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Kultur: Weinen und tanzen

„Camille Claudel 1915“ im WETTBEWERB. Und Juliette Binoche spricht in Berlin über die Seele.

Man hat sie ein bisschen satt, die nackten, verletzlichen Frauengesichter dieses Wettbewerbs, die im winterlich fahlen Licht mal verhärmt, mal verheult und mal verhärtet sind: Im „Gold“ erträgt Nina Hoss mit stoischer Miene und aufgelöstem Dutt wochenlange Ritte durch unwirtliches Gelände. Im französischen Film „La Religieuse“ wird Pauline Etienne zwei Jahre durch verschiedene Klöster geschickt, wo die Nesseltuch-Gewänder rascheln und die Schritte der Nonnen auf den kalten Steinböden hallen. Damit man ihr struppiges Haar sieht, trägt sie zuweilen keinen Schleier. Und nun, in „Camille Claudel 1915“, einem weiteren Film aus Frankreich, ist es Juliette Binoche, die in einem Kloster zur Aufbewahrung von geistig behinderten Frauen einsitzt. Ihre Haare sind selbstverständlich wirr, ihre Füße stecken in klobigen Stiefeln, ihre Schritte hallen in den Kreuzgängen. Es ist kalt, und die kahlen Bäume des Klostergartens strecken ihre bizarr geformten Zweige in den Himmel.

Angeblich hat der Briefwechsel zwischen der Bildhauerin Camille Claudel und ihrem gläubigen Bruder Paul, einem Dichter und Diplomaten, den Regisseur Bruno Dumont zu diesem Film inspiriert. Er zeigt einige ereignislose Wintertage auf dem Klostergelände, wo die kranken Frauen – dargestellt von realen Psychiatrie-Insassen – relativ liebevoll von Nonnen begleitet, gepflegt und unterhalten werden. Er zeigt immer wieder, wie Camille Claudel ihre eigenen Kartoffeln kocht, weil sie Angst vor Vergiftung hat. Er zeigt vor allem beinahe in jeder Einstellung das blasse, traurige Gesicht von Juliette Binoche, und die Einstellungen sind lang genug, um darüber nachzudenken, welchen Anteil die Maske an ihrer zwar fragilen, aber strahlenden Schönheit in anderen Filmen hat.

Irgendwann taucht Paul Claudel auf, der erst ein langes Gebet spricht und dann, in einem weiteren Monolog, einem Geistlichen sein Erweckungserlebnis berichtet, bevor er seine Schwester besucht und ihr einen Vortrag über Demut vor Gottes Willen hält. Der Anstaltsarzt empfiehlt die Entlassung seiner Schwester. Paul Claudel verschwindet.

Die Biografie der Bildhauerin Camille Claudel (1864–1943), die ihre letzten 30 Lebensjahre in psychiatrischen Anstalten verbrachte, ist in mehrerlei Hinsicht brisant und bietet jede Menge Ansatzpunkte für gesellschaftskritische, sozialhistorische oder künstlerische Interpretationen, die es auch bereits reichlich gab: Da ist das Liebes- und Leidensverhältnis zum 24 Jahre älteren Auguste Rodin, von dessen Ruhm sie profitierte ; da ist ihre bürgerliche Familie und deren mangelndes Kunstverständnis, da ist die von Männern dominierte Kunst, die Frauen den Zutritt verweigert. Hinzu kommt das gesellschaftliche Diktum, das weibliche Kreativität für unschicklich oder eben für geisteskrank hält.

All das – so könnte man mit viel gutem Willen unterstellen – impliziert Bruno Dumont mit der Konzentration auf seine verweinte Protagonistin. Dazu bedarf es aber einiger Kenntnis ihrer tragischen Geschichte, die Bruno Nuytten in seinem wunderbaren „Camille Claudel“ aufarbeitete, der 1989 im Berlinale- Wettbewerb lief. Mit Isabelle Adjani in der Titelrolle und Gerard Depardieu als Rodin kann er als etwas sinnlicheres Prequel gelten. Daniela Sannwald

13.2., 15 Uhr (Friedrichstadt-Palast), 16.2., 19.30 Uhr (HdBF)

Sie tanzt für die Fotografen, sie trägt Feuerrot! Erleichterung. Dann hat ihre klösterliche Katharsis als unter Irren internierte Künstlerin Camille Claudel der schönen Juliette Binoche offensichtlich nicht nachhaltig die Laune verdorben. Der Spaß ist aber schnell vorbei. Als sie mit dem auch cineastisch nicht gerade als Bruder Leichtfuß bekannten Regisseur Bruno Dumont und dem Schauspielerkollegen Jean-Luc Vincent auf dem Podium der Pressekonferenz zu „Camille Claudel 1915“ Platz nimmt, wird es ernst. Ob sie sich für die nächsten Tage in Berlin privat was vorgenommen habe, fragt unverdrossen ein amüsiersüchtiger Pressemann. „Nein“, kommt die strenge Antwort der 1964 geborenen Pariserin, „ich bin nur hier, um die Fragen der Journalisten zu beantworten.“ Also los.

Ja, es stimme tatsächlich, dass sie Bruno Dumont angerufen habe, um sich ihm für eine gemeinsame Arbeit anzudienen, bestätigt Binoche. Und weil Binoche außer Schauspielerin auch Malerin ist und ebenso wie einst Camille Claudel in Frankreich sehr bekannt, verfiel Dumont dann auf diesen schon vielfach ausgeloteten Stoff. „Camille Claudel ist für mich Juliette Binoche“, sagt der kantige Intellektuelle. Und Binoche war schon mit 16 von Claudels Leben fasziniert.

Warum sie unbedingt mit Dumont arbeiten wollte? „Er ist einer der wenigen, die sich damit beschäftigen, wie die Seele aussieht, die Leere, das Nichts.“ Ihr auf keinem vorgefertigten Drehbuch, sondern auf den Briefen zwischen Camille und Paul Claudel fußende Interpretation bezeichnet Binoche nicht als Rolle. „Es ist eine Visitation, eine Erkundung der Seele.“ Damit diese Reise wahrhaftig ausfällt, haben Dumont und sein Team mit echten geistig Behinderten gedreht. Ein Psychiater hat sie vermittelt und beim Dreh beraten, erzählt Dumont. „Einige konnten selbst zustimmen, bei anderen hat es die Familie getan.“ Und Juliette Binoche hat anschließend viel Zeit mit ihnen verbracht. Anfangs sei es schwer gewesen, Claudels Wahnsinn und Verlassenheit darzustellen, sagt sie. „Dann wurde es Leidenschaft.“Gunda Bartels

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