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Feuer und Erdgeheimnis. Den Vesuvausbruch von 1820 malte Dahl sechs Jahre danach – Zeugnis allgemeiner Vulkanbegeisterung damals.

© Städel Museum/Artothek

Weimarer Ausstellung: Goethe als Naturforscher in vulkanischen Zeiten

Er hörte Anatomie in Jena, trieb botanische Studien und gilt als Mit-Entdecker der Eiszeit. Eine Weimarer Schau beleuchtet Goethes naturwissenschaftliche Seite.

Geologie hieß damals noch Geognosie, und es tobte ein erbitterter Streit zwischen Vulkanisten und Neptunisten über die Entstehung der Welt. Warum sind Tiere ausgestorben – oder bloß in ferne Gegenden ausgewandert? Woher kamen die Findlinge? Die einen glaubten, dass die Meere den Planeten Erde geformt hätten, die anderen sahen die heißen Kräfte des Erdinneren am Werk, glaubten an die Gestaltungsmacht der Vulkane.

Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) blieb sein Leben lang Neptunist, das Eruptive und Explosive als Weltordnungsprinzip war ihm zuwider. Alexander von Humboldt (1769–1859) blieb lange ein Neptun-Jünger, um in der 1820er Jahren zur Vulkan-Partei überzutreten. Damit stand er wissenschaftlich auf der richtigen Seite, wobei auch die neptunischen Einflüsse auf die Geologie nicht zu leugnen sind.

Es gibt kaum ein Wissensgebiet, für das sich Goethe nicht interessiert hätte. Er hörte Anatomie in Jena, trieb botanische Studien und untersuchte unter dem Mikroskop im Heuaufguss „Infusionstiere“. Der Dichter zerlegte und legte sich die Natur zurecht, er gilt als Mit-Entdecker der Eiszeiten und „Kältezeiten“ und entdeckte beim Menschen den Zwischenkieferknochen.

Da ist es erstaunlich, dass jetzt erst eine Ausstellung sich „Goethe und die Naturwissenschaften um 1800“ vornimmt. „Abenteuer der Vernunft“ lautet der von Immanuel Kant geliehene Titel, und die Weltpremiere findet im modernen Schiller Museum statt. Im alten Hause Goethe um die Ecke wäre dafür kaum Platz. Schließlich war der Geheimrat und Forscher ein leidenschaftlicher Sammler.

Gut 23 000 Mineralien, Fossilien, Tier- und Pflanzenpräparate trug er zusammen, ließ er sich aus aller Welt nach Weimar schicken. Aus diesem Riesenfundus bedient sich die Schau, ergänzt um Leihgaben wie Johann Christian Clausen Dahls Bild vom Vesuvausbruch aus dem Frankfurter Städel aus dem Jahr 1826.

Alexander von Humboldt und Goethe

Goethe hat den Vulkan bei Neapel bestiegen. Es war seine einzige größere Reise in die weite Welt. Die Herren Gelehrten erklärten sie vom Schreibtisch aus, ohne eigene Anschauung fremder Länder und Kulturen, was Kant oder Hegel nicht von unglaublichen rassistischen Ideen abhielt. Alexander von Humboldt war einer der wenigen, die das gebildete Stubenhockertum ablehnten. Er ging hinaus in die Welt, riskierte auf Reisen sein Leben. Humboldt und Goethe waren Antipoden, sie achteten einander, wobei die Höflichkeiten immer mehr abkühlten.

Weimar ist immer auch eine Welt-Reise, ein Lehrpfad. Die Ausstellung zeigt die Humboldt-Ikone schlechthin, das berühmte Gipfelpanorama „Zur Geographie der Pflanzen in den Tropen-Ländern“ von 1807. Das Original, selten und herrlich anzusehen, stammt aus Goethes Bibliothek. Im gleichen Jahr zeichnete der Dichter, von Humboldt inspiriert, ein kleineres Blatt mit „Höhen der alten und neuen Welt“.

Mit Strichmännchen: Unter dem Gipfel des Chimborazo, auf 5760 Metern, steht ein Humboldtchen, auf dem Mont Blanc winkt der Höhenbezwinger Saussure. Dazwischen am Himmel im Ballon der Forscher Gay-Lussac. Mit ihm wiederum war Humboldt zum Vesuv hinaufgestiegen; Susan Sontag hat über die Lavasucht des revolutionär gestimmten ausgehenden 18. Jahrhunderts einen dicken Roman geschrieben, „Der Liebhaber des Vulkans“.

Was den Dichter antrieb, wirkt wie Grundlagenforschung

Man kannte einander gut in jenen Jahren, stritt gern – Wissenschaft funktionierte auch als Gesellschaftsspiel und Passion der Reichen und Berühmten. Dabei verschwammen noch die Grenzen zischen Spielerei und professioneller Forschungsarbeit. Die Disziplinen waren nicht abgesteckt, sie entstanden überhaupt erst, wie man sie heute kennt, ob Biologie oder Paläontologie. Ein Laie konnte so gut wie ein professioneller Wissenschaftler Großes leisten. Goethe hatte Selbstbewusstsein genug, Isaac Newtons optische Erkenntnisse anzugreifen.

Was den Dichter und Sammler da umtrieb, wirkt heute wie Grundlagenforschung. Und der Erfolg der Naturbücher und des nature writing, der jetzt schon eine Weile anhält, erinnert an die Goethe-Zeit, in der die Wissenschaft eine immer schnellere Entwicklung nimmt.

[Die Ausstellung läuft bis 5. Januar 2020, der Katalog kostet 29,90 Euro. Info: klassik-stiftung.de]

Im Schiller Museum, das in dieser Schau zum Goethe-Gehäuse wird, mit dem ständigen Gast Alexander von Humboldt, beginnt der Rundgang vor Steinen und versteinerten Tierchen. Und weiter zum Grünzeug und den Klassifizierungssystemen. 1790 veröffentlicht Goethe seine erste Schrift zu einem naturwissenschaftlichen Thema, „Versuch die Metamorphose der Pflanze zu erklären“.

An der „Farbenlehre“, die 1810 mit 1400 Druckseiten erscheint, arbeitet Goethe zwanzig Jahre. Hier können die Ausstellungsbesucher selbst ein wenig experimentieren, mit Prismen und anderem Gerät. Das wohl kostbarste Objekt ist Joseph Fraunhofers „Sonnenspektrum mit Absorptionslinie“, entstanden 1823. Nur noch drei Exemplare gibt es davon weltweit. Das Spektrum ist schon ästhetisch eine Sensation. Für die Naturwissenschaft stellt es einen revolutionären Sprung der Kosmologie dar.

Viel Charme versprühen die alten Instrumente. Goethe besaß eine „Scheibenelekrisiermaschine“ aus Holz, Messing und Glas oder auch eine Batterie Leidener Flaschen. Stromerzeugung und -speicherung stellten damals noch große Probleme dar. Aber man konnte die Phänomene spektakulär demonstrieren: Wissenschaft um 1800 war ungemein populär.

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