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Blicke und Gesten. Mariko Okada in dem Meisterwerk „Late Autumn“.

© Arsenal

Werkschau des Regisseurs Yasujirô Ozu: Das Kino war sein Tempel

Das Arsenal zeigt die Farbfilme des japanischen Regisseurs Yasujirô Ozu. Sein Minimalismus ist bis heute betörend.

Von Andreas Busche

In Cineasten-Kreisen wird dem Regisseur Yasujirô Ozu inzwischen fast aus Gewohnheit das Label „Traditionalist“ angeheftet. Dabei steht kaum ein Klassiker des Weltkinos exemplarischer für das derzeit so angesagte Prinzip der Achtsamkeit und eine Ästhetik auf „Augenhöhe“ wie der japanische Altmeister. Augenhöhe heißt in Ozus Fall: eine Sitzposition, entsprechend den traditionellen Tisch-Arrangements in japanischen Wohnzimmern.

Die Filmwissenschaft hat – davon abgeleitet – Ozu auch gleich noch zum Chronisten der japanischen Familie erklärt, der stets das Verhältnis des Privaten (der Tradition) zur Öffentlichkeit (den Aufbruch des modernen Japans) vermisst. Wer sich aber noch einmal Ozus Filme ab den späten Fünfzigern ansieht, erkennt, dass sich die „sitzende“ Perspektive nicht auf die häusliche Sphäre beschränkt. Auch in den Büros und Gaststätten blickt das moderne Japan bei Ozu aus einer leichten Untersicht auf die Welt.

Die kleine Reihe im Arsenal mit den sechs Farbfilmen des 1962 verstorbenen Yasujirô Ozu bietet noch einmal die Möglichkeit, sich das Spätwerk mit einem besonderen Augenmerk auf diese filmische Demutsgeste anzusehen. In den Fünfzigern hatte Ozu mit Schwarzweiß-Klassikern wie „Die Reise nach Tokyo“ und „Tokio in der Dämmerung“ bereits die immer komplizierteren Familienverhältnisse und Generationskonflikte thematisiert. Aber erst seine Entdeckung von Farbe gab ihm ein neues gestalterisches Mittel zur Hand, um seinen fein abgestimmten, aber allzu kargen Kompositionen eines gesellschaftlichen Miteinanders eine Ausdruckskraft zu verleihen, die auch dazu angetan war, das Gesamtwerk Ozus neu zu bewerten.

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Ozu pflegt die Verfeinerung durch Wiederholung

Ozu erhob den erzählerischen Minimalismus zur Kunstform. Seine 64 Filme in 35 Jahren variieren und verfeinern Figuren-Konstellationen und gesellschaftliche Themen, auch seine bevorzugten Darsteller:innen Setsuko Hara und Chishu Ryu tauchten immer wieder in ähnlichen Rollen auf. Japan-Kenner Paul Schrader – und sicher der Ozu-Fan, dessen eigener Regie-Stil am weitesten von der formalen Reinheit seines Vorbilds entfernt ist – erkennt in diesem Minimalismus eine östliche Denktradition, die stetige Verfeinerung durch Wiederholung.

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In einem Beitrag für das Magazin „Film Comment“ verglich Schrader vor einigen Jahren Ozus Kino mit den orange-roten Toren, den Torii, am Eingang japanischer Tempel, die etwa alle hundert Jahre abgerissen und neu errichtet werden: „Wichtig ist nicht ihr Alter, sondern ihre Struktur, die Form.“

(Vom 21.-30.12. im Kino Arsenal)

Das Rot spielt in Ozus Farbfilmen eine besondere Rolle. Seine Lieblingsfarbe fungiert jedoch weniger als Symbol denn als Motiv, das sich – abgelöst von jeglichen psychologischen Interpretationen – durch seine letzten sechs Filme zieht. Einem Interviewer erzählte Ozu damals, dass es etwa zehn unterschiedliche Abstufungen von Rot gäbe; sein Ziel sei es, jedem einzelnen Ton als eigenständige Farbe Geltung zu verschaffen.

Im Unterschied zu den Technicolor-Spektakeln jener Jahre werden die Agfacolor-Farben in „Equinox Flower“ von 1958 oder seinem finalen Meisterwerk „An Autumn Afternoon“ genauso dezent akzentuiert wie die Figuren. Farben sind bei Ozu keine Schauwerte, auch darum haben sich seine späten Filme eine Zeitlosigkeit bewahrt. Außerdem kann man sich zur Weihnachtszeit kaum ein schönes Gegenprogramm wünschen als Ozus Zen-Familienfilme.

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