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Nala und Simba sind komplett am Rechner entstanden, Beyoncé und Donald Glover leihen dem Löwenpärchen ihre Stimmen.

© Disney

Welche Hautfarbe hat ein afrikanischer Löwe?: Mit "Der König der Löwen" wagt Disney die Kulturrevolution

„Der König der Löwen“ kommt als Realfilm ins Kino. Und wie bei „Arielle“ legt Disney wert auf kulturelle Vielfalt. Über den Versuch Hollywoods, Rollenbilder zu verändern.

Von Andreas Busche

Das denkwürdigste Pop-Duett des Jahres findet zur Abwechslung nicht in der Halbzeitpause des „Superbowl“ oder bei der Grammy-Verleihung statt. Und Miley Cyrus spielt ausnahmsweise auch keine Rolle. Aber die Zeilen haben sich ins popkulturelle Gedächtnis eingebrannt. „Can you feel the love tonight? / The peace the evening brings / The world, for once, in perfect harmony / With all its living things“.

Elton John gewann mit dem Song 1995 den Oscar, für die Neuverfilmung von „Der König der Löwen“ wurde die Schnulze jetzt noch einmal gründlich entstaubt. Die Stimmen von Simba und Nala, die sich in der afrikanischen Steppe ihrer Gefühle vergewissern, gehören niemand Geringerem als Beyoncé Knowles und Donald Glover, zwei der derzeit profiliertesten afroamerikanischen Künstler. Beyoncé ist ohnehin längst eine globale Marke, Multitalent Glover machte im vergangenen Jahr unter anderem mit dem Video zu seinem viralem Hit „This is America“ (unter seinem Alias Childish Gambino) Furore: ein Kommentar zu Rassismus und Polizeigewalt.

Der Disney-Katalog wird modernisiert

Die Entscheidung Disneys, diese meinungsstarken Popstars für die Neuauflage eines popkulturellen Meilensteins aus der Schatzkammer des milliardenschweren Studios zu gewinnen, ist der folgerichtige Schritt in der Modernisierung des eigenen Portfolios. Erst vor zwei Wochen überraschte Disney mit der Ankündigung, die Hauptrolle in der geplanten Realverfilmung des Zeichentrickklassikers „Arielle, die Meerjungfrau“ mit der afroamerikanischen Sängerin Halle Bailey zu besetzen.

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Die Reaktionen im Netz waren erwartbar, unter dem Hashtag #NotMyArielle sammelten sich binnen Stunden Hasstiraden sogenannter Fans, die dem Studio „blackwashing“ vorwarfen: in ihrer Logik eine Form von umgekehrtem Rassismus. Bei Disney hat man mit Shitstorms inzwischen Erfahrung, seit im ersten Trailer für „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ (2009) ein schwarzer Stormtrooper, gespielt von John Boyega, sein Gesicht zeigte. Und Kelly Marie Tran, die in der Fortsetzung „Star Wars: Die letzten Jedi“ den Sidekick gibt, schloss 2017 zeitweilig ihren Twitter-Account, weil sich der Hass der Community über der vietnamesischstämmigen Darstellerin entlud. Disney, so der Vorwurf, unterwerfe seine zeitlosen Popkulturikonen einem „politisch-korrekten“ Zeitgeist.

Popkultur als Spielfeld für Kulturkämpfe

Die Kontroversen um Disney – oder auch die Reaktionen auf die weiblichen „Ghostbusters“ von 2016 – veranschaulichen, wie sehr die Popkultur seit der Ära Barack Obamas zum Spielfeld für einen Kulturkampf zwischen konservativen und progressiven (ein Wort, das Donald Trump bezeichnenderweise nur in Anführungszeichen benutzt) gesellschaftlichen Kräften geworden ist. In der politischen Arena twittert der amtierende Präsident dann, wie erst vor zwei Tagen, dass die demokratischen Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez, Rashida Tlaib, Ayanna Pressley und Ilhan Omar einfach in ihre „Heimatländer“ zurückkehren sollten. Der demografische Wandel wirkt auf manche weiße Amerikaner offenbar bedrohlich.

Die Popkultur nimmt in dieser Auseinandersetzung einen besonderen Stellenwert ein: Sie ist für viele Menschen emotional behaftet, Teil der eigenen Sozialisation und Biografie. Darum gilt sie unter Nostalgikern als besonders schützenswert. In den populären Kulturen machen sich neue gesellschaftliche Phänomene aber auch schon immer zuerst bemerkbar, lange bevor die Politik diese Themen aufgreift.

Wenn Disney seine Filme heute kulturell vielfältiger und geschlechterparitätisch besetzt, folgt der Unterhaltungskonzern im Grunde nur den Anforderungen einer zeitgemäßen Unternehmenskultur, die sich an den rechtlich verankerten Prinzipien der Inklusion und Chancengleichheit orientiert. Die politischen Schlachten für diesen Kulturwandel – von den kulturellen Nebenschauplätzen ganz zu schweigen – sind eigentlich längst ausgefochten.

Schon vor 20 Jahren spielten Whitney Houston und der R’n’B-Star Brandy die Hauptrollen in der ersten „Cinderella“-Realverfilmung. Dass Proteste damals ausblieben (anders als bei einer schwarzen Arielle), sagt viel über das gegenwärtige politische Klima in den USA. Mehr noch: Schon 1994 wurde am „König der Löwen“ kritisiert, dass die Hyänen, die Handlanger des tyrannischen Löwen Scar, von den drei einzigen Afroamerikanern in der Besetzung gesprochen wurden. Erhöhte Sensibilität für das Problem der kulturellen Repräsentation ist keine Modeerscheinung.

Disney hat aus seinen Fehlern gelernt. In der Realverfilmung vom „Jungle Book“ (2016) wurden unter anderem Idris Elba, Lupita Nyong’o und Giancarlo Esposito für die Tierstimmen verpflichtet. Und die Hauptrolle in der Neuauflage von „Aladdin“ spielt der ägyptischstämmige Kanadier Mena Massoud.

Welche Hautfarbe hat eine Meerjungfrau?

Natürlich mutet schon die Fragestellung, welche Hautfarbe ein afrikanischer Löwe (beziehungsweise eine Meerjungfrau) hat, hochgradig absurd an. In einer größeren gesellschaftlichen Diskussion über kulturelle Repräsentation hat sie dennoch ihre Berechtigung. Disney hat als globaler Unterhaltungskonzern beträchtlichen Anteil an der westlichen Populär-Ikonografie der vergangenen 90 Jahre. Und die basiert eben auch maßgeblich auf der europäischen Märchen- und Sagenwelt. Doch die Popkultur ist kein Monolith, sie ist – was die #NotMyArielle-Hater nicht verstanden haben – Strömungen des Zeitgeists unterworfen. Und genau genommen ist nicht mal die Meerjungfrau im Hafen von Kopenhagen, ebenfalls von Hans Christian Andersen inspiriert, „weiß“. Eher schon erinnert ihr Teint an die bronzene Tönung des US-Präsidenten.

Vielleicht muss man Disneys Strategie daher als historisches Korrektiv verstehen: eine symbolische Restitution für die amerikanische „Blackface“-Tradition, den Rassismus des Gründervaters Walt, all die properen Prinzessinnen und Prinzen, blond und blauäugig, sowie die kulturelle Aneignung von Pocahontas und Mulan, deren Realverfilmungen sich bereits in der Produktion befinden.

"Arielle die Meerjungfrau" zählt wie "Der König der Löwen" zu den modernen Disney-Klassikern.
"Arielle die Meerjungfrau" zählt wie "Der König der Löwen" zu den modernen Disney-Klassikern.

© Imago

R'n'B-Sängerin Halle Bailey spielt in der geplanten Realverfilmung Arielle.
R'n'B-Sängerin Halle Bailey spielt in der geplanten Realverfilmung Arielle.

© AFP

Dass Disney immer wieder im Zentrum dieser „identitätspolitischen“ Debatten steht (ein Wort wiederum, das die Alt-Right-Bewegung ohne Anführungszeichen verwendet), ist indes kein Zufall. Der Maus-Konzern hat sich längst einen Großteil der Popkultur unter den Nagel gerissen: neben dem „Dschungelbuch“ auch Marvel, Star Wars und Pixar („Toy Story“). Disney besitzt somit, verkürzt gesprochen, die Bildrechte an der westlichen Popkultur – und damit das Recht, diese nach unternehmerischen Erwägungen neu zu erfinden.

Gesunder Menschenverstand trifft auf kühles Profitdenken

Dass in der Verfilmung des Kinderbuchklassikers „Das Zeiträtsel“ (2018) Oprah Winfrey die Rolle der allwissenden Mrs. Which spielt, erscheint zunächst wie eine solidarische Geste. Winfrey zählt allerdings auch zu den beliebtesten amerikanischen Celebrities, sie wurde sogar schon als kommende US-Präsidentin gehandelt. Gesunder Menschenverstand trifft bei allen Entscheidungen im Haus Disney auf kühles Profitdenken.

„Der König der Löwen“ verbindet das Angenehme mit dem Nützlichen, die Aktualisierung des Disney-Katalogs mit der Erweiterung der Verwertungskette: vom Animationsfilm zum Broadway-Musical zum Realfilm, wobei das „real“ nur ein Marketing-Gag ist. Jon Favreaus Film sieht zwar fotorealistisch aus – technisch ein enormer Sprung im Vergleich mit der fusseligen Teddyhaftigkeit von Balu im „Jungle Book“ –, ist aber mit der Hilfe Hunderter indischer „Graphic Artists“ komplett am Rechner entstanden. Die Logik solcher Upgrades beruht auf der geringen Halbwertzeit der digitalen Technik, die nach wenigen Jahren im Grunde schon wieder veraltet aussieht.

Das Original ist Szene für Szene nachgestellt

Favreau hat den Zeichentrickklassiker darum über weite Teile nur Szene für Szene nachgestellt; vom derangierten Charme des Originals bleibt dabei kaum etwas übrig. Stattdessen erwartet man in jeder Sekunde, dass Bernhard Grzimek über Favreaus Serengeti-Bilder referiert. Es sprechen dann immerhin Donald Glover, Beyoncé, Seth Rogan als hyperaktives Warzenschwein Pumbaa, John Oliver als der altkluge Nashornvogel Zazu und Chiwetel Ejiofor in Jeremy Irons unvergesslicher Sprechrolle als Scar.

Da „Der König der Löwen“ aber einerseits jegliche Illusion suspendieren will, und man gleichzeitig ständig zum Staunen aufgefordert wird, verliert sich dieser spektakuläre Effekt schnell. Für die Originalstimmen gilt das in der deutschen Synchronisation sowieso. Die nicht lippensynchronen Dialoge irritieren dabei eher noch. Und da sich die realistischen Figuren jetzt wie echte Tiere verhalten, sind auch die Tanz- und Musicaleinlagen auf ein Minimum reduziert. Am Ende offenbart der „ewige Kreis“ der Natur – der unzerstörbare Ohrwurm des Originals darf auch im Remake nicht fehlen – seine zynische Konnotation. Disney häuft mit „Der König der Löwen“ weiter kulturelles Kapital an. Aber natürlich geht es vor allem um den Kreislauf des Geldes.

- Ab Mittwoch in 27 Berliner Kinos (auch OV und OmU)

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