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Skandalfilm. Oliver Stones blutige Mediensatire „Natural Born Killers“ hat die FSK viel beschäftigt.

© imago/Prod.DB

Wie relevant ist sie heute?: Die FSK als Sittenpolizei

Die Freiwillige Selbstkontrolle nahm vor 70 Jahren die Arbeit auf. Doch das Kino ist nur ein Nebenschauplatz im Jugendschutz. Es wäre Zeit, über neue Strukturen nachzudenken.

Von Andreas Busche

Das Wort „Skandalfilm“ ist heute fast aus dem Sprachgebrauch verschwunden. Das Kino erzeugt nur noch kurzzeitige Erregungswellen, die in den sozialen Netzwerken meist recht schnell wieder abflauen. 280 Zeilen Hass. Aber ist das Kino heute wirklich nur handzahmer als früher, vielleicht sogar konformistisch – oder hat unser Medienkonsum einfach die Toleranzschwelle gesenkt? Man wünscht sich jedenfalls wieder mehr Filme, die Menschen richtig auf die Palme bringen, damit so weißglühende Tiraden wie diese dabei herauskommen: „Geisteskranke gehören in eine Heilanstalt, Mörder in ein Zuchthaus, vor Bergman aber sollte die Menschheit genauso geschützt werden.“

Gemeint war der schwedische Regisseur Ingmar Bergman mit seinem Film „Das Schweigen“, Adressat des anonymen Schreibens die Freiwillige Selbstkontrolle (FSK), die 1963 darüber zu befinden hatte, ob man dem Kinopublikum das gottlose Drama zumuten könne. Eine Sexszene im Halbdunkel eines Theaters und die heute berühmte Szene, in der sich die Schwester der Protagonistin selbst befriedigt, auf die sich die Empörung bezog, hatte die Arbeitsgruppe der FSK zuvor beschäftigt. Am Ende hatte man sich dafür entschieden, dem Verleih keine Schnittauflagen zu machen, dem Film aber eine Jugendfreigabe zu verweigern. Das deutsche Publikum bekam damit erstmals eine Sexszene im Kino zu sehen – ein Novum für die gerade 15 Jahre alte Institution, die ursprünglich zu dem Zweck gegründet worden war, die Nachkriegsjugend vor nationalsozialistischem Gedankengut zu schützen.

Jugendschutz hat sich aufs Internet verlagert

Heute, auf den Tag genau 70 Jahre nach der ersten FSK-Entscheidung für die während des Kriegs gedrehte Komödie „Intimitäten“ von Paul Martin hat die Bergman-Episode nur noch anekdotischen Charakter. Bis in die 90er Jahre war die FSK immer wieder in Diskussionen um den Jugendschutz verwickelt – da hatte sich der Fokus längst von Sex- zu Gewaltdarstellungen verlagert. Heute sorgen die FSK-Urteile dagegen kaum noch für Aufregung, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass sich die Aufmerksamkeit des Jugendschutzes aufs Internet verlagert hat. Seit einigen Jahren beschäftigt sich die FSK neben ihren Hauptfeldern Kino und Homevideo auch mit dem Online-Angebot auf Streamingplattformen. Rechtliche Grundlage ist hier nicht das Jugendschutzgesetz, sondern der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag von 2003.

Die oftmals kuriose Geschichte ihrer Altersfreigaben nennt die FSK gerne auch eine „Sittengeschichte der Bundesrepublik“. Das spiegelt schon die Gründungsgeschichte wider: Die Einrichtung untersteht der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (Spio), eine Entscheidung, die auf die Erfahrungen aus der NS-Zeit zurückging. Der federführende Verband der Filmverleiher wollte nicht den Eindruck einer neuerlichen Staatszensur erwecken. Aber auch in den Urteilen der Prüfer hat die Zeit ihre Spuren hinterlassen, etwa über die „jugendgefährdende“ Wirkung der „Schulmädchen-Report“-Filme während der Aufklärungswelle in den 70ern. Andere Entscheidungen haben dagegen seit Jahren Bestand, wie die für Oliver Stones zynisch-frivole Mediensatire „Natural Born Killers“, die trotz wiederholter Vorlage vor der FSK-Prüfungskommission bis heute keine Jugendfreigabe erhalten hat.

Auch ein wirtschaftliches Instrument

Trotz der paritätischen Zusammensetzung der Entscheidungsgremien gab es in der Vergangenheit aber auch immer wieder Kritik an den Kriterien der FSK. Heute kommen zwei Vertreter des jeweils fünfköpfigen Komitees aus den Obersten Landesjugendbehörden, durch deren Mitwirken im Rahmen des Jugendschutzgesetzes die FSK-Entscheidungen rechtskräftig – und damit für Kinobetreiber bindend – werden. Zwei Komiteemitglieder stellt die Film- und Videowirtschaft, das fünfte Mitglied verschiedene gesellschaftliche Institutionen wie die Kirchen oder der Zentralrat der Juden. So wird zumindest auf dem Papier ein Ausgleich zwischen politischen und wirtschaftlichen Interessen erzielt. Trotzdem kamen gelegentlich Zweifel an der Objektivität der FSK auf, vor allem wenn es – wie etwa bei „Keinohrhasen“ (2007) – um zu niedrige Freigaben ging.

Bei allen guten Vorsätzen hinsichtlich des Jugendschutzes ist die FSK letztlich auch ein wirtschaftliches Instrument. Niedrige Altersfreigaben erhöhen die Besucherzahlen, da überlegt sich ein Verleiher zweimal, welche Fassung den Prüfern vorgelegt wird. „Freiwillig“ ist da ein Euphemismus: Zwar ist kein Verleiher verpflichtet, einen Film zur Prüfung vorzulegen. Wer dies aber nicht tut, hat innerhalb der Spio keine Chancen auf eine Kinoauswertung. Angesichts des Medienwandels ist die FSK ohnehin reformbedürftig, Jugendschutz muss heute vor allem im Internet greifen, das Kino hat bei jungen Menschen schon lange an Relevanz verloren. Auch die Altersstufen stammen noch aus den 50ern, sie entsprechen nicht mehr heutigen Standards: Zwischen der Freigabe „ab 6“ und „ab 12“ gibt es zum Beispiel keine Differenzierung. Das 70. Jubiläum wäre also ein guter Anlass, über neue Strukturen nachzudenken.

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