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Namensschilder.

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Wie Schriftsteller ihre Romanhelden taufen: Dein Name sei ...

Sie lassen sich von Spammail-Absendern, Adelsbüchern oder Grabinschriften inspirieren: Wir haben Autorinnen und Autoren gefragt, wie sie auf die Namen ihrer Figuren kommen. Hier die Antworten, u.a. von Angelika Klüssendorf, Judith Kuckart, Hans Pleschinski, Franzobel und Wolf Haas.

Eltern brüten neun Monate lang über dem Namen für ihr Neugeborenes, das dann sein Leben lang damit herumlaufen muss – nicht selten als wandelnde Projektion der Eltern. Schriftsteller stehen ständig vor dieser Aufgabe, müssen Figuren gleich im Dutzend taufen, bei jedem Werk neu. Susanne Kippenberger hat Autorinnen und Autoren gefragt, was diese Herausforderung für sie bedeutet: Last oder Lust? (Nach dem Tempo, der Ausführlichkeit und Originalität der Antworten zu urteilen, eindeutig Lust.)

Die Fragen:
Was ist zuerst da, Name oder Figur?
Wechseln Sie Namen schon mal während des Schreibens?
Wo finden Sie Anregungen?
Mögen Sie sprechende Namen?
Haben Sie Taufen schon bereut?
Für welche Erfindungen bewundern Sie die Konkurrenz?

Die Antworten:
von Franzobel, Kerstin Preiwuss, Heinrich Steinfest, Angelika Klüssendorf, Daniel Glattauer, Ulf Erdmann Ziegler, Olga Grjasnowa, Jan Costin Wagner, Judith Kuckart, Thomas Melle, Hans Pleschinski, Marion Brasch, Wolf Haas, Kristof Magnusson und Nele Neuhaus.

Franznobel

Franzobel 2007 auf der Frankfurter Buchmesse
Franzobel 2007 auf der Frankfurter Buchmesse

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Mir macht das Spaß, Namen zu vergeben. Ständig entdecke ich welche, die ich auf Vorrat notiere. Viele kommen von Friedhöfen oder Todesanzeigen, aber auch Telefonbücher, Facebook oder Fußball sind nützliche Quellen. Außerdem Adelsbücher, Aufschriften auf Lieferwägen, Gegensprechanlagen, Sportübertragungen, Zeitungen, usw. Aber die Figur ist immer als Erstes da, entweder, weil ich über Personen des realen Lebens schreiben will oder weil ich sie für den Plot brauche. Meist ist die Geschichte sogar schon halbfertig, bis ich die richtigen Namen finde.

Bei meinem Krimi-Erstling „Wiener Wunder“ heißt der Kommissar Falt Groschen, manche Kritiker finden das blöd, ich aber halte es für richtig. Seine Inspektoren heißen jetzt Gordon Zwilling und Martin Zakravsky – ursprünglich waren ihre Namen Martin Heller und Gordon Schilling, was mir der Lektor aber ausgeredet hat. Ansonsten kommt es kaum vor, dass der Verlag in die Namensgebung eingreift. Allerdings wechsele ich selbst während des Schreibens öfter die Namen, weil eine Figur erst allmählich Konturen bekommt und die Stütze des Namens dann oft nicht mehr braucht. Wichtig ist auch, dass die Namen innerhalb eines Buches nicht zu ähnlich sind.

Mit manchen Figuren habe ich mich während des Schreibens schon mal an dem einen oder anderen Kritiker gerächt. Bis die Texte aber erscheinen, ist auch der Zorn verflogen und lächerlich geworden, so dass die Namen dann immer wieder rechtzeitig geändert worden sind. Ich würde es nicht ausschließen, eine Figur nach mir zu benennen. Franzobel ist ja ein schwer zu fassender Name, der zwar den Zobel, den Opel und vielleicht auch den Zumtobel enthält, aber trotzdem sind die Assoziationen nicht so klar, weshalb er mir auch immer noch gut gefällt. Mein bürgerlicher Name lautet Stefan Griebl, ein Name, den ich nie besonders mochte, weil er im Oberösterreichischen Grühwe ausgesprochen wird, was zwar fast französisch klingt, aber trotzdem nicht schön ist.

Wie fremd ein Name sein darf? Mir ist vor allem der Klang wichtig, wenn man ihn dreimal gelesen hat, ist er einem ohnehin nicht mehr fremd. Was ich nicht mag sind diese Allerweltsnamen, Peter Müller oder Ilse Schneider. Die können natürlich auch vorkommen, aber einprägsamer sind schon die Wassertrüdingers oder Wuthenaus.

Sprechende Namen gefallen mir sehr. Im „Wiener Wunder“ gibt es einen Journalisten namens Walter Maria Schmierer, was übrigens zurückgeht auf den Vater eines Bekannten, der tatsächlich so hieß und Journalist war. Er hat sich dann den Namen ändern lassen. Andere Namen sind Hanns Hallux, Answer Döblinger oder Xaver Einbrot. Ja doch, ich habe eine Vorliebe für kräftige, einprägsame Namen, die man sich auch merkt.

Ich mag alle Namen bei Charles Dickens. Furchtbar finde ich die bei Martin Walser, aber da fehlt mir vielleicht das Bodenseegemüt.

Von Franzobel erschien zuletzt der Kriminalroman „Wiener Wunder“ (Zsolnay)

Kerstin Preiwuss

Kerstin Preiwuß 2014 beim Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb
Kerstin Preiwuß 2014 beim Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb

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Ich komme von der Lyrik und bin an Namenlosigkeit gewöhnt. Für kürzere Prosatexte reichten Personalpronomen. Mein Bedürfnis nach Namen musste sich erst entwickeln, genau so wie mein Gefühl für längeres Erzählen. Meine Personen sollten aber nicht nur Platzhalter für Sprachzustände sein, sondern als sie selbst erkennbar werden.

Für das Erzählen sind Namen unerlässlich. Es kann qualvoll sein, wenn er noch nicht stimmt, weil dann die Figur auch nur schemenhaft erscheint, und ungemein beglückend, wenn Name und Figur von Anfang an eine Einheit abgeben. Der Taufakt ist aber auch abhängig von der Art des Erzählens. Es gibt Erzählweisen, die brauchen wenige oder gar keine Namen. Und es gibt Texte, die über ein ganzes Ensemble verfügen.

Früher war als Erstes eher die Figur da bzw. die Atmosphäre, in der sie lebt, ihre Sprache, die sie umgibt und die sie ein und ausatmet. Ich denke aber über Neues nach und da ist es so, dass sich mir jemand direkt namentlich vorgestellt und gleich noch ein paar Freunde mitgebracht hat, auch alle schon benannt, sogar mit Vor- und Nachnamen. Die waren einfach da und ich freue mich sehr darauf, sie schreibend näher kennen zu lernen.

Es kommt vor, dass ich einen Namen ändere, wenn ich das Gefühl habe, dass er noch nicht stimmt, aber erst einmal stehen bleiben muss, damit Text entsteht. Leider hakt es dann auch bei der Figur bzw. rücke ich ihr noch nicht richtig nahe, so dass die Namensuche den Schreibprozess wesentlich beeinflusst.

Anregungen finde ich zum Beispiel im Klang. Für meinen Roman brauchte ich einsilbige Männernamen. Und die weibliche Hauptfigur durfte keinen sanften, melodiösen Namen tragen, der womöglich noch auf –a endete, also nicht Maria oder Sophia, auch nicht Larissa oder Nele und erst recht nichts Außergewöhnliches. Eher etwas herb und anachronistisch gegenüber der heutigen Zeit. Die Namen müssen ja auch zu der Zeit passen, in die ihre Träger geboren wurden.

Im Internet stößt man auf unglaubliche Vornamenregister: Namen, die in bestimmten Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten populär waren, Namen, die in der DDR populär waren, Namen, die heute populär sind. Es gibt einige sehr gute Homepages über beliebte Vornamen. Dabei fällt auf, dass sich die Namen heute wieder denen von vor hundert Jahren annähern. Ansonsten halfen Listen von Schulklassen aus der DDR.

Von Kerstin Preiwuss erschien zuletzt der Roman „Restwärme" (Berlin Verlag).

Heinrich Steinfest, Angelika Klüssendorf, Daniel Glattauer, Ulf Erdmann Ziegler.

Heinrich Steinfest, einer der Finalisten beim diesjährigen Deutschen Buchpreis.
Heinrich Steinfest, einer der Finalisten beim diesjährigen Deutschen Buchpreis.

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Heinrich Steinfest

Ja, werdende Eltern brüten. Später aber, wenn dann das Kind da ist und seinen Namen hat, hat man nie das Gefühl, es hätte ein anderer sein können. Es ist einfach der richtige Name, er war immer da. Und so ist es auch mit meinen Figuren. Sie heißen, wie sie heißen und immer schon geheißen haben (sie existieren ja, noch bevor der Roman beginnt). Meine Aufgabe ist es, ihren richtigen Namen herauszufinden. So kann es vorkommen, dass ich eine bestimmte Figur zwar mit einem Namen ausstatte, aber irgendwann bemerke, es ist der falsche. Und es folgerichtig mit einem anderen Namenversuche, der mir plausibler erscheint. Meistens habe ich zuerst ein Detail der Figur, einen Charakterzug, eine Eigenart – einen Keim. Daraus wächst der Rest der Figur, auch der Name. In manchen Fällen ist er selbst der Keim. Oder der Titel. So bei meinem letzten Buch. Zuallererst hatte ich den Begriff: Allesforscher. Und aus dem Titel wuchs der Roman.

Von Heinrich Steinfest erschien zuletzt der Roman „Der Allesforscher“ (Piper).

Angelika Klüssendorf
Angelika Klüssendorf: „April“.

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Angelika Klüssendorf

Immer ist zuerst die Figur da. Aber es gibt Ausnahmen, Glücksfälle, dann macht es klick, und Figur und Name sind eins. Ich wechsle sehr oft die Namen im Manuskript, bis sie mir passend erscheinen; manchmal wächst die Figur während des Schreibens aus ihrem Namen heraus, das ist dann ein schwieriger Prozess, einen neuen, passenden zu finden, weil der alte vertraut geworden ist. Einer der schönsten Romananfänge: „Nennt mich Ismael“. „Moby Dick“ von Hermann Melville. Auch in den Filmen von Ingmar Bergman, etwa „Fanny und Alexander“, sind mir die Namen wegen ihrer Bedeutung und Schönheit aufgefallen.

Von Angelika Klüssendorf erschien zuletzt der Roman „April“ (KiWi)

Daniel Glattauer

Daniel Glattauer.
Daniel Glattauer.

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Figurennamen zu wählen ist für mich als Autor eins der angenehmsten und sinnlichsten Dinge. Ich kann praktisch nichts falsch machen. Unmöglich, dass mir zu einer Figur kein passender Name einfällt. Habe ich mich einmal an einen Namen gewöhnt, ist er von der Figur nicht mehr wegzudenken, gibt er ihm den vorher ausgeliehenen Charakter quasi doppelt und dreifach zurück – und könnte eigentlich gar nicht anders heißen. Es ergibt sich also eine Wechselwirkung der Bestimmung von Name und Wesen. Besonders mag ich „Emmi“ und „Leo“ aus meinen Email-Romanen, wo die Namen auch deshalb von großer Bedeutung sind, weil sie das erste waren, was die beiden Figuren voneinander wussten und hatten. Leo musste sich eine dem Namen „Emmi“ zugehörige Frau vorstellen, die ihm sonst völlig fremd war. Das wird im Roman reflektiert.

Von Daniel Glattauer erschien zuletzt der Roman „Geschenkt“ (Deuticke)

Ulf Erdmann Ziegler.
Ulf Erdmann Ziegler.

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Ulf Erdmann Ziegler

Der Titel meines neuen Romans stand von vornherein fest: „Und jetzt du, Orlando!“ Mitten in der Arbeit habe ich einen Schreck gekriegt, weil ich dachte, ich hätte einen Fehler gemacht, und die Figur müsste eher Othello heißen. Ich habe dann in der Frankfurter Oper zweimal Verdis „Othello“ gesehen und mir wurde klar, nein, dieser Name hängt am Motiv eifersüchtiger Rache und ist davon nicht zu lösen. Und wie verhält sich das zu Virginia Woolf? Nun, alles, was ihren Orlando ausmacht, hat sie selbst erfunden: das Nichtälterwerden, das Schriftstellertum, den Sexuswechsel.

Insofern hat sie Orlando „quecksilbrig“ gemacht. Das gefällt mir, da bin ich dabei. In der Operntradition, bei Händel und Vivaldi, ist Orlando ein Opfer seines Liebeswahns, aber auch das gehört nicht eigentlich zur Figur des Ritters, der er einmal war: Der wackere Schlächter des Rolandslieds – Orlando und Roland sind derselbe Name –, dessen Waffenbruder Oliver heißt. So heißt nun mein Ich-Erzähler. Hieße er Orlando, würde der Titel des Romans „Und jetzt du, Oliver!“ lauten. Nicht so gut, oder? Insofern haften sich Namen sehr wohl an Figuren, mit ihnen ihre Agenda, die Poetik, all das.

Von Ziegler erschien zuletzt der Roman „Und jetzt du, Orlando!“ (Suhrkamp)

Olga Grjasnowa, Jan Constin, Judith Kuckart, Thomas Melle.

Olga Grjasnowa schickt gleich drei Protagonisten auf die Überholspur.
Olga Grjasnowa schickt gleich drei Protagonisten auf die Überholspur.

© Imago/Star-Media

Olga Grjasnowa

Die Gefahr, eine Figur mit einem Namen abzustempeln, gibt es natürlich. Aber viel mehr habe ich Angst davor, dass mir eine Bedeutung des Namens entgehen könnte. Bei machen Charakteren ändern sich die Namen ständig – bis es sich richtig anfühlt. Anregungen finde ich vor allem in Kindernamen-Lexika im Internet – großartig. Auch Bücher, Filme, sogar Illustrierte und Friedhöfe sind sehr ergiebig. Namen können sehr fremd sein. Die Hauptfiguren meines zweiten Romans heißen Leila, Jounoun und Altai. Bei Altai mochte ich einfach den Klang, Leila und Jounoun sind eine Hommage an Nizamis Epos „Leila und Medschnun“.

Leila bedeutet Nacht, den Namen trug in jenem Epos ein junges Mädchen, in das sich ein Junge unsterblich verliebt hatte. Ihre Liebe ging jedoch ihren Familien gegen den Strich, die beiden wurden getrennt. Der junge Mann ist allerdings über diese Trennung verrückt geworden und wurde fortan nur noch „Verrückter“ genannt, also „Medschnun“ – oft auch mit „Verrückt nach Leila“ übersetzt.

Von Grjasnowa erschien zuletzt „Die juristische Unschärfe einer Ehe“ (Hanser)

Jan Constin Wagner.
Jan Constin Wagner.

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Jan Costin Wagner

Ich weiß noch, wie der Name meiner Hauptfigur, Kimmo Joentaa, entstand. Joentaa hat etwas mit „joki“ zu tun, das heißt im Finnischen „der Fluss“. Kimmo war ein Student, den ich gar nicht näher kennengelernt habe, den ich aber sehr mochte, weil er mir vor vielen Jahren die Möglichkeit gab, im Fußballteam der Historiker bei einem Turnier an der Universität in Turku mitzuspielen. Das hat mich gefreut, weil ich in Finnland keine Mannschaft hatte – und er hat es vielleicht bald ein wenig bereut, weil ich so große Lust auf das Spiel bekam, dass ich den Ball nie abspielte ... Aber wie auch immer, wir haben uns gut verstanden, und als ich auf die Suche nach einem Vornamen ging, stand mir intuitiv der Name „Kimmo“ vor Augen.

Ab und zu werde ich bei Lesungen mit der Aussage konfrontiert, dass es unmöglich sei, sich einige der finnischen Namen zu merken. Korvensuo, Vehkasalo, Lappeenranta ... na ja, ich gebe zu, dass es nicht leicht ist, aber ich bereue nichts, das ist eben finnisch. Ich verweise dann immer auf Dostojewskij, der seinen Lesern noch einiges mehr an Gedächtnisleistung abverlangt hat.

Von Jan Costin Wagner erschien zuletzt der Kimmo-Joentaa-Roman „Tage des letzten Schnees“ (Galiani)

Judith Kuckart

Judith Kuckart.
Judith Kuckart.

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Meine Figuren haben für lange Zeit einen Spielernamen. Ist der Text nahezu fertig, ändere ich ihn. Während des letzten Arbeitsvorgangs bekomme ich so einen frischen Blick auf die „mitwirkenden Personen“, die ich aus Erfundenem und Erlebtem zusammensetze. Der Vorgang ist ähnlich einem Prozess, den ich vom Theater kenne: Man macht eine Choreografie zu einem Stück von Bach. Kurz vor der Premiere ersetzte man Bach durch einen Song von Johnny Cash. Der Bewegungsablauf bleibt, aber er bekommt eine andere Farbe, eine andere Atmosphäre. Und: Cash erinnert sich plötzlich an Bach.

Eine Figur in einer neuen Geschichte, an der ich gerade arbeite, heißt Jenny. Ich fand Jenny an einem Sonntag in einer Hängematte, als ich mit einer Jenny aus Fleisch und Blut in einer Hängematte saß, die aber nichts mit meiner erschriebenen stillen Friseuse aus Dresden zu tun hat. Ich wollte den Namen unbedingt weitergeben. Von der Frau an die Figur, weil ich mit beiden gern zusammen bin. Das Leben ist eine besonders ergiebige Inspirationsquelle für die Namensgebung.

Außerdem: Der Zufall. Das Radio. Ich würde nie jemanden Manfred nennen. So heißt man nur, wenn man eine Oper ist.

Von Judith Kuckart erschien zuletzt der Roman „Wünsche“ (DuMont)

Thomas Melle
Thomas Melle: „3000 Euro“.

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Thomas Melle

Am Anfang ist immer die Figur. Und die bringt mögliche Namen gleich mit, wir sitzen dann da und nicken oder schütteln den Kopf. Sie ähneln sich einigermaßen, fangen entweder mit einem „A“ an oder haben etwas besonders Rundes oder Altertümliches oder Nichtssagendes. Dass eine Altachtundsechzigerin ihren Sohn „Magnus“ tauft, der dann einer der „Sickster“ war in meinem ersten, gleichnamigen Roman, das erzählt natürlich auch schon einiges vom Knirschen zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Ich suche Namen nicht, schon gar nicht im Telefonbuch, die finden sich eher. Allerdings ist die Sache bei Nachnamen noch komplizierter. Eigentlich sollten sie schlagartig da und ganz evident sein. Wenn man länger sucht, wird es oft ein Krampf. Und dann zuckt der Name leider auch in Zukunft befremdlich herum. Im Bekanntenkreis bediene ich mich schon, denn sämtliche Namen auszulassen, die einem schon mal begegnet sind, würde die Wahl doch sehr einschränken. Ganz gut, bisweilen: ehemalige Lehrer. Namen als Rache oder Hommage an reale Menschen zu benutzen, das wäre bodenlos, vor allem gegenüber der Fiktion.

Sprechende Namen mag ich gar nicht. Das hat etwas Augenzwinkerndes, Satirisches, Unseriöses. Ich bin dann eher gleich mal verschnupft. Bei Prosa habe ich die Namensgebung noch nicht bereut, bei Theaterstücken in ein, zwei Fällen. „Agnes Reitscheuer“ und „Moritz Kanz“, ach, nee. Nee, nee. Besonders passende Namen in Büchern anderer Autoren? Unpassende finde ich immer wieder. Vor allem ausgesucht bürgerliche Namen. Jedoch spiegelt das ja auch nur eine bestimmte, falsche Welt nördlich der Torstraße wider, in der die Namen den Kindern die richtige Biografie herbeizaubern sollen. So wohl auch den Büchern.

Von Thomas Melle erschien zuletzt der Roman „3000 Euro“ (Rowohlt Berlin)

Hans Pleschinski, Marion Brasch, Saša Stanišic.

Hans Pleschinski.
Hans Pleschinski.

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Hans Pleschinski

Meine meisten Romanfiguren treten auf mich zu und stellen sich vor: „Nun bin ich hier, der schöne Tassilo Wang.“ Was zuerst da ist, Name oder Figur? Es zeichnen sich Schemen ab, die durch ihren Namen erste Substanz bekommen: „Ich soll in diesem Hotelzimmer sauber machen? Nennen Sie mich einfach Jeanette Sulzer.“ Nur selten wechsle ich einen Namen. Wenn ich einen verändern muss, war die Gestalt nie prall und lebensecht. Grabsteine sind besonders ergiebige Quellen. Dort ruht eine plastische Auswahl, Namen, die in Lebensrealität bereits geübt sind. Bei Familie, Freunden und Büchern bediene ich mich nicht. Das wäre beengend und peinlich.

Meinen eigenen Namen würde ich nur spielerisch benutzen, etwa durch einen Ausruf: „Das kann doch jeder Hans und Franz!“ Der Leser könnte lächeln und befinden: „Ah, er schreibt wachsam.“ Gegen Namen und ihr Potenzial lässt sich kaum anschreiben. Detlef wird nie glaubhaft eine Symphonie komponieren. Charlotte bleibt seit Goethes „ Werther“ edel und wahrt seelisches Volumen. Sprechende Namen – solche Charakterverdeutlichung, die schnell penetrant wirken kann, gelang noch Thomas Mann. Die junge Fleischverkäuferin Maike-Cheyenne aus Cottbus, ja, das ginge und teilte etwas über heutiges Stilgefühl mit.

Ich habe auch schon mal eine Taufe bereut. Ich erfand polnische Namen, die nicht polnisch sind. Nun leben meine Polen als eigentümliche Unikate weiter.

Von Hans Pleschinski erschien zuletzt der Roman „Königsallee“ (C.H. Beck)

Marion Brasch.
Marion Brasch.

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Marion Brasch

Mir gefallen sprechende Namen. Der Titelheld meines neuen Buchs heißt Wunderlich, der Name ist Programm. Sowohl für den Charakter des Mannes als auch für seine Geschichte. Für „Wunderlich fährt nach Norden“ habe ich mich bei meinem ersten Roman „Ab jetzt ist Ruhe“ bedient – die Namen der drei Hauptfiguren tauchen da schon auf, allerdings für völlig andere Charaktere, die damals nur Nebenrollen hatten. Eine Figur heißt Toni. Im ersten Buch war das ein Mann, im neuen ist es ein Mädchen. Kafkas Gregor Samsa ist ein toller Name. Oder Bartleby von Melville.

Marion Brasch veröffentlichte kürzlich „Wunderlich fährt nach Norden“ (Fischer)

Saša Stanišic.
Saša Stanišic.

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Saša Stanišic

Anregungen für Namen finde ich meistens im Kopf. Manchmal schnappt man auch einen auf und denkt: Das könnte passen. Gelegentlich wechsle ich den Namen auch. Neulich zum Beispiel, weil ein Freund sagte, dass sein Vater so heißt. Da die Figuren aus dem Stoff entstehen und die Namen aus den Figuren, würde es nur dann Sinn machen, jemanden nach mir zu benennen, wenn ich metafiktional-biografisch erzählen würde. Was nie der Fall sein wird, weil ich Voyeurismus und Instagram-Fotos von eigenen Schuhen öde finde. In meinem ersten Roman hieß der Protagonist „Aleksandar“. Die Leser haben das Ganze viel biografischer gelesen als von mir gedacht – weil „Saša“ die Koseform von „Aleksandar“ ist. Trotzdem würde ich das im Nachhinein nicht ändern; Ich finde das super, wenn Leser Dinge verwechseln. Sprechende Namen dürfen nicht zu aufdringlich sein. Ich finde „Brenner“ bei Wolf Haas sehr gut gewählt. Und „Wolf Haas“ bei Wolf Haas auch.

Von Saša Stanišic erschien zuletzt der Roman „Vor dem Fest“ (Luchterhand)

Wolf Haas, Kristof Magnusson, Nele Neuhaus.

Wolf Haas

Wolf Haas.
Wolf Haas.

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Wo ich Anregungen herbekomme? Die ergiebigste Quelle ist das Gehirn. Also: Nachdenken, Nägelbeißen, Nasenbohren. Über den Namen meines Detektivs hab ich länger nachgedacht als über den ganzen ersten Roman. Leider haben die Leute dann behauptet, er hieße Simon Brenner, dabei heißt er einfach „Der Brenner“. Simon heißt er
eigentlich nur an der Stelle, wo die Prostituierte ihm antwortet, er heiße nicht Simon, sondern Dumon, „weil in einem Puff gibt es kein Sie“. Ich habe schon eine Figur nach mir benannt, im Roman „Das Wetter vor 15 Jahren“. Ein Kritiker hat nachgezählt und resümiert: Wie eitel muss ein Autor sein, der seinen Namen 625 Mal in sein Buch reinschreibt.
Wolf Haas schrieb zuletzt den Roman „Brennerova“ (Hoffmann und Campe)

Kristof Magnusson

Kristof Magnusson.
Kristof Magnusson.

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Sprechende Namen finde ich fast immer problematisch. Das ist irgendwie krampfig, wenn Autoren ihren Personen Nachnamen wie „Zange“ oder „Brennwert“ geben – da spürt der Leser zu sehr, wie viel Arbeit der Autor sich bei der Namensgebung gemacht hat. Andererseits dürfen Namen auch nicht zu austauschbar sein. Wenn in einem Buch alle Leute Christoph, Anna, Katrin und Andreas heißen, ist das langweilig. Die Hauptperson meines „Arztromans“, eine in Berlin arbeitende Notärztin, die aus Süddeutschland kommt, habe ich „Anita“ genannt. Ein Name, der in Süddeutschland in den Siebzigerjahren vorkam und für mich eine sympathische Mischung aus Exotismus, Fernweh und provinzieller Handfestigkeit darstellt.

Ansonsten lasse ich mich gern von Absendern von Spam-Mails inspirieren. Die verwenden viel Mühe darauf, sich Namen auszudenken, die so normal klingen, dass man denkt: „Moment mal, den könnte ich kennen“.
Kristof Magnusson veröffentlichte vor kurzem den „Arztroman“ (Kunstmann)

Nele Neuhaus

Nele Neuhaus.
Nele Neuhaus.

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Das Erfinden von Charakteren und die Namensfindung wird mit jedem Buch schwieriger, denn die Lieblingsnamen sind irgendwann aufgebraucht. Ich habe aber Übung im Namenfinden – ich brauche dauernd neue für meine Fohlen, ein neues Pferd oder einen Hund. Meine Figuren bekommen zuerst Kurznamen wie Max, Theo oder Lisa, aber bald habe ich sie vor Augen und der passende Name ist schnell da. Einmal machte meine Lektorin mich darauf aufmerksam, dass ich einen Namen bereits woanders verwendet hatte. Nachnamen ändere ich fast immer, wenn sie schwierig zu schreiben sind. Für meine Figuren in „Unter Haien“ fand ich Namen in Todesanzeigen der „New York Times“. Ich habe auch schon welche von Lieferwagen oder LKkw-Planen abgeschrieben.

Von Nele Neuhaus erscheint  diese Woche der Kriminalroman „Die Lebenden und die Toten“ (Ullstein).

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