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Aufsteiger. „Kaiser Maximilian I. in der Martinswand“ von Moritz von Schwind.

© Akademie der bildenden Künste Wien

"Welten der Romantik" in der Wiener Albertina: Gott in jedem Sandkorn

„Welten der Romantik“: Die Wiener Albertina feiert die großen Kunstträumer des 19. Jahrhunderts.

Was für ein unverbesserlicher Romantiker Caspar David Friedrich doch war. Dieser grandiose Sonnenuntergang auf seinem Gemälde, das tiefblaue Meer und die in sich versunkene Figur am Strand. Eine Abendstimmung, die Sehnsüchte weckt. Bis man den Titel liest und versteht: „Die Lebensstufen“, vom Künstler um 1834 gemalt, handeln immerzu von Abschied. Meist vom endgültigen wie dem nahen Tod jenes alten Mannes, der schon Abstand von der Familie am Ufer genommen hat. Dessen Weg durch das Leben eines der schwankenden Schiffe am Horizont versinnbildlicht. Der sich beim Eintritt in die Nacht doch aufgehoben wünscht in den Seelen der beiden spielenden Kinder, die Agnes und Gustav Adolf sein könnten – Friedrichs eigene Kinder. Denn das späte Hauptwerk ist auch ein Selbstbildnis, in dem noch einmal alle eingeübte Metaphorik seiner Bildsprache wirken darf.

Aktuell hängt das Gemälde aus dem Museum der bildenden Künste Leipzig in der Wiener Albertina. Es ist eines der Meisterwerke, die die Ausstellung „Welten der Romantik“ versammelt, um wieder einmal über Sinn und Wirkung dieser Epoche nachzudenken. Darüber hinaus garantiert sie Blockbuster, denn die Romantik fasziniert das Publikum nach wie vor mit ihren traumvergessenen Sujets: den Schluchten und Ruinen, luziden Minen und extrem schlanken Architektur. Doch „Welten der Romantik“ will nicht überwältigen, sondern ist didaktisch aufgebaut. Mit dem Mittel der Bilder zeigt sie, auf wie vielen thematisch auseinanderdriftenden Flüssen die künstlerische Strömung durch das 19. Jahrhundert führt. Und dass man keine Sekunde die Subtexte vergessen darf.

Es gibt Stiche und Gemälde von Peter Cornelius, Friedrich Overbeck, Franz Pforr, Friedrich Wilhelm Schadow oder Karl Friedrich Schinkel.

Wie konfessionell das alles geprägt war, gehört zu den Erkenntnissen der Ausstellung, obwohl es nicht im Vordergrund steht. Doch sie zeigt die Differenzen in den 160 Zeichnungen, Stichen und Gemälden von Peter Cornelius, Friedrich Overbeck, Franz Pforr, Friedrich Wilhelm Schadow oder Karl Friedrich Schinkel. Einiges stammt aus dem Wiener Kupferstichkabinett, das für das Projekt eng mit der Albertina kooperierte. Anderes kommt aus dem Städel in Frankfurt, der Hamburger Kunsthalle oder der bayerischen Gemäldesammlung – von überall also, wo der romantische Gedanke festsaß.

Im katholisch geprägten Süden allerdings anders als im protestantischen Norddeutschen, das wird Raum für Raum klar. Wie praktisch, dass die Malerei schon damals als einziges legitimes Mittel galt, um dem neuen Denken Gestalt zu geben. Wer sonst hätte Metaphysisches sichtbar machen können, das sich in der Realität zwar dem Auge verbarg, aber doch zum Greifen war. Die französische Revolution, ihre entfesselten Gewalten und Napoleons Raubzüge. Die aufkommende Industrialisierung und der Zerfall des Heiligen Römischen Reiches in Nationalstaaten.

Der reinen Vernunft traute man nicht länger. Lieber begrüßte man Geister wie den Erlkönig und andere Sagengestalten. Und Gespenster, wie sie zum Auftakt in der Albertina Goyas „Caprichos“ verkörpern. Zusammen mit seinem „Koloss“ von 1810, der lange als Werk des spanischen Meisters galt, nun aber seiner Werkstatt zugeschrieben wird. Ein Gemälde, in dem der Krieg als Riese durch die Landschaften poltert und sie verwüstet.

Von Caspar David Friedrich gibt es vier Pinselzeichnungen von Booten und Fischernetzen

Das ist zutiefst symbolhaft, wie alles in der Ausstellung von Caspar David Friedrich – dessen vier winzige Pinselzeichnungen von Booten und Fischernetzen aus Münchner Privatbesitz allein eine Reise wert sind – bis hin zu Philipp Otto Runges „Vier Tageszeiten“, in denen sich wiederum vier Lebensalter manifestieren. Sag’s durch die Natur, Gott steckt in jedem Sandkorn. Selbst Carl Blechens uralte Bäume sind ikonografisch aufgeladen. Ganz zu schweigen von Friedrichs Sakralität, die jeden Pfad zum Lebensweg erklärt, an dessen Ende dunkler Wald und damit der Tod wartet. Tröstlich ist nur das Licht dahinter, Symbol der Erlösung.

Die katholische Romantik erschließt sich über den Lukasbund. In Wien waren junge Maler unzufrieden mit der akademischen Lehre, die sie Athleten der Antike zeichnen ließ. Eine Gruppe um Friedrich Overbeck und Franz Pforr scherte aus und vollzog 1809 die erste Abspaltung. Eine Sezession mit Blick zurück, bloß nicht so weit wie ihre Lehrer. An die Stelle der Griechen trat das Mittelalter mit seinen Mythen, der behaupteten Einheit von Mensch und Natur und seiner religiösen Transzendenz. Auch die Frührenaissance akzeptierte der Lukasbund, dessen Mitglieder zwar überwiegend protestantisch waren. Mit dem Umzug in ein leer stehendes Kloster im Norden Roms konvertieren jedoch viele von ihnen, die Haare trugen sie nun lang „alla nazarena“, und die männlichen Akte ihrer Bilder durften zart und empfindsam sein.

Porträts galten als Spiegel der Seele, sie konnten abweichen von der Wirklichkeit, mussten dafür aber Charakteristika erfassen. Während die Landschaftsmalerei der Romantik bis heute Gefühle beschwören kann, wirken die Kompositionen der Nazarener seltsam entleert. Damals mögen sie verbindende Kräfte entfaltet haben und mit der Münchner Cornelius-Schule und der von Wilhelm von Schadow initiierten Düsseldorfer Malerschule zwei künstlerische Bewegungen beeinflusst haben. Doch es gilt auch, was Runge schon 1801 konstatierte: „Wir sind keine Griechen mehr. Wir können das Ganze nicht mehr so fühlen.“ Wir sind auch keine Nazarener.

Albertina Wien, bis 21.2., Do–Di 10–18 Uhr, Mi 10–21 Uhr. Katalog 34 €.

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