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Kommt am 25. August ins Kino: "Die fast perfekte Welt der Pauline" (mit Isabelle Carré, links).

© Neue Visionen

Warum so viele französische Filme ins Kino drängen: Seid netter zueinander!

Fast jede Woche kommt eine französische Mainstream-Komödie ins Kino. Was macht sie so erfolgreich? Was haben sie gemeinsam? Wovon lenken sie ab?

„Mein ziemlich kleiner Freund“ heißt eine der vielen französischen Komödien dieses Sommers. Offensichtlich will der deutsche Verleihtitel damit am Erfolg eines anderen Films partizipieren: „Ziemlich beste Freunde“ hieß der Überraschungshit des Jahres 2012, ebenfalls aus Frankreich. 19 Millionen Zuschauer zog er in der Heimat und neun Millionen hierzulande ins Kino. So was muss man erst mal schaffen.
Der Film, im Original „Un homme à la hauteur“ und ab Anfang September bei uns im Kino, erzählt von einer nicht einfachen Beziehung. Dass eine groß gewachsene Frau und ein sehr kleiner Mann ein Paar bilden, ist immer noch ungewöhnlich. Die Anwältin Diane (Virginie Efira) ist fasziniert von dem Architekten Alexandre (Jean Dujardin); er misst allerdings übersichtliche 1,36 Meter, und das macht ihr schlechte Gefühle. Er kennt das – und zunächst scheint es, als müsse er umso machohafter klotzen, um sie für sich einzunehmen: Das erste Date ist ein Fallschirmabsprung zu zweit, bei dem er den Helden geben kann. Nach und nach aber wird der Umgang der beiden miteinander sensibler und weicher, bis der Größenunterschied fast vergessen ist; nur die Reaktionen der Umwelt auf das Paar erinnern wieder daran.

Ohne derbe Running Gags geht gar nichts

„Mein ziemlich kleiner Freund“ von Laurent Tirard, der sich als Filmregisseur um Molière wie Astérix gleichermaßen verdient gemacht hat, ist eine nachdenkliche Komödie. Auf ein paar sehr derbe Running Gags allerdings, mit denen sie auf ein sehr breites Publikum abzielt, verzichtet sie nicht. Im Wesentlichen aber geht es um die Integration des Fremden in bekannte Muster, um die Revision von Haltungen und Ressentiments – und darin ähnelt dieser Film ein bisschen seinem Namensvorbild, mit dem der französische Komödienboom der letzten Jahre seine eigentliche Initialzündung erlebte. Dessen im Rollstuhl sitzender Held wurde damals von François Cluzet dargestellt. Demnächst ist er in der Komödie „Der Landarzt von Chaussy“ zu sehen. Darin spielt er den krebskranken Protagonisten, der für die Zeit der Chemotherapie Unterstützung braucht: Eine engagierte Krankenhausärztin (Marianne Denicourt) aus der Stadt trifft ein. Zunächst haben, nicht überraschend, die liebenswert-kauzigen Patienten Vorurteile gegen sie, zumal der nicht grundlos grummelige Doktor sich kaum bemüht, diese zu entkräften. Aber siehe da: Mit dem Herzen auf dem rechten Fleck, mit Kompetenz und Empathie gewinnt die Kollegin bald ihre eigene Fans.

Immerhin die grobste Lösung wird vermieden

Auch in dieser Komödie von Thomas Lilti wird, mit Schlamm und Gänsen, mancher rustikale Scherz inszeniert. Die allergröblichste Lösung aber wird immerhin vermieden: Dr. Jean-Pierre und Dr. Natalie werden kein Paar, sondern fahren am Ende kollegial im wunderschönen ländlichen Sonnenuntergang ihre Runde. Auch „Der Landarzt von Chaussy“ erzählt die Geschichte einer gelungenen Integration, hier mit der so differenzierten wie erhebenden Moral: Eine funktionierende Gemeinschaft weiß zwischen „unbekannt“ und „untragbar“, zwischen „fremd“ und „feindlich“ zu unterscheiden. Unterschiede in der Lebensweise spielen keine Rolle, wenn es um verantwortungsvolles Handeln zur richtigen Zeit geht.

Folgt am 1. September: "Mein ziemlich kleiner Freund" (mit Jean Dujardin, links, und Cédric Kahn).
Folgt am 1. September: "Mein ziemlich kleiner Freund" (mit Jean Dujardin, links, und Cédric Kahn).

© Concorde

Ähnliche Probleme wurden auch in „Monsieur Claude und seine Töchter“ und „Verstehen Sie die Béliers?“ verhandelt, den Kinohits des Jahres 2014 in Frankreich. Ersterer erzählt von der Aufnahme verschiedener Ethnien und Religionen in eine konservativ-katholische Familie, letzterer von der Loyalität einer hörenden Tochter zu ihren gehörlosen Eltern. Wobei sich diese Liste mühelos verlängern ließe.

Wie kommt es zu dieser Schwemme im Ergebnis schwer harmoniebedürftiger Filme, und was erklärt ihren insgesamt großen Erfolg in unserem Nachbarland – vorausgesetzt, man betrachtet die Filmproduktion als einen Indikator für nationale Befindlichkeiten? Offenbar bedienen sie, ungeachtet der von Schlagzeilen bestimmten politischen Stimmung und auch der anhaltenden Popularität des aggressiv rechten Front National, ein dringendes Bedürfnis der Franzosen nach Integration des Abweichenden, Unerwarteten, Überraschenden.

Lockerungsübungen in Toleranz

Das soziale Experimentierfeld für derartige Lockerungsübungen in Toleranz bleibt allerdings auf eine Mikroebene beschränkt: Familien und Dorfgemeinschaften – nicht umsonst spielen die Komödien zumeist in der Provinz – sind kleine, überschaubare, stabile Gruppen; angesichts ihrer strukturellen Solidität lässt sich noch am ehesten vorführen, wie man das Andersartige akzeptiert, ohne den Verlust der eigenen Identität fürchten zu müssen. Für jenes selbstbewusste Selbstbild stehen die urigen Dörfler („Landarzt“) oder die provinzielle Schickeria („Kleiner Freund“). Derlei nationale Stereotypen mag es zwar im multiethnischen, multireligiösen Einwanderungsland Frankreich längst nicht mehr geben; offenbar aber sind sie repräsentativ für eine enorme Sehnsucht nach Einfachheit, nach Reduktion jener Unübersichtlichkeit, mit der die von Konflikten gebeutelte Gesellschaft konfrontiert wird.


Schon vor dem Anschlag auf die Redaktion des Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ im Januar 2015 und den darauf folgenden Terrorakten war deutlich, unter welch enormem Integrationsdefizit die französische Gesellschaft leidet. Bemerkenswert hierbei für die Wahl der Filmstoffe: Abgesehen vielleicht von dem schwarzen Ghettokid, das sich einst in „Ziemlich beste Freunde“ zum herzensguten Kumpel des von Weltekel erfüllten Oberschichtenschnösels mauserte, fehlt eine soziale Gruppe in der aktuellen Masse der auf Integration bedachten französischen Feelgood-Movies – die Bewohner der Banlieue. Im Gutelaunekino des Mainstreams kommen sie offenbar so wenig vor wie im Bewusstsein der bürgerlichen Mittelschicht, die die Immigrantensöhne so weit wie möglich marginalisiert oder schlicht ignoriert. Im politischen Raum der von Terror bestimmten Aktualität allerdings verbreiten sie Angst und Schrecken – was sie als Figuren für die Eskapismusmaschine Kino selbstredend untauglich macht.
Französische Filmkomödien größerer oder minderer Grobschlächtigkeit kommen derzeit nahezu im Wochenrhythmus auch in unsere Kinos. Auch wenn der teils jahrelange Vorlauf von Kinofilmproduktionen zu berücksichtigen ist: Die massive Popularität des Komödien-Genres bei den französischen Produzenten wie beim Publikum wirkt längst wie ein Reflex auf die angstgesteuerte Stimmung, die das Land erfasst hat.

Die Erwachsenen: furchtbar harmlos

Vor allem die simpleren Spaßfilme versuchen, die bedrückende Atmosphäre mit ihren Mitteln zu zerstreuen. In „Willkommen im Hotel Mama“, in Frankreich ein Hit und inzwischen auch hier angelaufen, verbirgt eine muntere Siebzigerin – höchst albernerweise – vor der plötzlich bei ihr wieder einziehenden Tochter die Tatsache, dass sie eine Liebesbeziehung mit ihrem Nachbarn pflegt. Aus diesem Umstand schlägt der Film sein gesamtes mageres Kapital. Noch kindischer geht es in „Die fast perfekte Welt der Pauline“ und „ Mit dem Herz durch die Wand“ (Start Ende September) zu, mit furchtbar harmlosen Erwachsenen, die sich als Banane verkleiden, um der Realität zu entkommen, oder einander lustvoll mit Krach terrorisieren. Diese Filme bekämpfen die Angst mit Klamauk, als wollten sie sich und ihrem Publikum und am liebsten der ganzen Welt noch einmal die Unschuld der Kindheit überstreifen. Aber die ist dahin.

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