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Fabrizio Ferracane in "Leonora addio".

© Umberto Montiroli

Wettbewerbsfilm „Leonora addio“: Wenn eine Urne auf Reisen geht

Der italienische Regisseur Paolo Taviani erzählt auf der Berlinale von der abenteuerlichen Lebensreise einer Asche. Ein morbides Sujet für einen 90-Jährigen.

1986 bekamen die Brüder Taviani auf dem Filmfestival von Venedig den Preis für ihr Lebenswerk. Etwas voreilig war das schon. Eine ehrende Kränkung? Heute, 36 Jahre später, ist dieses Lebenswerk noch immer nicht vollendet. Doch im Vorspann von „Leonora addio“ steht Paolo Tavianis Name ganz allein, wie verloren, immer waren dort ihrer beider Namen zu lesen: Paolo und Vittorio.

Vor genau zehn Jahren gewannen sie auf der Berlinale gemeinsam den Goldenen Bären für „Cäsar muss sterben“: Häftlinge des Gefängnisses Rebibbia proben Shakespeares Drama „Julius Cäsar“.

„Leonora addio“ erzählt nun die abenteuerliche Lebensreise einer Asche. Ein durchaus etwas morbides Sujet für einen 90-Jährigen, und es handelt sich auch nicht um irgendeine Asche, sondern um die des Nobelpreisträgers Luigi Pirandello. Erfüllt das nicht den seltenen Tatbestand der cinematografischen Störung der Totenruhe? Die schöne Vermutung lautet: keineswegs!

1934 erhielt der italienische Dramatiker Luigi Pirandello in Stockholm den Nobelpreis für Literatur, und an einen Stockholmer Nobelpreis-Kuppelhimmel schauen wir auch in der ersten Szene. Dann spricht, dank früher Dokumentaraufnahmen, der Ausgezeichnete selbst.

Zwei Jahre später ist er tot. Taviani zeigt noch den Todkranken in einem sehr weißen Zimmer von hinten im Bett. Seine Kinder kommen auf ihn zu. Zuerst sind sie klein, dann plötzlich schon ziemlich alt. Der Autor: Meine alten Kinder tun mir leid!

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Nicht nur das Sujet von „Leonora addio“ tendiert zum Makabren, Tavianis Filmblicke plus Kommentar auch. Wechsel der Bildsprache: Ab sofort sehen wir die scharfen, intensiven Schwarz-Weiß- Kontraste des italienischen Neorealismus, denn damals fing das an mit den Tavianis.

Sie fliegen nicht mit einem Toten!

Ein Beauftragter der Region Agrigent erscheint nach dem Krieg auf einem römischen Friedhof, um die Urne des Dichters abzuholen, denn der Tote hatte sich ausdrücklich gewünscht, in alle Winde zerstreut oder, wenn das nicht möglich sei, in einem „rohen Stein“ beigesetzt zu werden. Und zwar auf Sizilien! Die amerikanische Militärmaschine nach Palermo ist schon voll besetzt, der Umbettungsbeauftragte mitsamt Urne längst an Bord, als alle wieder aussteigen: Sie fliegen nicht mit einem Toten! Und so geht das weiter, aber in einem wunderbar souveränen, gelassenen Ton. Als ob es nichts Selbstverständlicheres zu erzählen gäbe.

Ungefähr so wie in Pirandellos wohl berühmtestem Stück selbst sechs fiktive Personen einen Autor suchen, doch der weigert sich, ihre Geschichte zu schreiben: zu banal! Ja, eine Filmgroteske ist das hier auch, und wie schon früher wechselt Taviani sprechend zwischen Schwarz-Weiß und Farbe. Was für ein kleiner Grenzverkehr zwischen den Lebenden und den Toten, Gegenwarten und Vergangenheiten.

Und natürlich fängt kurz vor Ende noch einmal eine ganz neue Geschichte an, eine von Pirandellos eigenen. In „Kaos“ von 1984 haben die Tavianis bereits fünf Pirandello-Novellen verfilmt, jetzt kommt die sechste hinzu. Was für ein souveräner Abschied. Aber kann man das wissen? 16. 2., 15 Uhr (Cubix 9); 17. 2., 12 Uhr (Berlinale Palast); 19. 2., 13 Uhr FSP; 20. 2., 17.30 Uhr (Urania)

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