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Für Israel, gegen Judenhass. Demonstranten in Kassel.

© Imago/Hartenfelser

Weltausstellung in Misskredit: Antisemitische Stereotype auf einem Plakat beschädigen den Ruf der Documenta

Ruangrupa und die Documenta-Geschäftsführung hätten sehr viel früher reagieren können. Nun müssen sie abhängen.

Die Documenta ist zum Politikum geworden. Das wäre zunächst einmal gut: Kunst gewinnt Relevanz, wirkt ins Leben, wird ernst genommen. Beachtung hat sich noch jede der alle fünf Jahre stattfinden Großausstellung erhofft, dass die international wichtigste Schau zeitgenössischer Kunst auch auf der politischen Bühne wahrgenommen wird. Nur läuft es für die Fifteen vollkommen schief – und das nicht erst seit der Eröffnung. Die Antisemitismus-Vorwürfe gegen das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa standen schon vorher im Raum.

Als Reaktion gab es einen offenen Brief, in dem sich Ruangrupa zusammen mit der Documenta-Leitung gegen die Vorwürfe verwahrten. Dabei blieb es, eine geplante Podiumsdiskussion wurde wieder abgesagt, nachdem der israelische Soziologe Natan Sznaider seine Teilnahme zurückgezogen hatte. Mehr passierte von Seiten der Documenta nicht. Man solle sich erst einmal die Ausstellung anschauen, so die Strategie.

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Nun ist es passiert, gleich zu Beginn der 100 Documenta-Tage. Und in der Öffentlichkeit spricht nach den ersten Rezensionen in den Feuilletons keiner mehr von der Kunst, sondern nur noch vom Verdacht eines grassierenden Antisemitismus. Auch Frank-Walter Steinmeier machte ihn sich in seiner Eröffnungsrede zu eigen, gesehen hatte der Bundespräsident davon da noch nichts.

Zunächst war auf der Ausstellung nichts Verdächtiges zu finden

Die Suche nach Bestätigung setzte schon während der Vorbesichtigungstage ein. Wirklich fündig wurde man auch beim palästinensischen Kollektiv The Question of Funding nicht, das durch seine Nähe zur BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) und Israel-kritische Äußerungen im Fokus stand. Alltagsszenen aus dem Gaza-Streifen, collagiert mit Klassikern der Moderne – Millets Bauern, van Goghs Kartoffelesser und Picassos „Guernica“ – überschreiten noch keine rote Linie, stellen das Existenzrecht Israels nicht infrage.

Nun sind doch noch Motive aufgetaucht auf einem Plakat des Künstlerkollektivs Taring Padi, das „in Kassel die Protestkultur Indonesiens wieder auferstehen“ lässt, wie es im Kurzführer der Documenta heißt. Über 1000 Banner und Aufsteller des indonesischen Kollektivs verteilen sich in der Stadt. Das inkriminierte Großplakat allerdings, auf dem sich die stereotype Darstellung eines Juden mit Schläfenlocken, Reißzähnen und SS-Zeichen am Hut versteckt, befindet sich an zentraler Stelle – vor der Documenta-Halle am Friedrichsplatz. Erst am Tag der Eröffnung war es vollständig aufgehängt und blieb deshalb während der Preview-Tage unbemerkt. Könnte sogar Absicht dahinter gestanden haben, um den Effekt zu vergrößern?

Die israelische Botschaft fordert Entfernung der Motive

Mit dem Werk nimmt die Antisemitismus-Debatte um die Documenta eine neue Wende. Verächtlichmachungen dieser Art sind antisemitisch und indiskutabel, ebenso die Darstellung des israelischen Geheimdienstes Mossad als Schwein auf dem gleichen Plakat. Der Straftatbestand der Volksverhetzung sei erfüllt, die Staatsanwaltschaft müsse eingreifen, kursierte auf Twitter. Die israelische Botschaft forderte, dass die Elemente sofort aus der Ausstellung entfernt werden sollten. Von der Documenta gab es bis zum Abend keine Stellungnahme.

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Sie begibt sich damit endgültig in die Schieflage. Wurden die falschen Künstler, ja Kuratoren eingeladen? Das Kollektiv Ruangrupa als Ausstellungsmacher zu berufen, war kein Fehler, sondern eine richtige Entscheidung. Erstmalig wurde damit die Konzipierung einer Gruppe aus dem Globalen Süden übertragen – höchste Zeit für ein Kunstevent, das für sich in Anspruch nimmt, Weltausstellung zu sein. Die mit der Bewerbung vorgelegte Idee, Kollektive einzuladen, die Ungleichheit und deren Behebung im sozialen Miteinander darzustellen, war gerade der Grund, warum Ruangrupa den Zuschlag für Kassel bekam.

Ruangrupa und Geschäftsführung waren vorgewarnt

Was nun passiert ist, bestätigt die Skeptiker der vergangenen Monate. Ruangrupa und die Documenta-Geschäftsführer waren gewarnt. Sie hätten alles dafür tun müssen, dass ihnen kein antisemitisches Motiv durchgeht. Der schon vor Eröffnung spürbare Gegenwind mag seinen Ursprung auch darin haben, dass man sich die Kunst, schon gar nicht die Welt, von einem hierzulande unbekannten Kollektiv aus Jakarta erklären lassen wollte.

Noch in Steinmeiers Rede schwang dieser Vorbehalt mit, als er der Documenta-Geschäftsführung vorwarf, die Verantwortung „ausgesourct“ zu haben. Als würde ein indonesisches Team, das die hiesigen Regeln nicht kennt, diese Aufgabe überfordern. Die Zurechtweisung ging an beide Seiten: an die Geschäftsführung wie Ruangrupa. Und an Claudia Roth, die mit Steinmeier die Documenta eröffnete.

„We have to talk“ - das gilt immer noch

Die Kulturstaatsministerin hatte bereits beim Aufziehen des Streits Vermittlung angeboten, aber nichts getan. Besser so, möchte man meinen, denn Politiker sollten sich bei Ausstellungen heraushalten, mögen sie noch so repräsentativ und vom Staat hoch bezuschusst sein. Nun muss Roth zusammen mit der Documenta-Geschäftsführung die Scherben zusammenkehren, spätestens jetzt müssen öffentliche Gesprächsrunden stattfinden. Der für die ursprünglich angesetzte Diskussionsreihe lautende Titel „We have to talk“ gilt nach wie vor.

Höchste Zeit, denn das Thema BDS treibt den Kulturbetrieb um. Schon wird gemutmaßt, dass die Strategie des Israel-Boykotts für die Documenta aufgegangen sei. Soweit sich das bei 1500 Teilnehmenden sagen lässt, deren immense Zahl sich durch die Einladung weiterer Kollektive im Schneeballsystem ergibt, befinden sich keine jüdischen Künstler:innen darunter. Kein gutes Bild.

Auch hierzu schweigt die Documenta. Der Verdacht ließe sich ausräumen, auch wenn es selbstverständlich ist, dass eine Ausstellung wie die Documenta nicht auf der Grundlage von Paritäten zustande kommen sollte, religiöse oder nationale Angehörigkeit kein Kriterium für die Teilnahme sein darf.

Der Bundestag hat sich eindeutig zur BDS-Bewegung positioniert

Noch hat die Boykott-Kampagne gegenüber Israel in Deutschland kaum Fuß gefasst, die den Ausstellungsbetrieb fatal politisieren würde. 2019 erließ der Bundestag die Resolution, der BDS-Bewegung oder ihren Zielen nahe Gruppierungen die finanzielle Unterstützung und die Vergabe von kommunalen Räumen zu verweigern. Die Kampagne sei antisemitisch. Diesem Verdacht darf sich die Bundesrepublik nicht aussetzen.

Umso schwerer belastet nun das Plakat des indonesischen Kollektivs. Verdient hat die Documenta es nicht, denn diese 15. Ausgabe ist von einer mitreißenden Aufbruchstimmung getragen, dem Versuch, gemeinsam gegen lokale Missstände vorzugehen. Diese Idee, die eigentlich auch Taring Padi teilt, ist nun beschädigt.

Der Skandal wird sich kaum noch abschütteln lassen

Zu spät: Die Künstlergruppe, Ruangrupa und Geschäftsführung haben zwar entschieden, die Darstellung in der betreffenden Arbeit in Teilen zu verdecken. Aber es ist vorauszusehen, dass dies der Documenta wiederum als Zensur zum Vorwurf gemacht werden wird. Der Skandal dürfte sich in den verbliebenen 97 Tagen kaum abschütteln lassen.

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