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Martha Argerich und Daniel Barenboim bei den Proben.

© S. Stache/dpa

West Eastern Divan Orchestra: Und ewig lockt das weite Rund

Daniel Barenboim gastiert mit seinem West Eastern Divan Orchestra in der Waldbühne, als Klaviersolistin ist Martha Argerich dabei.

Es ist schon ein sonderbar Ding mit diesen Open-Air-Konzerten. Bei Licht besehen, gibt es keinen vernünftigen Grund, Klassik unter freiem Himmel aufzuführen. Und doch strömen die Massen in die Waldbühne, wenn die Berliner Philharmoniker zum traditionellen Saisonabschluss einladen oder Daniel Barenboim mit seinem West Eastern Divan Orchestra hier vorbeischaut.

Am Sonntag, beim achten Berlin-Gastspiel des 1999 gegründeten Projektensembles, in dem israelische und arabische Musikerinnen und Musiker lernen, einander zuzuhören – beim Musizieren wie beim Diskutieren –, sitzen 15 000 Menschen im steilen Waldbühnen-Halbrund. Sie alle haben ihre Tickets mit dem festen Vorsatz gekauft, dem Wetter zu trotzen – und werden mit einen immerhin trockenen Abend belohnt.

Die Sicherheitskontrollen sind extrem scharf

Sie haben die Sicherheitsbestimmungen, die dem Veranstalter von den Behörden auferlegt wurden, mehr oder weniger gut studiert – und müssen im Zweifelsfall Extra-Wartezeiten am Garderoben- Container in Kauf nehmen, da mittlerweile nicht nur Flaschen, Dosen und Picknickkoffer verboten sind, sondern auch Stockschirme, Nietengürtel, große Ketten, Kameras, und – ja, tatsächlich – jegliche Art von Taschen und Rucksäcken, die das Format DIN A4 überschreiten. Profiteure der drakonischen Maßnahmen sind die Betreiber der Buden auf dem Gelände, die ihre Waren zu Wucherpreisen loswerden.

Wer nicht an den geschmacksneutralen Brezeln erstickt ist, hat irgendwann seinen Platz gefunden und blickt nun vorfreudig in die Runde. Denn das ist ja das Versprechen von Freiluft-Großveranstaltungen: das Gemeinschaftserlebnis. Mit vielen Gleichgesinnten die eigene Leidenschaft zu teilen, gemeinsam ganz Ohr zu werden. Auch jede Menge Prominente sind dieser Verlockung gefolgt, die Schauspielerinnen Christiane Paul, Iris Berben und Katja Riemann beispielsweise, ebenso ihre Kollegen Uwe Ochsenknecht und Thomas Heinze sowie, aus der Sphäre der Politik, Joschka Fischer, Wolfgang Schäuble und Berlins Kultursenator Klaus Lederer.

Für Klassik ist die Tonanlage denkbar ungeeignet

Dann endlich ist es so weit, Daniel Barenboim hebt den Taktstock – und schlagartig wird dem Hörer klar, was er seit seinem letzten Waldbühnen-Besuch erfolgreich verdrängt hat: dass die Verstärkeranlage überhaupt nicht für Klassik geeignet ist, dass lediglich leise, klein besetzte Passagen angenehm und klanggetreu rüberkommen, während der Sound schon ab einem normalen Mezzoforte schrecklich blechdosig wird.

Bei Michail Glinkas „Ruslan und Ljudmila“-Ouvertüre ist die Pauke überpräsent. Extreme Probleme bereitet es den Toningenieuren anschließend, Martha Argerichs Spiel in Schostakowitschs 1. Klavierkonzert einzufangen: im tiefen Register dumpf, oben klirrend-metallisch klingt der Flügel wie ein Saloon-Klimperkasten. Bezaubernd aber wird es, wenn Barenboim an Argerichs Seite rückt und beide vierhändig als Zugabe „Laideronnette, Impératrice des Pagodes“ aus Ravels „Ma mère l’oie“ spielen.

Barenboim koordiniert mit erfahrener Hand

Nach der Pause ist der Klang-Schock nicht mehr so groß, die Ohren haben sich daran gewöhnt. Dass jetzt die Bühne beleuchtet ist, während im Hintergrund der Wald dunkelt, hilft ebenfalls dabei, sich zu fokussieren. Leidenschaftlich gehen die jungen Leute vom West Eastern Divan Tschaikowskys 5. Sinfonie an, die Holzbläser setzten Glanzlichter, und Maestro Barenboim koordiniert mit erfahrener Hand, sorgt für den jeweils angemessenen inneren Puls der Musik, bis hin zum prachtvollen Goldglanz des finalen Triumphmarsches.

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