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Kultur: Was Dachböden hergeben

Raus aus der Käseglocke der eigenen Biografie: Peggy Mädlers „Legende vom Glück des Menschen“

Kürzlich erzählte ein Verleger, er könne keine Manuskripte mehr ertragen, in denen in irgendeinem Schrank oder Regal oder gar auf einem Dachboden irgendetwas (ein Tagebuch, ein amtliches Dokument, Briefe) gefunden würde, das Aufschluss über die dann erzählte Familiengeschichte gäbe. Eine Kritikerkollegin ergänzte, sie läse bereits keine Bücher mehr, in denen das Wort „Großmutter“ auftauche. Und ein anderer Kollege fügte hinzu, ganz schrecklich seien Bücher, in denen Geschichten an Fotografien entlang erzählt würden. So gesehen macht Peggy Mädler, 1976 in Dresden geboren, in ihrem Debütroman fast alles falsch. Oder genauer gesagt: Sie macht alles fast falsch, aber einiges auch sehr richtig.

Das Ergebnis ist ein Roman, wie er disparater kaum sein könnte: „Legende vom Glück des Menschen“ ist ein Buch, in dem einiges, und das hebt es deutlich heraus, auf überzeugende und intelligente Weise gelungen, anderes wiederum auf so typische wie schreckliche Weise danebengegangen ist. Also, der Reihe nach: Im Bücherregal (!) der Großmutter (!) findet die Erzählerin Ina einen Fotoband (!) mit dem Titel „Vom Glück des Menschen“, ein sozialistisches Erbauungs- und Propagandabuch, herausgegeben unter anderem von Karl-Eduard von Schnitzler, Moderator der Sendung „Der Schwarze Kanal“. Der Band, ein Geschenk der Partei an den Großvater aus dem Jahr 1968, zeigt sozusagen den linientreuen Sozialisten in staatlich erzeugten Glückszuständen in unterschiedlichen Lebenssituationen, sei es bei der Arbeit oder im Privatleben.

Die Überlegung, inwieweit Lebensglück und Zufriedenheit individuell oder gesellschaftlich erzeugt werden können, ist der Ausgangspunkt für die Rekonstruktion der Familiengeschichte vom Nationalsozialismus bis in die postkommunistische Gegenwart. Auf der zweiten Erzählebene reflektiert Ina, die mittlerweile als Historikerin an der Universität die Biografien von Exilanten erforscht, die Zuverlässigkeit von Erinnerung und die Erzählbarkeit von Geschichte (darin ähnelt der Roman Antje Ravic Strubels Roman „Tupolew 134“), gerade angesichts der ideologischen Gräueltaten des 20. Jahrhunderts. Anders herum: Wie kann man von Liebe, individuellem Glück oder Wohlstand inmitten der Ideologien erzählen, ohne selbst von der Ideologie angefressen zu werden? Ganz zu schweigen von der Frage, wie man inmitten dessen ein unschuldiges Leben führen konnte. Eine theoretisch vertrackte Konstruktion, so vertrackt wie der Verlauf von Geschichte an sich eben auch, die allerdings von Peggy Mädler handwerklich souverän und weit weniger schematisch als zu befürchten bewältigt wird.

Nationalsozialismus, Sozialismus à la DDR, Kapitalismus der Nachwendezeit – das sind die drei Epochen, an denen die Erzählerin sich abarbeitet. Von den dreißiger Jahren und dem Kennenlernen der Großeltern Else Schubert und Erich Endes, der alsbald als Koch an die Front versetzt wird, über die Kindheit des gemeinsamen Sohnes, Inas Vater, im sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat bis hin zur Identitätsneuerfindung der beiden Kinder Ina und Thomas in der neuen, mauerfreien Bundesrepublik, erforscht Peggy Mädler das Verhältnis von staatstragender Pflichterfüllung und Selbstbestimmung. Kollektiv prallt auf Individuum. Letzteres zieht zumeist den Kürzeren. Es sei, so heißt es am Ende, immer nur eine Frage der Perspektive, ob Erinnern oder Vergessen der glücklichere Zustand sei. Das ist so ernüchternd wie wahr.

Frappierend an diesem Roman ist das Auseinanderfallen der Tonfälle. Um es deutlich zu sagen: Einige Passagen, die aus der Zeit des Nationalsozialismus erzählen, sind ganz schrecklich und so pathetisch, dass man kaum glauben mag, dass sie von der gleichen Autorin geschrieben worden sind, die in einer klaren, durchscheinenden, schnörkellosen Sprache aus dem tristen DDR-Alltag der sechziger und siebziger Jahre erzählt, von der großen Staatstrübsal und den kleinen Erleuchtungen, von den Schwierigkeiten des Aufwachsens, von den Legenden eben, die einer Überprüfung nicht standhalten. Aus der Gegenwart heraus tönt schließlich hin und wieder jener seltsam diffuse und gezierte Kleinmädchentonfall, der nach Alltagsgeheimnis klingen soll und zur Zeit bei vielen jungen Autoren in Mode ist. Sollte dieses Auseinanderdriften der Stillagen eine bewusste Entscheidung gewesen sein, so war es eine schlechte.

Trotzdem: Man sollte Peggy Mädler Respekt zollen dafür, dass sie aus jenem Hort ausbricht, in dem die junge Gegenwartsliteratur es sich allzu oft allzu bequem macht: „Die Käseglocke der eigenen Biografie.“

Peggy Mädler:

Legende vom Glück des Menschen.

Roman. Galiani

Verlag, Berlin 2011.

212 Seiten, 16,95 €

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