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Der amerikanische Schriftsteller Bret Easton Ellis, 55

© Casey Nelson/Verlag

"Weiß" von Bret Easton Ellis: Country ist der neue Pop

Mischung aus Autobiografie und Gesellschaftsanalyse: Bret Easton Ellis sorgt sich in „Weiß“ um die Kunst und die Freiheit.

Als Bret Easton Ellis sich im Winter 2017, kurz nach der Amtseinführung von Donald Trump, in London wegen eines Podiumsgespräches aufhält, trifft er dort auch einen jüngeren Landsmann, „sehr erfolgreich in den lichten Höhen der Kunstwelt“, und unterhält sich mit diesem über seine aktuelle Lieblingspopmusik. Ellis gesteht, im Moment am liebsten Country zu hören, Country-Pop, von Musikern wie Luke Bryans, Jason Isbell oder Jamey Johnson, „diese wunderschöne Mitte zwischen Rock und Pop, (...) ließ sich nur noch im Country finden“. Sein Gegenüber, völlig niedergeschlagen vom Wahlausgang in den USA, entsetzt sich darüber, weil er Country für den vermeintlich bevorzugten Sound der Trump-Wählerschaft hält: „Sie sind gegen uns, Bret. Gegen unsere Werte“.

Ellis aber ficht das nicht weiter an. Wegen bestimmter politischer Haltungen habe er noch nie Musik gemocht oder gehasst, erklärt er. Und schon auf dem Podium hatte er zugegeben, dass er sich wegen Trump nicht sorge. Dass für ihn dessen Wahl und Amtseinführung kein „endloser Horror“ sei, sondern nicht mehr als „eine apokalyptische Erzählung von der Wahl eine Präsidenten und ihren Folgen.“ Diese „Erzählung“ dürfte nun einer der Gründe sein, die Bret Easton Ellis nach langer Zeit veranlasst haben, wieder ein Buch zu schreiben: „Weiß“. Eigentlich hatte er einige Jahre zuvor noch versucht, einen Roman in Angriff zu nehmen. Dann aber spürte er, dass Romane keine Konjunktur mehr hätten, so wenig wie „der große amerikanische Hollywoodfilm“ oder die „große amerikanische Band“, die allesamt von „kleineren Vorstellungen“ verdrängt worden seien. Deshalb habe er sich, so Ellis weiter, zunehmend aus der analogen Welt verabschiedet und in die digitale „vorgearbeitet“, unter anderem mit Podcasts und dem regelmäßigen Gebrauch sozialer Medien, besonders bei Twitter.

Bret Easton Ellis ist mit dem Roman "Unter Null" schon 1985 in die Literaturgeschichte

Nun hat Bret Easton Ellis sich zuletzt in dem ihm ureigenen Bereich der Literatur nicht gerade mehr als kreativer Kraftprotz gezeigt. Sein 2006 veröffentlichter Roman „Lunar Park“ war eine Autofiktion, mit der multiplen Schriftstellerpersönlichkeit Bret Easton Ellis als Hauptfigur. Und in seinem letzten, 2010 erschienenen Buch „Imperial Bedrooms“ machte Ellis sich abermals zu einer Figur und ließ diese Clay, die Hauptfigur seines Debütromans „Unter Null“ begegnen, um die Geburt und Tod genau dieses Romans nachzuerzählen. Beide Bücher machten den Eindruck, als sei dem 1964 in Los Angeles geborenen Schriftsteller der Stoff ausgegangen. Weshalb Bret Easton Ellis, auch wenn er das selbst wohl bestreiten würde, eine gewisse Tragik umweht. Er ist im Alter von 21 Jahren in die US-Literaturgeschichte eingegangen mit „Unter Null“, einem Roman über die aus nichts als Oberflächen bestehende Welt der schnöseligen Yuppie-, Postpunk- und Drogenkids im Los Angeles der frühen achtziger Jahre. Und viel mehr noch, knapp ein Jahrzehnt später, als „Skandalautor“, als Verfasser von „American Psycho“, dem Porträt des Yuppie-Serienmörders Patrick Bateman. „Der Roman schien eine zutreffende Summierung der Reagan-Jahre, und die darin entfesselte Gewalt hatte mit meiner Frustration zu tun, gab zumindest einen Hinweis auf etwas Echtes und Greifbares in dieser oberflächlichen Welt der Äußerlichkeiten.“

So interpretiert Ellis das jetzt in seinem neuen Buch. „Weiß“ liest sich denn auch in vielen Passagen wie eine Autobiografie und ist eine Reflektion über seine zwei Hauptwerke und darüber, wie diese ihn zu einer öffentlichen Figur werden ließen, ja, zu einer „Erzählung“, die mit seinem anderen Ich kollidierte. Ellis schreibt, wie es zu „Unter Null“ kam, wie er in Manhattan in einem Appartement in der 13. Straße an „American Psycho“ saß, in was für einer Verfassung er damals war und wie aufregend kaputt New York City. Und auch, wie und wie gut oder schlecht die beiden Bücher verfilmt wurden und es „American Psycho“ dann sogar vor ein paar Jahren zu einem Broadway-Musical schaffte. Er erzählt überdies von seiner – gerade im Vergleich mit den Kindern und ihren Helicopter-Eltern von heute – schön unbehüteten Kindheit und Jugend in L.A, allerdings als Sohn nicht gerade armer, benachteiligter Eltern. Von seinem schwierigen Zugang zu Pornografie, eben der analogen Zeit angemessen, oder wie ihn der Film „American Gigolo“ mit Richard Gere in der Hauptrolle über die Maßen beeinflusst hat.

"Weiß" besteht acht mal mehr, mal weniger miteinander verbundenen Essays

Natürlich fragt man sich, warum Ellis das alles erzählt, was für einen Zweck er verfolgt. Ist er jetzt womöglich wirklich von der Autofiktion komplett zum Memoir übergewechselt, weil die Legende ja noch lebt? Immer wieder jedoch streut er Notizen aus der Gegenwart ein, aus angrenzenden Kunstbereichen wie dem Film. Was es bedeutet, ein zweites Ich zu haben; wie das als Schauspieler im „Empire“ war, der US-Zeit vor 9/11, und wie es heute ist, im „Post-Empire“, der Zeit unter der Herrschaft der sozialen Medien. „Weiß“ soll auf diese Weise auch eine kulturkritische Gegenwartsanalyse sein. Ellis versucht die Gegenwart primär aus sich selbst heraus zu begreifen und herzuleiten, aus seiner Vita des „bad boys“, des Provokateurs, der er gar nicht sein wollte.
Aus acht mal mehr, mal weniger miteinander verbundenen Essays besteht dieses Buch – und entpuppt sich dann nach und nach als eine weniger brutale denn gediegene Abrechnung mit der politischen Korrektheit, der vorherrschenden Identitätspolitik, den Weltuntergangsszenarien der liberalen Mainstreammedien nach der Trump-Wahl, mit der Tendenz zur Selbstviktimisierung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, nicht zuletzt der Generation Weichei („Wuss“), wie er sie nennt. Dabei begreift er sich gern als Vertreter der ach so beinharten , aber seinerzeit durchaus orientierungslosen, slackerhaften Generation X. Vieles von dem, was Ellis beklagt, auch als Reaktion auf wiederum Reaktionen auf seine mitunter nicht korrekten, frauenfeindlichen Tweets, ist nicht neu, nicht über die Maßen erhellend und höchstens vage provokativ, (so wie der Titel des Buches), aber nachvollziehbar. Zumal Ellis um seine Position als, ja, alter weißer, privilegierter und schwuler Mann weiß und diese immer mitreflektiert.

Ellis findet das Album eines Countrymusikers viel besser als Kendrick Lamars „To Pimp A Butterfly“

So findet er einen Film wie „Moonlight“ schon einmal schwach, wimpistisch und solche wie „King Cobra“ und „Weekend“ ehrlicher, souveräner in ihrer Abbildung homosexuellen Daseins. Und meint in diesem Zusammenhang wirklich, es gebe flächendeckend eine „neue Akzeptanz schwulen Lebens und gesellschaftlicher Gleichheit“. Oder er geißelt die Empörung über Trump als heuchlerisch, wenn man wie Meryl Streep gerade ein Townhouse in Manhattan für 30 Millionen Dollar zu verkaufen versucht. Oder beklagt überhaupt das Lagerdenken, das nach der Wahl eingesetzt hat, die Angst, abweichende Meinungen noch kundtun zu dürfen. Ja, und da glaubt er wirklich, dass bei Twitter nur Mimosen unterwegs sind, gerade in Anbetracht der Attacken, denen er schon als analoger Prominenter ausgesetzt war: „Du erkennst, dass der Panzer schon vor so langer Zeit gewachsen ist, dass du annimmst, alle anderen in den sozialen Medien könnten mit den Geschossen ebenso gut umgehen wie du - bis du merkst, dass das ganz und gar nicht stimmt.“

Auffallend ist, dass Ellis sich häufig in Widersprüche verstrickt. Trotz seiner erklärten Pop- und Drogenvita, trotz der Oberflächen, auf denen er sich weiterhin durchaus gern bewegt, spricht er von der „harten, einsamen Arbeit“ des Schriftstellers. Manche Eingabe zur Kunst bekommt da etwas geradezu Kunstreligiöses, selbst wenn es ihm um den aktuellen „Widerstreit von Ideologie und Ästhetik“ geht. Bei Twitter wiederum glaubt er einerseits spontan, direkt und provokativ unterwegs gewesen zu sein, um andererseits wieder das Performative daran hervorzuheben, zu gestehen, es selbst als Performance-Fenster gebraucht zu haben, als Möglichkeit, Geld einzusammeln für einen Film. Was seine Beschimpfung nachwachsender Generationen, diese würden ihren Gebrauch sozialer Medien allein als Kunst verstehen und darüber hinaus keinen Ehrgeiz entwickeln, in einem anderen Licht dastehen lässt.

Schön jedoch sind immer wieder kleine Anekdoten und Betrachtungen wie die über Joan Didion, die er verehrte, oder David Foster Wallace, dessen Werk er nie großartig fand. Oder von Kanye West, den er, klar, bewundert, dessen „Drachenenergie“, dessen „reinen Wahnsinn seiner Ambitionen“ und den er, anders als seine politisch korrekten Widersacher für „total frei“ hält. „Weiß“ ist ein Buch aus dem Geist der achtziger Jahre, eben der Jahre, in denen Bret Easton Ellis berühmt wurde; aus einem Geist der Affirmation, der ihn auch heute noch sagen lässt, das Album eines Countrymusikers finde er viel besser als Kendrick Lamars „To Pimp A Butterfly“. Es ist aber auch ein Buch, das ein wenig schlackert, an ein Sammelsurium erinnert. Und das die Brücke zwischen Ego und Bedenkenträgertum, zwischen Old School und der Sorge um liberale Vernunft und Freiheit nur unzureichend zu errichten vermag.

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