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Zu Asche, zu Staub. Der Nachtclub Moka Efti ist einer der Hauptschauplätze in der Serie „Babylon Berlin“.

© ARD

Weimar und Babylon Berlin: Hurra, es ist Krise

Zum Abschluss der Fernsehserie "Babylon Berlin": Das Thema Weimarer Republik boomt und boomt – als ob die Zeiten vergleichbar wären.

Jetzt hat auch Emmanuel Macron es getan und vor der Wiederkehr der Weimarer Zeit gewarnt. Europa sei gespalten durch Ängste, das Erstarken des Nationalismus und die Folgen der Wirtschaftskrise, sagte der französische Staatschef in einem Zeitungsinterview und appellierte an die Gegenkräfte: Verteidigt die Demokratie!

Die Fernsehserie „Babylon Berlin“, deren vorerst letzte Folgen am Donnerstag in der ARD ausgestrahlt werden, steht im Zentrum eines Zwanzigerjahre-Booms, der weit über die 1929 angesiedelte Story um den Neu-Berliner Kriminalkommissar Gereon Rath hinausgeht.

Die Zwischenkriegszeit ist allgegenwärtig, vom neuen „Dreigroschenoper“-Film bis zur Buchmessen-Überraschung des posthum edierten pornografischen Romans „Weltpuff Berlin“ von Rudolf Borchardt. Politologen vergleichen in Essay-Serien die Berliner mit der Weimarer Republik, Stadtpläne legen die Spuren der Zeit in der heutigen Hauptstadt offen, die Komische Oper plant für Mai 2019 die Uraufführung des Stummfilm-Klassikers „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ als Musiktheaterstück. Anfang der Woche sang Max Raabe, der unverwüstliche Zwanzigerjahre-Chansonnier, zum runden Geburtstag der Bundeskulturpolitik, in Anwesenheit von Kanzlerin Merkel.

Seit uns der Fortschrittsoptimismus vergangen ist, also spätestens seit dem Club of Rome und den „Grenzen des Wachstums“ vor 45 Jahren, schauen wir lieber in die Vergangenheit, sagt der Historiker Hanno Hochmuth. Jubiläen haben in Deutschland Dauerkonjunktur. Auf das Ende des Ersten Weltkriegs mit der Novemberrevolution vor 100 Jahren folgen die Jubiläen von Weimarer Verfassung und Bauhaus – der Blick in den Kalender mag ein Grund für den Weimar-Boom sein. Aber warum sitzt die Nation begeistert vor dem Fernseher und setzt sich dem wohligen Grusel von 1929 aus? In düster- glamourösen Etablissements beschwört „Babylon Berlin“ das Ende von Weimar, den Augenblick vor dem Chaos.

Wann herrschte zuletzt Übereinkunft, dass die Zeiten nicht unruhig sind?

Weimar als Menetekel. Damals wie heute herrscht große Verunsicherung, heißt es. Die Weltordnung wackelt, das Klima auch, Finanzkrisen beuteln die globale Wirtschaft, die soziale Schere öffnet sich weiter, die Rechtspopulisten haben Konjunktur. Stimmt, aber leben wir nicht immer in Krisenzeiten? Wann herrschte zuletzt die Übereinkunft, dass die Zeiten nicht unruhig sind – obwohl Deutschland auf inzwischen über 70 Friedensjahre zurückblickt? Trotzdem identifiziert man sich gerne mit Filmhelden, die überfordert sind, nervös, verängstigt, von Existenzsorgen geplagt.

Existenzsorgen? Zur Weimarer Zeit belief sich die Arbeitslosigkeit in Deutschland auf bis zu 44 Prozent, aktuell hat sie ein neues Rekordtief erreicht. Die Wirtschaft wächst weiter, und niemand hat die Absicht, den Sozialstaat abzuschaffen. Erstarkender Nationalismus? Die AfD sitzt im Bundestag, seit der Hessenwahl auch in allen Länderparlamenten. Aber mit den politischen Unruhen bei 20 Reichsregierungen in 14 Jahren, mit den Straßenkämpfen zwischen radikalen Kommunisten, Rechtsnationalen und der Obrigkeit samt Blutmai mit über 30 Toten hat die Unruhe von heute wenig gemein. Trotz Dauerzoff in der Groko, Pegida-Märschen und „Unteilbar“-Demos. Ganz zu schweigen von der klandestinen Bewaffnung der schwarzen Reichswehr. Auch heute gibt es militante Rechtsterroristen, tödliche Gewalt. Aber ein Putsch?

Man verharmlost die aktuelle Krise der Demokratie nicht – auch nicht mit Blick auf ihre Erosion in Ungarn, Polen, Italien oder Österreich –, wenn man die Unterschiede benennt. AfD-Rechtsaußen Björn Höcke schwafelt vom „Verwesungsgeruch einer absterbenden Demokratie“, aber die Zivilgesellschaft in Deutschland meldet sich zu Wort, verteidigt Liberalismus und Weltoffenheit. Nicht nur der AfD laufen Wähler zu, sondern auch den keineswegs radikalen Grünen. Damals war die Demokratie keine zehn Jahre alt, sie lernte erst laufen. Heute ist sie über Jahrzehnte gefestigt und leidet eher unter mangelnder Flexibilität angesichts neuer Phänomene wie der Diversifizierung der Parteienlandschaft oder dem zunehmenden Einfluss sozialer Netzwerke. Gucken statt gruseln: Lässt sich die Rückbesinnung auf die Weimarer Zeit nicht besser für einen unromantischen, wachen Blick auf die Gefahren der Gegenwart nutzen?

Ein leises Unbehagen stellt sich ein

Eine davon: Wir Deutschen richten uns gerne ein im Krisengefühl, sind schnell mit dem Schrecken zur Hand. Apokalypse now, zuletzt bei Donald Trumps Drohung, die Abrüstung zu stoppen. Prompt wurde der Kalte Krieg herbeizitiert, „Prall gefülltes Angstszenario“ hieß es in der „Süddeutschen“. Die Atom-Angst der Achtziger war wieder da – für zwei, drei Tage.

Der Mythos der Goldenen Zwanziger inklusive Untergangsstimmung wirkt nachhaltiger. Was auch daran liegt, dass er rückwirkend das Versprechen eines offenen historischen Moments in sich birgt. Hätte es auch anders kommen können? Hätte die Linke sich nicht gespalten, hätten die Albträume der „Kriegszitterer“ à la Gereon Rath, ja einer ganzen Gesellschaft von Versehrten therapiert werden können etc. – wäre der Nationalsozialismus dann nicht gekommen? Eine Autosuggestion, ein tröstliches, schnell allzu versöhnliches Gedankenspiel. Endlich muss Deutschland sich mal nicht mit dem Holocaust befassen, sondern damit, dass es die „Guten“ doch auch gab. Sie waren nur krank. Ein leises Unbehagen stellt sich ein, denn „Babylon Berlin“ bedient eine Entlastungssehnsucht.

Nichts gegen Ursachenforschung. „Nach wie vor beunruhigt die Frage, wie es geschehen konnte, dass der Sieg der Nationalsozialisten 1933 so beschämend einfach war,“ schreibt Marie Luise Knott in ihrem Buch „Dazwischenzeiten“ über die Künste im Jahr 1930 und die „Erschöpfung der Moderne“. Die Frage beunruhige um so mehr, als einzelne Augenblicke tatsächlich Parallelen wachzurufen scheinen. Aber auch, je mehr „selbst ernannte Alarmisten und Autokraten“ eben jene Parallelen herbeiredeten. Knott erörtert lieber die Frage, ob sich das nahende Unheil in den Künsten der Weimarer Republik als Ahnung niederschlug. Was letztlich spannender ist, als solche Ahnungen retrospektiv zum Geschichtsbild zu verfestigen. Wir wissen ja, wie es ausging.

Besonders gern werden die Parallelen mit Blick auf Berlin gezogen. Der Serientitel spielt auf Kenneth Angers legendäre Skandalchronik „Hollywood Babylon“ an, in der die US-Traumfabrik als Sündenpfuhl entlarvt wird, voller Drogen, Gier und sexueller Gewalt. Im Vergleich zu den Enthüllungen in Angers Buch nehmen sich die Filmbilder von Tom Tykwer, Henk Handloegten und Achim von Borries allerdings brav aus. Selbst im Nachtclub Moka Efti, diesem Berghain- Pendant, geht es gesittet zu. Bisschen Charleston, bisschen Po-Wackeln, bisschen Rotlicht, na ja.

Die entsetzliche Armut von Hunderttausenden gibt es nicht mehr

Mythen halten sich bekanntlich gut. Der Mythos Berlin ist besonders zäh. Die Stadt, die nie schläft, Partystadt, Drogenstadt, internationaler Schmelztiegel, Mekka der Kriminellen und der Künste, der Multi-Identitäten, der homosexuellen Subkulturen mit Dutzenden Schwulenbars – das Image verkaufte sich schon immer. Schon George Grosz und Otto Dix bastelten an dem schrillen Sittenbild, auch Döblin, Fritz Lang, Christopher Isherwood und die Asphaltliteraten.

Es gibt tatsächlich verblüffende Kontinuitäten: Die heftigsten Kulturfehden tobten schon damals rund um die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Von Piscator und Brecht lässt sich eine Traditionslinie bis zu Castorf, Shermin Langhoff oder Barrie Kosky ziehen und beim Kino von Babelsberg zur vitalen Filmszene von heute. Aber als Stadt des Jazz, des Musicals und der Varietés hat sie ausgedient, trotz Jazzfest und Wintergarten.

Oder das Wohnen. Die wiedervereinigte Kapitale wächst ähnlich wie Groß-Berlin nach der Verwaltungsreform 1920 über ihre Grenzen hinaus, steuert auf 4 Millionen Einwohner zu. Die Warentempel, sprich: Shoppingmalls breiten sich aus, während die Künstler keine bezahlbaren Ateliers mehr finden und junge Familien keine erschwingliche Wohnung. Aber die Elendsbehausungen in Döblins Hinterhöfen, die entsetzliche Armut von Hunderttausenden gibt es nicht mehr. Auch nicht das Neue Bauen eines Gropius, eines Mies van der Rohe, eines Stadtbaurats Martin Wagner. Licht und Luft für alle: Sechs Berliner Siedlungen aus jenen Jahren stehen auf der WeltkulturerbeListe. Der aktuelle soziale Wohnungsbau in Berlin zeichnet sich eher dadurch aus, dass er nur schleppend vorangeht. Schnelle Stadt? Die Uhren – Stichwort BER – ticken hier oft unglaublich langsam.

Der Geist von Weimar und der Zivilisationsbruch von Auschwitz

Nüchtern betrachtet, verdankt sich der Hype um „Babylon Berlin“ vor allem der Tatsache, dass die Serie populäre TV-Formate vereint, Krimi, Lovestory und das immer beliebtere Geschichts-Movie. Der All-Star-Cast tut sein Übriges, samt großartiger Newcomer wie Liv Lisa Fries.

Tykwer und Co. beweisen endlich, dass die Deutschen auch Qualitätsserien können, wird gejubelt. Es stimmt nur nicht. Schon bei Fassbinders „Berlin Alexanderplatz“-Verfilmung, den „Heimat“- Serien von Edgar Reitz, Dominik Grafs Berlin-Zehnteiler „Im Angesicht des Verbrechens“ oder zuletzt etwa Hans-Christian Schmids ARD-Miniserie „Das Verschwinden“ konnte sich ein breites Publikum von der Fähigkeit hiesiger Filmschaffender zur hochwertigen Serie überzeugen. Neu ist allenfalls die Mischung aus Genre, Schauwert-Anstrengung und Primetime-Biederkeit. Illegale SM-Filmchen, fiese Verräter-Visagen, grundböse Trotzkisten, Showdown im Propellerflugzeug oder auf ratternder Dampflok – am Ende ist nichts so heiß, wie es angepriesen wird.

„Wir erzählen uns in die Welt und aus ihr hinaus“, schreibt Marie Louise Knott. Ein Wahrheitskern der Erzählung von Weimar besteht darin, dass vieles, was seinerzeit begann, längst zum deutschen Alltag gehört. Der Parteienstaat, der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, die erste Autobahn, die moderne Verbrechensbekämpfung, die Sexualforschung eines Magnus Hirschfeld, der Kampf um die Frauenrechte. Siemens baut jetzt einen Innovationscampus in Berlin, auf dem historischen Siemensgelände.

Berlin war immer Zukunft und Innovation. Ein Mythos, gewiss, und doch der historische Nährboden einer ganz realen schöpferischen Unruhe. Fantasie gebiert Wirklichkeit. Nur darf man nicht vergessen, dass diese Fantasie made in Berlin durch die Ermordung der Juden zu großen Teilen aus Deutschland verschwunden ist. Der Geist von Weimar und der Zivilisationsbruch von Auschwitz, die Erinnerung ist unteilbar.

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