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Schock und Trauer. Eine Frau am Sarg eines der Opfer des Terroranschlags auf die israelische Olympia-Mannschaft, 1972 in Tel Aviv.

© dpa

Wie Terror funktioniert: Autor Sherko Fatah spürt den Attentätern von Olympia nach

Sein Roman „Schwarzer September“ folgt der gleichnamigen Terrorgruppe, die das Olympia-Attentat von 1972 verantwortete. Er zeigt ihre globalen Verwicklungen.

Schwarzer September – so hieß die palästinensische Terrorgruppe, die für den Anschlag auf das israelische Olympiateam während der Sommerspiele 1972 in München verantwortlich war. Und so heißt auch Sherko Fatahs jüngster Roman, der in jene Zeit zurückführt.

„Schwarzer September“ spielt an mehreren Schauplätzen im Nahen Osten wie in Europa und macht seine Leser mit einer Menge interessanter, meist recht undurchsichtiger Charaktere bekannt – unter anderem mit Massud.

Dieser Massud arbeitet in Beirut für die Amerikaner, bald wird er tot sein. „Sie haben ihn förmlich durchsiebt“, stellt Heller fest, der seinen Botschaftskollegen Victor, einen im Kalten Krieg ausgebildeten „Mann der Dossiers und Meldungen, der Protokolle und Berichte“, schon mal gewarnt hatte: „Freundschaften sind in dieser Gegend Bündnisse.“ Massud ist nicht das erste Terroropfer im Roman. Schon auf der dritten Seite wird der jordanische Premierminister im Foyer eines Hotels in Kairo umgenietet.

„Auch wenn die hier geschilderten Ereignisse auf vielerlei historische Begebenheiten Bezug nehmen, so handelt es sich bei diesem Werk doch um einen Roman“, heißt es im Vorspann. Damit ist klar, dass man es mit einem sogenannten historischen Roman mit dokumentarischem Anspruch, in dem sich Fakten und Fiktionen verbinden, zu tun hat.

Der Berliner Autor Sherko Fatah, Jahrgang 1964, hat mit Romanen wie „Das dunkle Schiff“ (2008), „Ein weißes Land“ (2011) oder „Der letzte Ort“ (2014) bewiesen, dass er klug gebaute Faction kann, die der Entstehung der Konflikte im Nahen Osten und deren Auswirkungen auf Europa nachgeht. Sie ist das Markenzeichen dieses Autors, und er ist sich auch diesmal treu geblieben.

Mischt Fakten und Fiktion. Der Berliner Autor Sherko Fatah hat zahlreiche historische Romane über den Nahen Osten verfasst.
Mischt Fakten und Fiktion. Der Berliner Autor Sherko Fatah hat zahlreiche historische Romane über den Nahen Osten verfasst.

©  Bernd von Jutrczenka/dpa

Sherko Fatah versteht sich darauf, Spannung zu erzeugen und eine Atmosphäre von Bedrohung und Angst aufzubauen. Man spürt fast körperlich, wie sich im unübersichtlichen, an jeder Ecke geheimnisvollen Beirut etwas Großes anbahnt, ein gewaltiger Bombenanschlag oder ein spektakuläres Attentat. Aber der Autor will mehr.

Am Beispiel von Ziad führt er vor, wie ein Junge aus kleinen Verhältnissen Schritt für Schritt ins Netzwerk des internationalen Terrorismus integriert wird, wie aus einem schüchternen Mann mittels Brutalität und Folter, Geldbündeln und levantinischer Großzügigkeit ein Handlanger des Terrors wird.

Er tut dies auch auch mithilfe eindrücklicher Passagen, die in Marseille, Paris und Frankfurt-Bockenheim spielen. Der Bürgerkrieg im Libanon zeigt für ihn, wie der einst politisch-revolutionäre Befreiungskampf allmählich in pseudoreligiös motivierte islamistische Gewalt umschlägt.

Und die Amerikaner und sonstigen Westler beweisen für ihn, dass die Suche nach rationalen Erklärungen zu Ereignissen im Nahen Osten lediglich von unüberwindbarer kultureller Differenz zeugt.

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Zudem gibt es einen deutschen Erzählstrang, in dem Fatah vor Augen führt, wie Theresa, Jakob und Alexander, drei ganz unterschiedliche, von der Spießigkeit der Bundesrepublik frustrierte junge Leute, nach einer nicht wirklich glaubwürdig geschilderten Lebensphase in einer Kreuzberger Polit-WG den Weg in sogenannte Ausbildungscamps im Nahen Osten antreten und nach dramatischen Irrungen und Wirrungen – Alexander bezahlt sie mit seinem Leben – nicht mehr recht herausfinden aus ihren verpfuschten Existenzen.

[Sherko Fatah: Schwarzer September. Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2019. 379 S., € 22 €. – Der Autor stellt seinen Roman im Rahmen des Literaturfestivals am 16. 9. um 21 Uhr in der James-Simon-Galerie vor.]

Kurz, Sherko Fatah will aufklären über die bitteren und brutalen Wahrheiten rund um den „Schwarzen September“. Und damit will er zu viel, zu viel jedenfalls für einen Roman.

Der Plot wird trotz häufiger Perspektivwechsel immer monotoner und redundanter, zu viel ist erwartbar und geschieht dann auch genau so, und die handelnden Figuren gewinnen ab Seite 200 nur noch klitzekleine Facetten hinzu.

Lesend durchlebt man politisch und welthistorisch aufregende Zeiten und ist zweifellos um einiges Wissen und einige Erkenntnisse reicher. Die Ratlosigkeit aber bleibt: Wie umgehen mit den Schrecken des globalen Terrors? Wie ihn bekämpfen, eindämmen, vielleicht eines Tages sogar beenden?

Der im Jahr 1983 angesiedelte Epilog macht da wenig Hoffnung. Als die US-Botschaft in Beirut komplett zerstört ist, muss Ziad daran denken, „wie sein Vater ihm vor vielen Jahren sagte, dass aus etwas Kleinem manchmal etwas ungeheuer Großes entstehen könne, und Stolz erfüllte ihn“.

Tod und Gewalt, so darf man das verstehen, werden siegen. Denn: „Wer immer ihr auch seid – wir sind die Partei Gottes“. Konnte man das nicht schon vor der Lektüre ahnen?

Klaus Hübner

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