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Mutter des Seufzens: Dario Argentos Klassiker "Suspiria" von 1977 ist der erste Teil seiner Hexen-Trilogie.

© Kino Arsenal

Werkschau David Lynch und Dario Argento: Zwei Albtraumdeuter vom Rande des Kinos

Eine Werkschau im Kino Arsenal vergleicht die Filme von Dario Argento und David Lynch. Eine Entdeckungsreise in düstere Obsessionen voll brutaler Schönheit.

Von Andreas Busche

Im Kino Dario Argentos ist das Unbewusste ein allgegenwärtiger Akteur. Das beginnt schon mit seiner Kamera, die – mal schleichend, mal entfesselt – die Subjektivität des Blicks kunstvoll verschleiert. Ist es der Mörder, durch dessen Augen man jeden Moment Zeuge eines Blutbads wird? Das Opfer? Oder doch – wie so oft in seiner Werkphase ab 1977 mit der okkult angehauchten „Mütter“-Trilogie – eine höhere Instanz, die sich in seinen Filmen eingenistet hat?

Wie die Surrealisten ist der 81-jährige Argento, gab er einmal zu, von Träumen beeinflusst. Aber nur wenige Filmemacher haben Realitätsverlust und Paranoia mit so libidinös-brutaler Schönheit eine visuelle Gestalt gegeben. Augen blicken hilflos durch Gucklöcher, architektonisch perfekt inszeniert wie in „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ (1970) der Mordversuch in den Räumen einer Kunstgalerie. Oder es kommen hinter Gemäuern tiefste menschliche Abgründe zum Vorschein.

„Unheimliche Tiefen“ ist dann auch der Titel einer Filmreihe im Kino Arsenal, die zwei der großen Traumdeuter des Gegenwartskinos in einen Dialog treten lässt: Dario Argento und David Lynch. Auf den ersten Blick kein offensichtliches Doppel, hat der Italiener Argento seine persönlichen Obsessionen stets eher im Geist des Genrekinos ausformuliert, während Lynchs Referenzpunkte seit „Blue Velvet“ vor allem amerikanische Mythen und insbesondere die Popkultur sind.

Doch die insgesamt 17 Filme, zehn davon unter der Regie Argentos, bieten gerade durch die motivischen und stilistischen Ähnlichkeiten, bei völlig unterschiedlichen Ausgreifungen in das Zwischenreich von Traum und Realität, eine inspirierte Lesart dieser ziemlich einzigartigen Œvres. Eine Solo-Werkschau könnte dies kaum leisten.

Robert Zorn nennt Argento in seinem Buch „Der verletzliche Blick“ (Books on Demand, 2017), das die kunsthistorischen Einflüsse in dessen Werk untersucht, einen der „wenigen genuin filmisch und nicht erzählerisch denkenden Regisseure“. Die Logik des Argento-Kinos folgt gewissermaßen dem Blickregime der Kamera, was der klassischen Filmkritik lange Zeit Probleme bereitete. Schon seine frühen Giallos – stilisierte, von einer unstillbaren Mordlust beflügelte Thriller, mit dem kreativen Höhepunkt „Profondo Rosso“ von 1975 – zeigen wenig Interesse an der Whodunit-Mechanik.

Höllenvisionen in bläulich-rotem Chiaroscuro

Argento wollte damals Sehgewohnheiten brechen. Die artifizielle Farbdramaturgie kennt kein Schwarz, selbst seine Höllenvisionen taucht er in ein bläulich-rotes Chiaroscuro. Das Zusammenspiel von Musik und Farbe ist Argentos markantestes Stilmittel. Nicht zufällig schrieb Ennio Morricone drei seiner besten Soundtracks, voll flirrender Dissonanzen, manischer Arpeggios und seufzender Klagegesänge, für Argento.

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Musik ist auch im Kino von David Lynch eher ein lautmalerisches Motiv, sei es die Edelschnulze „Wicked Game“ (aus „Wild at Heart“) oder Rammstein (in „Lost Highway“). Und natürlich hat er mit Angelo Badalamenti – wie Argento später mit der Progrock-Band Goblin – einen Hauskomponisten, der seine unsicheren Realitäten schwülstig-dunkel auspolstert. Beide Regisseure verbindet nicht zuletzt ihr Hang zum Plakativen, rote Vorhänge finden sich in beiden Werken.

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Doch wo bei Argento das Unheimliche in obskuren Tiefen verborgen liegt (hinter Wänden, in Kellern, im Wasser), liebt Lynch das Spiel mit Oberflächen. Seine Fantasien sind figurativ, womit er den Surrealisten näher steht. Das Unheimliche konfiguriert sich aus der Kombination vertrauter Motive. Die Partyszene in „Lost Highway“, in der Bill Pullman mit dem Mystery Man telefoniert, der ihm in diesem Moment gegenübersteht, ist eines der besten Beispiele für Lynchs Albtraumkino; und als Bild dabei so naheliegend. In seinen letzten Arbeiten (der dritten Staffel von „Twin Peaks“) hat Lynch das Thema der Außer-Körper-Erfahrungen immer weiter getrieben – vermutlich auch aus seiner Faszination heraus für die Transzendentale Meditation.

Die Retrospektive zweier Autorenfilmer an der Peripherie des Kinos ist ein kuratorischer Coup. Dario Argento war in Deutschland noch nie kompletter zu sehen, alles auf 35mm-Kopien. Gerade hat ihm Gaspar Noe mit „Vortex“ ein filmisches Vermächtnis gemacht. Nun spricht sein Werk. (Bis zum 18.12 im Kino Arsenal)

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