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Bestandsaufnahme in Palmyra. Was vom Tempel blieb, entscheidet auch über die Art und Weise des Wiederaufbaus – als Mahnmal oder Kopie.

© aFoto:Sanadiki/ REUTERS

Wiederaufbau von Palmyra: Die Sprache der Steine

Was kann die Archäologie jetzt tun? Friederike Fless, Präsidentin des Deutschen Archäologischen Instituts, über die Zukunft der Welterbe-Stätte.

Palmyra befindet sich nicht mehr in den Händen des „Islamischen Staates“, und die Zerstörungen sind geringer als befürchtet. Diese Nachricht schickten mir syrische Kollegen zusammen mit den besten Wünschen zum Osterfest. Zugleich erreichten die Medien erste Fotografien, die eine grobe Einschätzung der Situation erlauben. Die Narben, durch die Zerstörung der beiden großen Tempel von Baal und Baalschamin, den Hadriansbogen und zahlreicher Grabbauten im Stadtbild entstanden, sind deutlich sichtbar.

Durch Propagandavideos des IS wissen wir auch, dass Grabreliefs und Baudekor zerschlagen wurden. Die Rückeroberung hat außer an der umkämpften Zitadelle offensichtlich keine weiteren großen Schäden verursacht. Ebenso wenig war das Zerstörungswerk des IS, der die Ruinen mit Sprengfallen versehen hatte, von Erfolg gekrönt. Aufgrund der ersten Fotografien und der unmittelbaren Informationen durch syrische Archäologen ist es glaubwürdig, dass 80 Prozent der nur in Teilen ausgegrabenen Stadt nicht betroffen sind.

Als die ersten Satellitenbilder uns im vergangenen August nach der Zerstörungsorgie durch den IS erreichten, hatte man einen ganz anderen Eindruck. Es schien so, als seien die Monumente pulverisiert worden. Wo vorher noch Tempel standen, schien es nur noch eine amorphe Fläche aus Staub zu geben. Dieser Eindruck hat die Diskussion um den zukünftigen Umgang mit der Zerstörung einer Unesco-Welterbestätte geprägt. Es wurde mit ganz unterschiedlicher Wortwahl eine kämpferische Reproduktion oder Rekonstruktion als Zeichen gegen die Barbarei des IS gefordert. Diese Diskussion verband sich mit der Vorstellung, dass man von den Monumenten 3-D-Modelle schaffen und ausdrucken solle, um die gesprengten Denkmäler wieder zu errichten.

Als erstes eine Bestandsaufnahme

Am 19. April soll als ein solches Zeichen der einzige, nicht gesprengte Bogen des Baaltempels in einem 3-D-Ausdruck auf dem Trafalgar Square in London aufgestellt werden. Im „Guardian“ wird Roger Michel, Gründer des Institute for Digital Archaeology in Oxford, mit den Worten zitiert. „Ich will dem Islamischen Staat zeigen, dass wir alles exakt wiederherstellen können, das er zerstört, wieder und wieder können wir das tun. Wir werden mit dieser Technik dem IS die Macht nehmen.“

Inzwischen hat sich die Diskussion gedreht. Jetzt wird die Idee der Rekonstruktion durchgängig mit kritischem Unterton hinterfragt. Um zu verstehen, was nun wirklich zu tun ist, hilft es, wenn man sich in die Lage eines Archäologen wie Maamoun Abdulkarim versetzt, Direktor der Generaldirektion der Museen und Antiken in Damaskus. Er steht vor den gesprengten Monumenten in Palmyra. Was macht ein Archäologe in einer solchen Situation? Zunächst einmal wird er ausblenden, wie die Monumente zerstört worden sind. Dies erlaubt es ihm nämlich, sich den zerstörten Bauten professionell so zu nähern, wie er es bei jeder Ruine tun würde.

Das konkrete Vorgehen ist unabhängig davon, ob und wann ein Erdbeben, ein Feuer oder auch eine gezielte Sprengung ein Monument zerstört hat. Schritt eins ist: Ein Archäologe wird die Ruine nicht groß anrühren, er fängt nicht damit an, mit schwerem Gerät Schutt zu beseitigen oder Blöcke zu entfernen. Er wird schlicht damit beginnen, die zerstörten Gebäude fotografisch, zeichnerisch und auch durch 3-D-Scans zu dokumentieren.

Wenn man bei einem zusammengestürzten Bau die einzelnen Blöcke in Sturzlage dokumentiert, kann man darauf zurückschließen, wo sie sich ursprünglich am Gebäude befunden haben. Und genau diese Blöcke und Bauteile sieht man zumindest auf allen aktuellen Fotografien vom Baalschamin-Tempel und vom Hadriansbogen. Jeder Archäologe würde parallel zur Dokumentation des Zerstörungsbefundes alle verfügbaren Informationen, die er zum früheren Zustand des Gebäudes hat, zusammensuchen.

Um solche Daten liefern zu können, hat das Deutsche Archäologische Institut zusammen mit dem Museum für Islamische Kunst in Berlin mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes alle Materialien zu Syrien digitalisiert, die in den Archiven beider Einrichtungen lagern, sie sind zahlreich. Diese Informationen stehen den syrischen Kollegen für den Wiederaufbau zur Verfügung. Für den römischen Bogen werden die Fotografien aus unterschiedlichen Zeiten sofort erkennen lassen, dass der nun zerstörte Bogen bereits im vergangenen Jahrhundert durch moderne Blöcke ergänzt worden war. Es sind originale Teile und ergänzte Blöcke, die auf dem Schutthaufen liegen. Auch dies gilt es zu dokumentieren.

Die Unesco muss dabei sein

Wenn der Archäologe sich einen ersten Überblick über die vorhergehenden Phasen und den aktuellen Zerstörungsbefund verschafft hat, muss er eine erste Entscheidung treffen: Man könnte das verstürzte und beschädigte Monument als Mahnmal so liegen lassen oder sich entscheiden, es wieder zu rekonstruieren.

Wer entscheidet aber, wie man verfahren sollte? Palmyra ist eine Unesco-Welterbestätte. Bei einer solch einschneidenden Frage ist die Unesco zu informieren, die mit internationalen Experten die Sachlage diskutiert und Empfehlungen ausspricht. Und genau dies hat der syrische Antikendirektor von Anfang an angekündigt. Für ihn gibt es eine Rekonstruktion nur in Absprache mit der Unesco.

Wenn die internationalen Experten nun entscheiden, dass die verstürzten Monumente, die natürlich auch für zukünftige Besucher ein Sicherheitsrisiko sind, nicht so liegen bleiben sollen, wird der Archäologe beginnen, den Berg langsam abzubauen. Dabei werden die Blöcke numeriert und auf einer freien Fläche ausgelegt. Jede neue Lage von Blöcken, die dann zum Vorschein kommt, wird in Versturzlage dokumentiert und in systematischer Ordnung ausgelegt. Im Abgleich mit Fotografien und Zeichnungen des ursprünglichen Baus kann man sehen, welche Blöcke von welchem Teil des Gebäudes ganz erhalten oder zerstört sind, wie viel Bausubstanz unwiederbringlich verloren ist.

Ist viel Substanz erhalten, kann man das Monument mit nur wenigen neuen Bauteilen sehr gut wieder aufbauen. Wenn nur noch wenig Substanz erhalten ist, da viele Blöcke geborsten und fragmentiert sind, dann ist die Entscheidung eine sehr viel grundsätzlichere. Man müsste viele Blöcke neu herstellen und würde ein Gebäude erhalten, das fast dem Neubau einer antiken Ruine gleicht.

In der Denkmalpflege wird bis in das 19. Jahrhundert zurückreichend darum gerungen, wie man optimal mit einem beschädigten Denkmal verfährt. An sich gibt es zwischen der Entscheidung, den Schutthaufen als historisches Zeugnis der Zerstörung zu erhalten, und der vollständigen Rekonstruktion nahezu alle Spielarten. Bei der Gedächtniskirche in Berlin entschied man sich nach dem Zweiten Weltkrieg für die unergänzte Ruine als Mahnmal. Bei der Frauenkirche in Dresden wurde ein deutliches Zeichen durch eine sehr weitgehende Rekonstruktion gesetzt. Kein Denkmalpfleger käme aber in der hochkomplexen Debatte um den richtigen Umgang mit einem zerstörten Denkmal einfach auf die Idee, nur weil es technisch möglich ist, den Schutt wegzuräumen und das Bauwerk durch einen 3-D-Ausdruck zu ersetzen.

Was braucht man, um die zerstörten Ruinen Palmyras, aber auch die vielen zerstörten Denkmäler und Städte Syriens zu konservieren, zu rekonstruieren oder wieder aufzubauen? Man braucht Architekten, Handwerker und andere Experten. Hier setzt das Deutsche Archäologische Institut mit dem Archaeological Heritage Network an. Dieses Netzwerk hat das vom Auswärtigen Amt und vom Deutschen Bundestag geförderte Projekt „Die Stunde null – Eine Zukunft für die Zeit nach der Krise“ ins Leben gerufen. Dabei geht es darum, syrische Flüchtlinge in den Anrainerstaaten und in Deutschland auszubilden, damit sie ihr Land wieder aufbauen können. Zugleich wird in diesen Projekten zum Erhalt bedeutender Denkmäler im Libanon und in Jordanien beigetragen, entstehen Arbeits- und Ausbildungsplätze für die Menschen am Ort.

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