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Ein Selbstporträt von Candida Höfer (Ausschnitt). In ihren Arbeiten dokumentiert die Fotografin bevorzugt menschenleere Orte.

© IKS-Medienarchiv

Werkschau der Fotografin Candida Höfer in Berlin: Die Zeit eliminieren

Das Museum für Fotografie zeigt eine Werkschau von Candida Höfer. Zu sehen gibt es Räume ohne Menschen und die feierliche Symmetrie des Ist-Zustands:

Im Jahr 1991 hat Candida Höfer schon einmal die Kunstbibliothek besucht, die damals noch in der Jebensstraße gegenüber vom Bahnhof Zoo residierte. Nun ist Höfer erneut in dem Gebäude zu Gast, diesmal jedoch nicht, um wie damals Fotografien zu machen, sondern diese auszustellen. Und das im riesigen „Kaisersaal“, damals noch eine bloße Raumhülle und als Lager zweckentfremdet.

Längst ist der „Kaisersaal“ renoviert und dient dem Museum für Fotografie als wunderbarer Ausstellungsraum. Tatsächlich ist das Museum dieses Namens kein vollgültiges Haus im Konzert der Staatlichen Museen, sondern eine Abteilung der Kunstbibliothek, die seit ihrem Bestehen auch Fotografien sammelt. Candida Höfer ist jedenfalls dorthin zurückgekehrt, wo sie vor 31 Jahren schon einmal auf den Auslöser gedrückt hat.

Zu Beginn ihrer Karriere fotografierte sie in Liverpool

Die Aufnahmen von beiläufigen Winkeln des Gebäudes, jetzt in einer eigenen Vitrine ausgelegt, fügen sich nahtlos in Höfers kaum mehr zu überblickendes Œuvre ein. Mit der Ausstellung „Bild und Raum“ treten ihre Arbeiten in einen „Dialog mit der Sammlung Fotografie der Kunstbibliothek“, so der Untertitel. Bei Dialogen wird heute gerne das Attribut „auf Augenhöhe“ hinzufügt. Hier handelt es sich jedoch um einen ungleichen Dialog, denn Höfers Bilder dominieren und lassen die gezeigten Beispiele anderer Fotografiekunst lediglich als Vor- und Mitläufer gelten.

Candida Höfer hat zu Beginn ihrer Laufbahn 1968 in Liverpool fotografiert. Schon da hatte sie den Blick für das Unbeachtete und Beiläufige, das in Wirklichkeit die überwältigende Mehrheit dessen ausmacht, was wir sehen – und nur nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Dieses Insistieren auf dem gegebenen Wirklichkeitsausschnitt, ohne ihn zu werten oder zu bevorzugen, wurde Höfers Arbeitsprinzip. Sie gibt dem von ihr gewählten Blickwinkel die Dignität einer sorgsam vorbereiteten Aufnahme, makellos ausgeleuchtet und in allen Einzelheiten erfasst.

Es wäre leicht, sich über Innenräume zu mokieren, die aus heutiger Sicht so hoffnungslos veraltet sind wie die von Höfer besichtigten Bahnhofsgaststätten oder Kurort-Cafés, die in der Ausstellung nicht fehlen dürfen. Zugleich porträtiert Höfer – ja, porträtiert – grandiose Räume wie den Zuschauerraum des Moskauer Bolschoi-Theaters oder die Klosterkirche im portugiesischen Batalha in mittiger, die feierliche Symmetrie herausstellender Sicht. Es geht in ihrem Werk allein um das neutrale Festhalten dessen, was ist.

[Museum für Fotografie, Jebensstr. 2, bis 28. August. Katalog 25 €.]

Wie oft muss Candida Höfer dieselben Fragen beantwortet haben? Bei der Vorbesichtigung der Berliner Ausstellung beispielsweise erklärt sie ihre Art, Räume ohne anwesende Menschen aufzunehmen, damit, dass dadurch „Vieles viel sichtbarer“ sei. Das klingt so simpel und verweist doch auf die Wirkung ihrer Bilder.

Die Nichtanwesenheit der Menschen, der Verursacher und Nutzer der menschengemachten Räume – Natur fotografiert Höfer allein in der künstlichen Form Zoologischer Gärten – lässt Vollendetes und Zufälliges, Beiläufiges und Störendes in genau derselben Weise erscheinen: nämlich als Abbild eines Wirklichkeitsausschnitts. Dadurch, dass Menschen sich darin nicht bewegen, gelingt es Höfer, die Zeit zu eliminieren, sie allenfalls als Spur festzuhalten, die ihr Verlauf an den Dingen hinterlassen hat. Meist jedoch nicht; als ob die Dinge schon von sich aus zeitlos sein wollten.

Unter den älteren Fotografien in der Ausstellung kommen wohl diejenigen des grandiosen, zu Lebzeiten verkannten Eugène Atget der Haltung Höfers am nächsten. Oder die der Königlich Preußischen Messbildanstalt vor 1900: Auch deren Blätter wollten einen Zustand festhalten, als sollte man vom Bild her die physische Realität rekonstruieren können. So ergibt sich bei den Fotografien des Neuen Museums von einst im Vergleich mit jenen von Candida Höfer von 2009 tatsächlich der im Ausstellungstitel beschworene Dialog.

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Höfers Formate sind im Laufe der Zeit gewachsen. Sie habe sich, heißt es, irgendwann die Großformate der anderen Studenten der Klasse Becher an der Düsseldorfer Akademie, der Gurskys, Hüttes und Struths, zum Vorbild genommen und ihre zunächst eher handlichen Abzüge dann auch groß gemacht. Die im Großformat gezeigten Beispiele in der Ausstellung rechtfertigen das vollauf, wie umgekehrt die kleinen Formate zur Nahbetrachtung ihrer Einzelheiten drängen.

Dass frühe Serien wie die erwähnten Aufnahmen aus Liverpool oder die in Schwarz-weiß gehaltene Reihe „Köln Weidengasse“ von 1975 zum Thema der Arbeitsmigration zu sehen sind, verleiht der vorzüglich arrangierten Ausstellung biografische Tiefe. Und bezeugt, dass es Candida Höfer seit jeher um das geht, was Ko-Kurator Ralph Goertz im schmalen Katalog als „Transformation eines realen Ortes in ein eigenes künstlerisches Werk“ formuliert. Dieses Werk bleibt und wird weiter bleiben, ganz unabhängig von der Zufälligkeit des im Bild festgehaltenen Moments.

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