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Kraftvoll. Laura Gilpins Fotografie „Die Sonne bricht durch (El Castillo, Chichen Itza)“ von 1932 zählte bei der diesjährigen Messe „Paris Photo“ zu den herausragenden Arbeiten in Schwarz-Weiß .

© Galerie Grégory Leroy & Charles Isaacs / Bernice Kolko estate

Weltgrößte Fotografiemesse „Paris Photo“: Zeichnen mit Licht

Fotografie ist Kunst, auch in Zeiten von Smartphone, Instagram und Co.: Ein Gespräch mit Christoph Wiesner, künstlerischer Leiter der größten Fotografiemesse „Paris Photo“.

In diesen Tagen wird die Fotografie einmal mehr als Medium der Dokumentation gewürdigt, als Bewahrerin der Wirklichkeit. Die Aufnahmen, die von der Revolution der Jahreswende 1918/19 gemacht wurden, werden heute, einhundert Jahre später, als Belegstücke vorgezeigt und in Ausstellungen gefeiert.

Heutzutage sind Milliarden von Kameras in Gebrauch – nicht von eigens für diesen Zweck konstruierten Fotoapparaten, sondern von Smartphones, deren zunächst als Zugabe ersonnene Kamerafunktion mittlerweile als gleichberechtigt neben Telefonie und Internet betont wird. Nicht mit der Kleinbildkamera, nicht mit Kodaks Sofortfotografie ist die Technik der – so wörtlich – „Lichtzeichnung“ zum wahren Massenmedium geworden, sondern mit dem Siegeszug des hochgerüsteten Smartphones. Verändert das „die“ Fotografie als Medium der Wirklichkeitsbewahrung?

Veränderungen im Umgang registrieren

Christoph Wiesner ist da entspannt. In Deutschland 1965 geboren und in Frankreich aufgewachsen, war er seit 1997 in Berlin tätig, ehe er nach Paris zurückkehrte und 2015 die künstlerische Leitung der weltgrößten Fotografiemesse übernahm, „Paris Photo“, die alljährlich im November im Grand Palais abgehalten wird. „Was klassisch ist, bleibt klassisch“, sagt er lapidar. Es verhalte sich mit der Fotografie wie mit der Malerei: Neben denjenigen, die an der herkömmlichen Fotografie festhielten, gebe es solche, die die Materialität der Fotografie „dekonstruierten“. Darunter versteht Wiesner Künstler, die auf die Kerneigenschaft der Fotografie zurückgingen, eben mit Licht zu zeichnen.

Dazu bedarf es keiner Kamera, sondern lediglich einer lichtempfindlichen Emulsion auf einer stabilen Trägerschicht, die die Tonwerte oder die Silhouette eines Objekts festhält und nach entsprechender chemischer Behandlung dauerhaft macht. Einige der ältesten Fotografien sind so entstanden, etwa die zahlreichen Umrisse von Blättern der verschiedensten Bäume, die die Engländerin Anna Atkins (1799 - 1871) bereits ab 1839 auf cyanblauem Papier angefertigt hat – wohlgemerkt nicht zum ästhetischen Genuss, sondern als Material der botanischen Forschung.

Nicht so sehr die Museen mit ihren immer zahlreicher werdenden Fotografieausstellungen, sondern „Paris Photo“ ist der Ort, um Veränderungen im Umgang mit dem vielgestaltigen Medium zu registrieren. Die Bedeutung, die die Smartphone-Fotografie für den privaten Gebrauch erlangt hat, spiegelt sich in der professionellen Fotografie nicht wieder, meint Wiesner und sieht sich bestätigt – auf der Messe ohnehin, aber auch im Pressesektor. Die Augenblicksdokumentation eines Ereignisses werde heute über Instagram verbreitet. Die Journalisten hingegen wollten nicht mehr das bloße Geschehen abbilden, sondern eine Geschichte erzählen. Die Erzählung tritt an die Stelle des bloßen Dokuments.

Fotografie und politische Bewegungen

Das ist nicht wirklich neu. Die in den 1920er und 1930er Jahren in vielen Ländern aufgekommene sozialdokumentarische Fotografie ging genau diesen Weg in den Reportagen, die in einschlägigen Zeitungen und Zeitschriften wie der „AIZ“, der „Arbeiter Illustrieren Zeitung“ publiziert wurden. Im Pariser Centre Pompidou hat parallel zur Messe die Ausstellung „Fotografie, Waffe der Klasse“ eröffnet, die die Blütezeit der französischen Dokumentarfotografie zur Zeit der Volksfrontregierung zum Thema hat.

Wiesner verweist darauf, dass solche Fotografie immer an politische Bewegungen gebunden war und eine Sprache suchte, die jedermann verstehen konnte. Die Künstler wollten an der politischen Entwicklung unmittelbar teilhaben. Es gab diesen einen Kanal, um „zu den Massen zu sprechen“, es gab das eine Medium, das Gedruckte auf Papier. „Heutzutage gibt es viele Kanäle, Fernsehen, Telefon, Internet, das hat sich weit gestreut.“ Print hat seine zentrale Rolle verloren.

Ob das Buch als Medium der Erzählung tatsächlich stärker in den Fokus rückt? Wiesner meint natürlich das Fotobuch, das es heutzutage tatsächlich in einer nie gekannten Fülle gibt; davon zeugen allein die Preise, die mittlerweile für verschiedene Sparten von Buchveröffentlichungen ausgelobt werden. Auf der ohnehin von Tausenden besuchten Pariser Messe ist die Abteilung für photobooks nochmals dichter umlagert, folgt eine Signierstunde der nächsten, decken sich Aficionados mit Neuerscheinungen bei den ausstellenden Verlagen ein.

Neuerliche Wertschätzung für Schwarz-Weiß-Fotografie

Undenkbar, dass hochwertige Bücher mit Smartphone-Aufnahmen zustande kämen. Selbst die digitale Bildbearbeitung, die in den vergangenen Jahren auch auf dem Fotomarkt starke Beachtung fand – Beispiel Andreas Gursky – scheint ihren Höhepunkt bereits hinter sich zu lassen. Bei vielen Fotografen steht die analoge Technik erneut hoch im Kurs; ein Entweder-oder gibt es bei vielen nicht, die die Techniken abwechselnd und je nach Situation nutzen. „Natürlich kann man nicht gegen die Zeit anrennen“, meint Christoph Wiesner, „aber man kann immer neue Denkweisen entwickeln.“ Und kann eben auch in den technischen Vorrat vergangener Zeiten greifen.

Beispielhaft steht dafür die neuerliche Wertschätzung der Schwarz-Weiß-Fotografie. Einst für den einmaligen Gebrauch gedachte Aufnahmen wie die des Polizeireporters Weegee werden als Kunstwerke hoch gehandelt, ebenso die als Dokument der Roosevelt’schen Politik entstandenen Aufnahmen aus den ländlichen USA der 1930er Jahre von Walker Evans oder Dorothea Lange.

Die künstlerische Richtung der „subjektiven Fotografie“ im Deutschland der fünfziger Jahre wird gleichfalls wieder geschätzt. Dies umso mehr, als ihre Ausstrahlung, bis hin in die japanische Fotografie der Nachkriegszeit, nun auch international ans Licht dringt. Auf der Pariser Messe hatte die Tokioter Galerie Mem sogar eine für ein Museum zusammengestellte Auswahl der japanischen Lichtkünstler dieser Richtung aufgebaut. Nicht minder beachtet wird der unlängst verstorbene türkische Fotograf Ara Güler, dem Nobelpreisträger Orhan Pamuk ein literarisches Denkmal gesetzt hat.

Die Rolle der Frauen

Was die Messe ebenfalls ans Licht gebracht hat, ist, wie stark das Medium der Fotografie von Anfang an eines war, in dem Frauen nicht nur „auch“ tätig waren, sondern das sie gleichrangig mitgeprägt haben. Namen wie Anna Atkins oder Julia Margaret Cameron, später Margaret Bourke-White, Germaine Krull oder Diane Arbus und Cindy Sherman stehen in ihren jeweiligen Arbeitsgebieten und Stilrichtungen unbestritten an der Spitze. Die Liste ließe sich mühelos fortsetzen, und die Messe hat gut daran getan, mit einer eigenen Kennzeichnung an den jeweiligen Ständen auf diejenigen hinzuweisen, denen sie mit „Elles x Paris Photo“ einen eigenen Katalog gewidmet hat. „Die Fotografie hat nach wie vor eine tolle Zukunft“, ist Wiesner überzeugt. Und mit Blick auf die handliche Publikation, die 100 Fotografinnen aufführt: „Nur wird sie anders sein als die heutige“.

So viel anders vielleicht gar nicht, wo doch gegenwärtige wie vergangene Errungenschaften der Technik bereitstehen, um das uralte Problem zu lösen: wie ein flüchtiger Eindruck unter dem Spiel des Lichts festgehalten und auf Dauer bewahrt werden kann.

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