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Künstler in Not. Eine Protestaktion nach dem Motto „Ohne Kunst wird’s still“ am 18. Juni auf dem Berliner Breitscheidplatz.

© imago images/Christian Ditsch

Wie geht es Künstlerinnen und Künstlern?: Gender Pay Gap? Tendenz steigend

Der Konzeptkünstler, die Librettistin und die Soloselbstständigen: Eine Studie untersucht die soziale und wirtschaftliche Lage von Kulturschaffenden in Deutschland.

Wie viele Künstlerinnen und Künstler gibt es in Deutschland? „Wir wissen es nicht“, heißt es in der 500 Seiten dicken Studie „Frauen und Männer im Kulturmarkt“, die der Deutsche Kulturrat herausgibt und die am Freitag erscheint. Logisch, es gibt kein Handelsregister für Künstler im engen Sinne. Und bei der Künstlersozialkasse (KSK) finden sich unter den knapp 200 000 Mitgliedern auch Pädagogen, Akrobatinnen oder Journalistinnen.

Trotz der unvermeidbaren Unschärfe enthält der „Bericht zur wirtschaftlichen und sozialen Lage“ aufschlussreiche Fakten, Statistiken und Tabellen, die auf Grundlage von KSK-Daten und im Vergleich zur letzten Studie von 2016 erarbeitet wurden. Sei es zur Einkommensfrage, zu den Soloselbstständigen oder zum Gender Pay Gap. Wobei die Studie auch die Diversität der Branche gerne näher untersucht hätte.

Schauspiel und Tanz sind am internationalsten

Statistisch lässt sich aber nur der (leicht steigende) Ausländeranteil bei den sozialversicherungspflichtigen Berufen erfassen, nicht die Herkunft aus dem EU-Binnenmarkt oder anderen Kontinenten, auch nicht Biografien mit Migrationsgeschichte. Deshalb lassen sich da kaum Daten erheben. Immerhin erfährt man, dass es im Schauspiel und im Tanz am internationalsten zugeht, mit einem Ausländeranteil von bis zu 30 Prozent.

Belegen lässt sich, dass Kreativberufe generell (also nicht nur die eigentlichen Künstler, sondern auch Menschen, die im Ausbildungs-, Verlags- oder Veranstaltungsbereich tätig sind) an Attraktivität gewonnen haben. Seit 2009 stieg ihre Zahl um mehr als 300 000 auf 1,3 Millionen. Das sind 3,1 Prozent aller Erwerbstätigen. Knapp eine halbe Million ist selbstständig unterwegs, ein Anteil von 39 Prozent. Das sind weit mehr als die Freischaffenden in anderen Berufen, mit im Schnitt zehn Prozent Selbstständigen.

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Belegen lässt sich auch, dass in Thüringen die „ärmsten“ und in Hamburg die „reichsten“ Künstlerinnen und Künstler leben. Die meisten, klar, haben ihren Wohnsitz in Berlin. Nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch gemessen an der Menge der Gesamtbevölkerung. 38 535 KSK-Versicherte lebten 2019 in der Hauptstadt, in ganz Nordrhein-Westfalen waren es 4000 weniger.

Die Berliner rangieren beim Brutto-Verdienst allerdings eher unten, wohl wegen der großen Konkurrenz. Wobei, interessantes Detail, Künstler in Ost-Berlin besser dran sind als in West-Berlin: Die Einkommensdifferenz stieg auf 1369 Euro im Jahr 2019. Sechs Jahre vorher war es nur ein Zehntel davon. Auch so zeigt sich die Gentrifizierung von Mitte oder Prenzlauer Berg.

Augen auf bei der Berufswahl. Bei der Kunst, weniger Beruf als Berufung, handelt sich um eine Leidenschaft, die häufig ins Prekariat führt – von den wenigen Stars ihrer jeweiligen Zunft abgesehen. Die Mehrzahl der Kreativen wird im Schnitt schlechter entlohnt als andere Beschäftigte in Deutschland; mehr als anderswo wird in Teilzeit gearbeitet. Und, siehe oben, die Zahl der Freischaffenden ist besonders hoch. Gut 20 000 Euro betrug das mittlere Einkommen der selbstständigen KSK-Mitglieder letztes Jahr, bei den Männern. Bei den Frauen sind es sogar nur 16 518 Euro.

Die Zahlen basieren auf Selbstauskünften

Die Zahlen, warnt das Verfasser-Duo Gabriele Schulz und Olaf Zimmermann, sind mit Vorsicht zu genießen, basieren viele davon doch auf Selbstauskünften. Dennoch bleiben sie alarmierend, denn sie belegen neben dem Pay Gap, dass eine Vielzahl der Selbstständigen sich keine angemessene Altersvorsorge oder Rücklagen für Krisenzeiten wie jetzt im Pandemie-Lockdown leisten kann. Und das, obwohl sie es auf mehr Arbeitswochenstunden bringen als Festangestellte.

Die Not der Solo- oder Mini-Selbstständigen, die in der Studie eindrücklich skizziert wird, war schon vor Corona größer geworden. So stieg die Zahl der Kulturschaffenden und Publizisten, deren Jahresumsatz unter 17 500 Euro liegt, in der letzten Dekade von 300 000 auf 340 000. Ein Argument mehr in der Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen.

Konzeptkünstler verdienen am wenigsten

Welche Kunst zahlt sich aus, welche weniger? Die Einkommensunterschiede sind bei Selbstständigen und Festangestellten ähnlich. Die in der Verlags- und Medienwirtschaft tätigen „Festen“ erzielen ein um 37 Prozent höheres Brutto als etwa die Kunsthandwerker. Bei den „Freien“ verdienen die Konzeptkünstler am wenigsten, und auch hier trägt die „Berufsgruppe Wort“ das meiste Geld nach Hause, etwa Librettisten und Textdichterinnen. Ausgerechnet diese Gruppe verzeichnet aber auch den höchsten Gender Pay Gap. Die Frauen kommen auf gut 18 000 Euro Jahreseinkommen, die Männer auf 6000 Euro mehr.

Trotz der breiten öffentlichen Debatte über Geschlechtergerechtigkeit, Quote und MeToo hat sich beim Geld also nichts bewegt. Die Bruttodifferenz beträgt im Schnitt 20 Prozent, „Tendenz steigend!“ Die sonst nüchtern formulierte Studie setzt hier ein Ausrufezeichen.

[Gabriele Schulz, Olaf Zimmermann: Frauen und Männer im Kulturmarkt - Bericht zur wirtschaftlichen und sozialen Lage. 508 S., 24,80 Euro. Zu bestellen über den Buchhandel oder www.kulturrat-shop.de]

Schulz und Zimmermann fügen hinzu, dass deshalb auch der Gender Show Gap mehr Augenmerk verdient. „Nur wenn Frauen auftreten, ausstellen, verlegt werden usw., haben sie die Chance, Bekanntheit zu erlangen, dadurch bessere Verwertungsmöglichkeiten zu erhalten und mithin ein höheres Einkommen zu erzielen.“

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Wehret den Anfängen, stärkt die Anfängerinnen, heißt es oft. Schon beim Frauenanteil bei den Kulturberufen muss man sich keine Sorgen machen, er beträgt fifty- fifty. Bei der Ausbildung sind es noch einige mehr – was nicht zuletzt daran liegt, dass die Kreativwirtschaft reichlich Dienstleistung anbietet, von der Presseagentin bis zur Bibliothekarin.

Genau da liegt die Crux: Nach wie vor gibt es „typische“ Frauen- und Männertätigkeiten. Die Textilgestaltung ist weiblich (Frauenanteil bei den Studierenden 96 Prozent), Musikarrangement und Tonmeisterei sind Männersache. Dirigieren sowieso.

Ob an der Uni oder bei den Fachkräften, auch berufliche Stereotypen haben sich seit der letzten Studie von 2016 so gut wie nicht verändert, wie sich im ausführlichen Anfangsteil über die Ausbildung im Kultur- und Medienbereich nachlesen lässt. Später, in der Berufswelt, setzt sich das fort. Auch wenn es mehr werden: Bis die Dirigentin am Pult der Philharmonie keine Ausnahme mehr ist, werden noch viele Jahre ins Land gehen.

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