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Widerstand. Pilecki und Mitverschwörer lieferten 1942 die ersten Berichte über die systematische Vergasung von Juden.

© Pilecki-Institut

Widerstandskämpfer Pilecki: Der Mann, der freiwillig als Häftling nach Auschwitz ging

Er kämpfte für die Schwachen und dokumentierte die Vernichtung in Auschwitz. Eine Berliner Schau würdigt den polnischen Widerstandskämpfer Witold Pilecki

Die Ausstellung „Der Freiwillige. Witold Pilecki und die Unterwanderung von Auschwitz“ ist bis 31. März 2020 im Pilecki-Institut, Pariser Platz 4a zu sehen. Dienstag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr. Eintritt und Katalog frei.

Eigentlich wollte er Künstler werden, doch die Folgen des Ersten Weltkrieges hinderten ihn daran. Heute ist Witold Pilecki berühmt, weil er sich 1940 als einziger bei einer Razzia gezielt verhaften ließ, um ins Konzentrationslager Auschwitz eingeliefert zu werden.

„Der Freiwillige. Witold Pilecki und die Unterwanderung von Auschwitz“ ist der Titel einer bemerkenswerten Ausstellung im Pilecki-Institut am Pariser Platz in Berlin, das im Herbst zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen öffnete.

Freiwillig nach Auschwitz – das klingt ungeheuerlich. Bemerkenswert ist, dass Pilecki erst durch die Arbeit eines britischen Journalisten 2011 einer breiten Öffentlichkeit in Polen bekannt wurde. Warum dies so spät geschah, erzählt die Ausstellung auf beeindruckende Weise.

Im ersten Raum werden Vorkriegsszenen aus Polen auf Wände projiziert, der Säbel von Pilecki erinnert an die militärische Laufbahn des Gutsherrn wider Willen. Witold Pilecki kämpfte im polnisch-russischen Krieg nach der polnischen Unabhängigkeit 1918 gegen die bolschewistische Armee. Sein Vater erkrankte und er übernahm 1924 die Leitung des heruntergekommenen Gutes in Krupa im Osten des Landes.

Er war gegen ein ethnisch reines Polen

Als die Deutschen am 1.September 1939 Polen überfielen und sogleich mit der gezielten Verfolgung der polnischen Intelligenz begannen, gründete Pilecki mit dem Offizier Jan Wlodarkiewicz die Untergrundbewegung „Geheime Polnische Armee“. Er und seine Mitstreiter warteten auf einen Entlastungsangriff der Alliierten, doch der blieb zu ihrer Enttäuschung aus.

Im Untergrund gab es schon früh Tendenzen, sich für ein ethnisch reines Polen einzusetzen, doch Pilecki schrieb: „Das würde all unsere Arbeit zunichte machen“.

Pilecki hätte auch erschossen werden können

Polen hatte mit zehn Prozent den größten jüdischen Bevölkerungsanteil weltweit. Rechte Kreise und die katholische Kirche setzten die jüdische Bevölkerung unter Druck – bis hin zur Aufforderung auszuwandern. Eine Politik, die Pilecki schon vor dem Krieg verabscheute.

Die Idee, dass sich Pilecki 1940 bei einer Massenverhaftung festnehmen lassen sollte, stammte von Wlodarkiewicz. Pilecki sollte sich in Auschwitz Klarheit über die Zustände verschaffen und einen Aufstand organisieren. Er hätte bei der Verhaftung auch erschossen werden können.

Doch Pilecki willigte ein und wurde am 19. September 1940 unter dem Namen Tomasz Serafinski verhaftet und nach Auschwitz deportiert.

Er durchschaute den Plan der Nazis

„Die Verhafteten waren schon einer Art Massenpsychose erlegen, die dadurch zum Ausdruck kam, dass sich die ganze Menge wie eine Schafherde verhielt. Mich reizte ein einfacher Gedanke: Den Verstand wachzurütteln, die Masse zu einer Handlung zu bewegen“, schrieb er nach dem Krieg in seinem Bericht.

Schon nach wenigen Stunden in Auschwitz staunte er angesichts der brutalen Realität im Lager über die Naivität seines Plans. Er realisierte, dass die Nazis den monströsen Plan verfolgten, die Polen zu vernichten, indem sie anfingen, zunächst ihre Elite zu ermorden.

Pilecki erkannte schnell, dass es darum ging, im Lager zu überleben und zugleich die Schwachen zu schützen. Die SS legte es darauf an, den Willen der Gefangenen zu brechen. Nur wer den Schwachen half, war in seinen Augen zum Widerstand fähig. Ihm gelang es, kleine Zellen im KZ aufzubauen, immer fünf Mann unabhängig voneinander, um nicht alle in Gefahr zu bringen.

Pileckis Geschichte wurde im kommunistischen Polen totgeschwiegen

Pilecki und seine Mitverschwörer lieferten 1942 auch die ersten Berichte über die systematische Vergasung von Juden, die nun verstärkt ins Lager deportiert wurden. Die Ausstellung in Berlin zeigt daher nicht nur die Geschichte Pileckis, sondern auch den Ausbau der Vernichtungsmaschinerie von Auschwitz.

Die brutale Realität des Lagerlebens wird anhand von Zeichnungen ehemaliger Häftlinge, seltener Fotos und einiger Objekte wie Lagerkleidung, Essnäpfe und Holzschuhe verdeutlicht.

Pilecki ließ die Häftlinge, die entlassen werden sollten oder fliehen wollten, die Berichte über die Grausamkeiten auswendig lernen, um keine Quellen zu hinterlassen. Ziel war es, die Exilregierung zu informieren und die Alliierten um die Bombardierung von Auschwitz zu bitten. Es war Konsens unter den Häftlingen, das Risiko des Todes bei einer Bombardierung in Kauf zu nehmen.

1943 gelang Pilecki die Flucht, tief enttäuscht darüber, dass niemand ihnen zu Hilfe geeilt war. Er kämpfte auch im Warschauer Aufstand 1944. Doch der polnische Untergrund traute ihm nicht, hielt ihn gar für einen deutschen Spion.

Als die Sowjetunion Ostpolen besetzte und deutlich wurde, dass Polen nicht befreit werden sollte, ging Pilecki wieder in den Untergrund und bildete eine Zelle, um kommunistische Verbrechen zu dokumentieren. 1948 wurde Pilecki von der polnischen Geheimpolizei verhaftet, zum Tode verurteilt und mit einem Schuss in den Hinterkopf hingerichtet.

Der Kriegsberichterstatter Jack Fairweather stieß 2011 bei einem Besuch von Auschwitz auf Pileckis Geschichte, die im kommunistischen Polen totgeschwiegen wurde. Er ist jetzt auch Mitkurator der Ausstellung.

Die Ausstellung überzeugt durch ein differenziertes Bild

Das Institut Pilecki, das als unabhängige wissenschaftliche Forschungseinrichtung dem polnischen Kultusministerium untersteht, hat gerade als erste polnische Einrichtung eine Vereinbarung über die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv geschlossen.

Die Forschungsabteilung widmet sich der Totalitarismusforschung und der Geschichte Polens im 20. Jahrhundert auf dem Gebiet der Politologie, Soziologie, Geschichte und Judaistik. Ein Stipendienprogramm für Wissenschaftler gehört ebenso zum Angebot. Weitere Institute sind in Frankreich, Großbritannien und Israel geplant.

Kritiker befürchten, dass durch die polnische Regierung ein einseitiges Geschichtsbild von polnischen Helden verbreitet wird, doch die Ausstellung über Witold Pilecki überzeugt den Besucher durch die differenzierte Darstellung und hilft gerade deutschen Besuchern, ein tieferes Verständnis für die polnische Sicht auf zwei totalitäre Systeme des 20. Jahrhunderts zu entwickeln.

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