freien Blick auf das Machtzentrum der Stadt und das große Fenster auf den Mannerheimvägen, an dem just das Reiterdenkmal Carl Gustav Mannerheims steht, der im Winterkrieg die finnische Armee befehligte und nach dem Krieg Staatspräsident wurde.

Ideologische Zuordnungen lösen sich auf

Bis heute gilt er als streitbare Figur. Kein Zufall, dass ihm gegenüber das Berliner Duo Slavs und Tatars seine Installation „PrayWay“ installieren durfte, ein Zwitter aus fliegendem Teppich und geöffnetem Buch, das an einen Koran-Aufsteller erinnert. Besucher dürfen darauf Platz nehmen. Ideologische Zuordnungen, religiöse Eindeutigkeiten lösen sich damit kurzerhand auf.

[Kiasma, Helsinki, bis 16. 10.]

Kunst könnte die Alternative sein, eine heile Welt suggeriert sie trotzdem nicht. Michael Rakowitz, US-Amerikaner mit irakischen Wurzeln, baut aus Bonbonpapier, aus Wegwerfmaterial Repliken antiker Monumente, die durch den Krieg zerstört wurden. Das Kiasma zeigt die rekonstruierten Reliefs des Palastes von Nimrud, den die Truppen des IS bombardierten. Die Attacken liegen sieben Jahre zurück. Bilder von zerstörten Kirchen in der Ukraine schieben sich dazwischen.

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